
Die Bürgerversicherung ist Dauerbrenner im Bundestagswahlkampf. Doch nicht nur die Parteien streiten darüber. Auch Lobbyverbände mischen mit. Das ist legitim. Doch die Kassenzahnärztliche Vereinigung Baden-Württemberg trägt den Wahlkampf in die Zahnarzt-Praxen und verunsichert Patienten mit nicht nachprüfbaren Behauptungen.
Zahnärzte machen Wahlkampf
Die Kassenzahnärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (KZV BW) lässt im Bundestagswahlkampf in Zahnarztpraxen eine Broschüre mit erstaunlichen Behauptungen zur Bürgerversicherung verteilen und verunsichert so die Patienten. Die Idee einer Bürgerversicherung wird vor allem von SPD, Grünen und Linken unterstützt. Ziel ist, vereinfacht gesagt, das Ende des zweigleisigen Systems aus gesetzlicher und privater Krankenversicherung, also eine gemeinsame Versicherung für alle.
Angeblich fallen mehr als 500 Zahnarzt-Praxen weg
Die Einführung einer Bürgerversicherung würde dazu führen, dass der ländliche Raum in Baden-Württemberg binnen zehn Jahren 534 Zahnärzte verlöre, behauptet die KZV BW in der Broschüre – unter Berufung auf ein von ihr selbst in Auftrag gegebenes Gutachten. Von 649 Zahnärzten, die in dieser Zeit aus Altersgründen ihre Praxis aufgäben, könnten rund 80 Prozent nicht ersetzt werden, weil sie dann nicht mehr wirtschaftlich arbeiten könnten, heißt es in der Broschüre. Außerdem fielen 2 350 weitere Arbeitsplätze in den Praxen weg.

Wahlkampf im Wartezimmer: Panikmache mit „Fakten“ zur Bürgerversicherung.
Transparenz? Fehlanzeige!
Die Kassenzahnärztliche Vereinigung muss die Versorgung von Kassenpatienten sicherstellen. Wie sie zu den dramatischen Zahlen in ihrer Broschüre kommt, erklärt die KZV BW nicht. Auch auf mehrmalige Nachfragen zur Broschüre und zum Gutachten erhielten die Versicherungsexperten der Stiftung Warentest keine Antwort.
Offene Parteinahme für die FDP
Dafür assistierte die KZV BW der FDP-Fraktion im baden-württembergischen Landtag, die sich in einer Pressekonferenz gegen die Bürgerversicherung wandte, mit einer eigenen, extra zu diesem Anlass von ihr herausgegebenen Pressemitteilung. Alarmierende Überschrift: „Die Bürgerversicherung ist ein Frontalangriff auf die Versorgung im ländlichen Raum.“
Gesetzlich Versicherte zahlen mit
Nach Angaben des Landessozialministeriums, das die KZV BW beaufsichtigt, hat die Zahnärztevereinigung 2017 knapp 300 000 Euro für Öffentlichkeitsarbeit zur Verfügung. Finanziert wird dies durch Beiträge, die jedem Zahnarzt, der Kassenpatienten behandelt, von seinen Honoraren abgezogen werden. Die Zahnärztepropaganda wird also indirekt auch von den gesetzlich Versicherten bezahlt.
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