Voll­narkose bei Klein­kindern Keine schädlichen Folgen fürs Gehirn

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Voll­narkose bei Klein­kindern - Keine schädlichen Folgen fürs Gehirn

© Thinkstock

Bei größeren Operationen erhalten Kinder in der Regel eine Voll­narkose per Inhalation. Doch gibt es Befürchtungen, dass das in den ersten Lebens­jahren die Entwick­lung des Gehirns stören könnte. Eine aktuelle Studie zeigt: Das ist offen­bar nicht der Fall.

Narkosemittel treffen auf Gehirn in der Entwick­lung

Eine Operation? Mit Voll­narkose? Bei meinem kleinen Kind? Für viele Eltern ist allein die Vorstellung beunruhigend. Zur Angst, ob der Eingriff gut verläuft und ob das Kind wohl­behalten wieder aufwacht, kommt eine weitere Sorge: Wird die Voll­narkose, die zumeist per Inhalation verabreicht wird und das Bewusst­sein sowie den Schmerz ausschaltet, dem kleinen Kind lang­fristig schaden? Schließ­lich entwickelt sich das Gehirn in den ersten Lebens­jahren enorm und Narkosemittel könnten diesen Prozess stören. Manche Tier­versuche und einige Studien an Kindern bestärkten den Verdacht – andere hingegen nicht.

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Vergleich von Geschwistern mit und ohne Voll­narkose

Nun gibt eine neue sorgfältige Unter­suchung Entwarnung. Die US-amerikanische Studie nennt sich abge­kürzt PANDA (Pediatric Anesthesia Neurodevelopment Assess­ment). Es nahmen 105 Kinder teil, bei denen inner­halb der ersten drei Lebens­jahre ein Leistenbruch unter Voll­narkose operiert worden war. Zum Vergleich dienten ebenso viele Geschwister, die vor ihrem dritten Geburts­tag keine Voll­narkose bekommen hatten und maximal drei Jahre älter oder jünger waren als die kleinen Patienten. Alle Kinder waren ohne Komplikationen auf die Welt gekommen und litten nicht an Krankheiten, die sich auf die Entwick­lung des Nerven­systems auswirken.

Umfassende Tests der Gehirn­funk­tionen

Sämtliche kleine Studien­teilnehmer – die mit Voll­narkose in früher Kindheit sowie ihre Geschwister – wurden einer ganzen Batterie an geistigen Tests unterzogen. Das Haupt­augen­merk dabei lag auf dem Intelligenzquotienten. Zudem wurden Aspekte wie Lernen und Gedächt­nis, Aufmerk­samkeit, motorische Fähig­keiten und Sprach­entwick­lung über­prüft – also solche Gehirn­funk­tionen, für die es aus früheren Studien Hinweise auf Beein­trächtigungen gab. Als die Tests statt­fanden, waren die Kinder durch­schnitt­lich zehn bis elf Jahre alt. Zu diesem Zeit­punkt müssten sich ungüns­tige Folgen der Narkose in jedem Fall bemerk­bar machen, schreiben die Studien­autoren im Fachjournal JAMA.

Voll­narkose ohne negative Folgen

Die Tests bei der PANDA-Studie enthüllten bei den Geschwisterpaaren keinen Unterschied bezüglich des Intelligenzquotienten. Durch­schnitt­lich lag er bei 111, also im normalen Bereich. Auch bei den anderen untersuchten Gehirn­funk­tionen schnitten die Kinder mit früher Voll­narkose nicht schlechter ab als die Vergleichs­gruppe. Der Eingriff scheint demnach keine Auswirkungen auf die spätere geistige Entwick­lung zu haben.

Studie deckt nicht alle Möglich­keiten ab

Einige Fragen lässt die Studie allerdings offen. Die einbezogenen Kinder waren körperlich und geistig gesund und über­wiegend männ­lich. Das hängt mit der betrachteten Operation zusammen – denn weit­aus mehr Jungen als Mädchen bekommen einen Leistenbruch. Zudem zeigt die Unter­suchung nur die Auswirkungen einer einzigen Voll­narkose in den ersten Lebens­jahren, die durch­schnitt­lich 80 Minuten dauerte. Die Ergeb­nisse sind also nicht unbe­dingt auf mehrere oder mehr­stündige Voll­narkosen in früher Kindheit über­trag­bar.

Eltern können auf einige Punkte achten

Trotz dieser Einschränkungen seien die Ergeb­nisse der PANDA-Studie „beruhigend“ und im Einklang mit denen einer weiteren kürzlich erschienenen Studie namens GAS im Fachjournal Lancet, meint Dr. Karin Becke, Sprecherin des Arbeits­kreises Kinder­anästhesie der Deutschen Gesell­schaft für Anästhesie und Intensivmedizin. Die Expertin betont: „Es schadet Kindern nach­weislich, wenn sie ohne ausreichende Narkose operiert werden.“ Eltern können nach Beckes Einschät­zung auf einige Punkte achten: „Informieren Sie den Anästhesisten im Vorfeld der OP über Vorerkrankungen und den aktuellen Gesund­heits­zustand Ihres Kindes – und fragen Sie, ob die Klinik Routine mit entsprechenden Eingriffen bei Kindern hat.“ Spezialisierte Kinder­chirurgen und -Anästhesisten verfügten über Leit­linien und Wissen, ob Operationen in früher Kindheit wirk­lich nötig und wie sie möglichst schonend durch­zuführen seien. Eine Schlüssel­rolle dabei spielten Lokalan­ästhetika: „Sie dämpfen Schmerzen wirkungs­voll und helfen, Narkotika zu reduzieren.“ Klassische Eingriffe wie Leistenbruch-, Hoden­hoch­stand-, Polypen- oder Mandel-OPs dauern Becke zufolge heut­zutage weniger als eine Stunde, sind also laut der neuen PANDA-Studie unkritisch.

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j-m.s am 19.08.2016 um 21:44 Uhr
aber für alte Leute problematisch

Es gibt sehr viele Fälle, wo alte Leute nach einer OP mit Vollnarkose völlig desorientiert und verwirrt waren. Sie haben teilweise die eigenen Angehörigen nicht mehr erkannt. Oft hat sich das nach ein paar Wochen gebessert, manchmal aber auch nicht.
Das Google-Stichwort hierzu ist "Delir" oder "Durchgangssyndrom".