Zehntausende unbegleitete Jugendliche sind in den vergangenen Jahren aus Krisengebieten nach Deutschland geflüchtet. Ehrenamtliche unterstützen diese junge Menschen, die in Deutschland ihre Zukunft sehen. Vom Engagement haben beide Seiten etwas. Finanztest erklärt anhand von zwei Fallbeispielen, wie Einzelvormundschaften funktionieren und unter welchen Voraussetzungen Privatpersonen zum Vormund werden können.
Vormund und Mündel
Um zwei Uhr nachts klingelt das Handy und reißt die Berlinerin Marlies Meunier aus dem Tiefschlaf. Ein Arzt aus der Notfallambulanz im Waldkrankenhaus möchte wissen, ob er den 17-jährigen Mohamad entlassen darf. Für den jungen Syrer hat die 56-Jährige kürzlich die Vormundschaft übernommen. Wegen Fieber und Unwohlsein hatte Mohamad die Ambulanz aufgesucht. Der Arzt konnte ihn beruhigen. Es handelte sich um eine Magenverstimmung, ein Klinikaufenthalt war nicht nötig. Meunier teilt dem Arzt mit, dass ihr Mündel, wie es im Amtsdeutsch heißt, die Klinik in Begleitung seines älteren Bruders verlassen darf.
Mehr zum Thema Flüchtlingshilfe:
Minderjährige Flüchtlinge: Wie der Staat Pflegefamilien fördert
Hilfe für Flüchtlinge: Den Heimatlosen helfen – aber wie?
Apps zum Deutschlernen: Nur zwei von zwölf empfehlenswert
Handytarife für Flüchtlinge: Günstig in die Heimat telefonieren
Einer von 69 000
Die Berlinerin hat für Mohamad, der ohne Eltern in Deutschland lebt, die elterliche Sorge übernommen und ist statt des Jugendamtes nun ehrenamtlicher Vormund. Mohamad ist einer von rund 69 000 unbegleiteten Minderjährigen, die in den vergangenen Jahren aus Kriegs- und Krisengebieten geflüchtet sind, in Deutschland sicher leben und oft auch bleiben wollen. Unbegleitet heißt, ohne Eltern oder andere Verwandte unterwegs zu sein. Entweder wurden die jungen Menschen von ihren Familien allein nach Europa geschickt oder sie haben ihre Angehörigen verloren. Minderjährige machen rund 5 Prozent aller neu einreisenden Asylsuchenden in Westeuropa aus – mit steigender Tendenz.
Kontakt über den Karateverein
„Zur Vormundschaft bin ich eher durch Zufall gekommen“, sagt die Verwaltungsjuristin Meunier. Ihr Sohn Raphael lernte Mohamad in seinem Karateverein kennen und brachte ihn nach dem Training mit nach Hause. „Das Schicksal des sympathischen jungen Mannes hat mich beschäftigt.“ Mohamad war in seiner Wohnunterkunft unglücklich. Das Zimmer teilte er mit sieben anderen Geflüchteten. In der Schule fühlte er sich nicht richtig gefordert und gefördert.
Vormundschaft beantragt
Meunier fand, sie könne helfen. Beim Familiengericht beantragte sie die Vormundschaft, nahm Kontakt mit dem Jugendamt auf und holte sogar die Zustimmung von Mohamads Eltern in Syrien per Nachrichtendienst Whatsapp ein. Nach etwa zwei Monaten Wartezeit war die erste bürokratische Hürde genommen. Ein Ausweis vom Familiengericht weist Meunier nun als Vormund aus.
Viele Gespräche und Telefonate – die zu etwas führen
„Zunächst habe ich mich um eine reguläre Schule gekümmert“, sagt Meunier. Nach Gesprächen und Telefonaten mit Jugendamt, Sozialarbeitern und hilfsbereiten Mitarbeitern vom Flüchtlingsrat – einem in jedem Bundesland ansässigen Verein, der sich für Flüchtlinge einsetzt – hat sie erreicht, dass Mohamad nun ein Oberstufenzentrum für Holztechnik, Glastechnik und Design besucht. „Der praktische Lernbezug scheint genau das Richtige zu sein.“ Auch eine neue Wohngruppe mit sozialpädagogischer Unterstützung hat die Juristin organisiert. „Es freut mich sehr, dass ich für Mohamad schon viel erreichen konnte.“
Jugendliche profitieren von individueller Betreuung
Dass Jugendliche von einer individuellen Betreuung profitieren, bestätigen auf Einzelvormundschaften spezialisierte Initiativen und Netzwerke. In vielen Städten suchen Jugendämter Menschen, die sich zutrauen, Verantwortung für einen Minderjährigen zu übernehmen. Denn in der Regel ist das Amt automatisch als Amtsvormund eingesetzt. Bis zu 50 Mündel betreut ein Mitarbeiter. Das Gesetz schreibt ein persönliches Treffen einmal im Monat vor. Eine Vertrauensbeziehung entwickelt sich dabei kaum.
Schulung im Vormundschaftsrecht
Anne-Katherine Hein ist ebenfalls Vormund und für die 16-jährige Anne aus Kenia verantwortlich. Auf ihre ehrenamtliche Tätigkeit hat sich die Berlinerin gut vorbereitet. Gefunden hat sie Anne über das Netzwerk Akinda, das in Berlin Einzelvormundschaften vermittelt und Interessierte schult. In den meisten Bundesländern gibt es ähnliche Initiativen (So können Privatpersonen Vormund werden).
Von Asylrecht bis Fluchttraumata
Hein durchlief ein verpflichtendes Schulungsprogramm und nahm an sieben zweistündigen Veranstaltungen teil. Sie lernte die Grundlagen des Vormundschaftsrechts, Asyl- und Ausländerrechts und der Jugendhilfe, sie erfuhr viel über Hintergründe für Flucht und Migration, aber auch über den Umgang mit traumatisierten Jugendlichen. „Nach der Schulung fühlte ich mich dem Ehrenamt gewachsen“, sagt Hein. Seit etwa einem Jahr ist die 32-Jährige für Anne verantwortlich und sieht ihre Rolle darin, „den Überblick zu behalten und einzugreifen, wenn es nötig ist“.
Deutsch-Nachhhilfe zeigt Wirkung
Die Kenianerin wohnt dank Heins Hilfe nun in einer eigenen kleinen Wohnung im Haus eines Jugendhilfeträgers mit verschiedenen Wohnformen für Jugendliche. Hein übt mit Anne auch regelmäßig Deutsch. Die Nachhilfe zeigt Wirkung: Die 16-Jährige geht mittlerweile in die neunte Klasse einer regulären Schule und hat auf dem Zeugnis in Deutsch die Note „gut“. „Es macht Spaß, Anne zu unterstützen“, sagt Hein. „Sie ist unglaublich ehrgeizig, will Abitur machen und später Medizin studieren.“
Prekärer Aufenthaltsstatus

© Stiftung Warentest
Ein Vormund kümmert sich auch um den rechtlichen Aufenthalt des Mündels. Minderjährige Flüchtlinge haben keinen festen Aufenthaltsstatus in Deutschland. Viele leben mit einer temporären Duldung – einer Aussetzung der Abschiebung –, die regelmäßig erneut genehmigt werden muss. Meist werden die Jugendlichen bis zur Volljährigkeit geduldet. Danach ist entscheidend, ob sie die Voraussetzungen für einen Aufenthaltstitel erfüllen. Dafür müssen sie gut integriert sein, Sprachkenntnisse vorweisen und vier Jahre die Schule besucht haben oder einen Schulabschluss vorweisen.
Meunier hat für ihren Mündel einen Antrag auf Asyl beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gestellt. „Den Antrag habe ich aus dem Internet heruntergeladen“, sagt sie. Die Juristin kennt sich mit dem Rechtssystem aus.
Vormund Hein findet Gesetze „eher schwierig“. Sie hat mit Anne eine auf Asyl- und Ausländerrecht spezialisierte Rechtsanwältin aufgesucht und sie beauftragt, die Rechtslage für das Mädchen zu prüfen.
-
- Wer sein Leben nicht mehr allein organisieren kann, dem helfen gesetzliche Betreuer. Die müssen nun das Selbstbestimmungsrecht stärker beachten.
-
- Der Bundesfinanzhof hat das Ehrenamt gestärkt: Übungsleiter können jetzt Verluste aus einer nebenberuflichen Tätigkeit absetzen. Und: Verluste aus...
-
- Wer sich nebenberuflich im (mobilen) Test- oder Impfcenter in Corona-Zeiten engagiert, kann bis zu 3 000 Euro steuerfrei erhalten. Das gilt auch im Jahr 2022.
Diskutieren Sie mit
Nur registrierte Nutzer können Kommentare verfassen. Bitte melden Sie sich an. Individuelle Fragen richten Sie bitte an den Leserservice.
Kommentarliste
Nutzerkommentare können sich auf einen früheren Stand oder einen älteren Test beziehen.
@justizia: Zur rechtlichen Vertretung: Die ehrenamtliche Vormundschaft umfasst die rechtliche Vertretung eines Minderjährigen, das heißt, ein Vormund haftet nicht für einen Jugendlichen. Unbegleitete minderjährige Flüchtlinge sind in der Regel über das Jugendamt haftpflichtversichert. Verursacht ein minderjähriger Flüchtling einen Schaden, ist er zunächst selbst verantwortlich und kann den Schaden der Haftpflichtversicherung melden.
Kein Kostenrisiko: Sollten bei der ehrenamtlichen Tätigkeit Kosten anfallen, die über der pauschalen Aufwandsentschädigung von 399,00 Euro im Jahr liegen, so können Vormünder auch einen höheren Betrag geltend machen, wenn sie ihre Aufwendungen einzeln nachweisen. Für die anwaltliche Beratung der Jugendlichen im Hinblick auf ihr Bleiberecht oder einen Asylantrag entstehen Anwaltskosten. Da die Jugendlichen jedoch in der Regel vermögenslos sind, erhalten sie für eine rechtliche Beratung „Beratungshilfe“ und für die Beschreitung des Rechtsweges „Prozesskostenhilfe“ (PKH). Dies gilt für alle Menschen, die unterhalb bestimmter Einkommensgrenzen liegen und rechtliche Hilfe in Anspruch nehmen.(PH)
Leider wird hier das geltende Rechts für UMAs (unbegleitete minderjährige Ausländer) nicht erwähnt, denn die o.a. Bedenken sind nicht von der Hand zu weisen. Es wurde das SGB VIII zum 01.11.2015 ergänzt und geregelt, wie ab "Auftauchen" der UMAs zu agieren ist. Das Jugendamt schaltet von sich aus das Familiengericht ein, das einen Vormund bestellt. Die Jugendämter, die die Vormundschaften zum größten Teil führen, wurden und werden umfassend geschult, um neben der "normalen" gesetzlichen Vertretung auch die weiteren Hürden (Sprache, Migrationshintergrund (ua Religion), Traumatisierung, Ausländer- und Asylrecht) im Sinne dieser Kinder/Jug.lichen zu nehmen. Die Amtsvormundschaft gehört zwar zum Jugendamt, arbeitet aber weisungsungebunden, Es sind auch Rechte der Kinder gegen das Jugendamt durchzusetzen und da tritt schnell eine Überforderung für ehrenamtliche Vormünder ein, nicht aber für Berufs- oder Vereinsvormünder, die auch geschult werden.
Es wird zu wenig auf die "rechtliche Umfeldsituation" des (deutschen) Vormundes bei der Übernahme einer Vormundschaft zu einem Flüchtling eingegangen? Wo & wann haftet der (deutsche) Vormund, welche Risiken geht er ein; wie ist die Rechtslage im Innenverhältnis Vormund-Mündel? Bzw. im Außenverhältnis Mündel gegenüber Staat & Bürger und der Vormund als "Rechtsvertreter" des Mündel???
Während Finanztest bei allen möglichen "Finanz- und Rechtsprodukten" die Verbraucherrechte tiefgehend & umfassend kritisch "beleuchtet", analysiert & bewertet - was ich ja gut finde - ist dieser VORMUND-Artikel SEHR OBERFLÄCHLICH & einseitig & eher werbend! Finanztest ist jedoch kein Presseerzeugnis der "Asylindustrie" sondern UNABHÄNGIG & NEUTRAL für VERBRAUCHERSCHUTZ! Wo bleibt hier der VORMUNDSCHAFTSSCHUTZ (bei aller Gesinnungsethik bzw. Gesinnungsjournalismus)???
Der Artikel, ein Apell an die Hilfsbereitschaft ist ja schon nett - jedoch wird zu wenig über die für einen Vormund für Flüchtlingskinder auch entstehenden KOSTEN & RISIKEN gesagt!?? Welcher zeitliche Aufwand, welcher Kostenaufwand (Rechtsanwälte arbeiten ja NICHT umsonst!?) usw. sind mit der Betreuung verbunden? Was geschieht wenn es zu unterschiedlichen Auffassungen hinsichtlich Religion, Lebensführung usw. kommt (immerhin sind CHRISTEN für MUSLIME UNGLÄUBIGE!!!) und vielfach haben wir mit unserem Kulturverständnis eben andere Lebens- und Wertvorstellungen. Flüchtlinge sind i.d.R. VERMÖGENSLOS, wenn sie einen SCHADEN - selbst unbeabsichtigt verursachen- (geschenktes Fahrrad Flüchtling kollidiert mit deutschem Auto!) - kann der GESCHÄDIGTE NICHT den FLÜCHTLING in Haftung nehmen - da eine Haftpflichtversicherung beim Flüchtling i.d.R. fehlt! Wie sieht die rechtliche Situation beim VORMUND (von der Haftung unbeabsichtigter Schäden des Mündel bis zu strafrechtlichen Vergehen ?) nun aus?