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Bei größeren Operationen erhalten Kinder in der Regel eine Vollnarkose per Inhalation. Doch gibt es Befürchtungen, dass das in den ersten Lebensjahren die Entwicklung des Gehirns stören könnte. Eine aktuelle Studie zeigt: Das ist offenbar nicht der Fall.
Narkosemittel treffen auf Gehirn in der Entwicklung
Eine Operation? Mit Vollnarkose? Bei meinem kleinen Kind? Für viele Eltern ist allein die Vorstellung beunruhigend. Zur Angst, ob der Eingriff gut verläuft und ob das Kind wohlbehalten wieder aufwacht, kommt eine weitere Sorge: Wird die Vollnarkose, die zumeist per Inhalation verabreicht wird und das Bewusstsein sowie den Schmerz ausschaltet, dem kleinen Kind langfristig schaden? Schließlich entwickelt sich das Gehirn in den ersten Lebensjahren enorm und Narkosemittel könnten diesen Prozess stören. Manche Tierversuche und einige Studien an Kindern bestärkten den Verdacht – andere hingegen nicht.
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Vergleich von Geschwistern mit und ohne Vollnarkose
Nun gibt eine neue sorgfältige Untersuchung Entwarnung. Die US-amerikanische Studie nennt sich abgekürzt PANDA (Pediatric Anesthesia Neurodevelopment Assessment). Es nahmen 105 Kinder teil, bei denen innerhalb der ersten drei Lebensjahre ein Leistenbruch unter Vollnarkose operiert worden war. Zum Vergleich dienten ebenso viele Geschwister, die vor ihrem dritten Geburtstag keine Vollnarkose bekommen hatten und maximal drei Jahre älter oder jünger waren als die kleinen Patienten. Alle Kinder waren ohne Komplikationen auf die Welt gekommen und litten nicht an Krankheiten, die sich auf die Entwicklung des Nervensystems auswirken.
Umfassende Tests der Gehirnfunktionen
Sämtliche kleine Studienteilnehmer – die mit Vollnarkose in früher Kindheit sowie ihre Geschwister – wurden einer ganzen Batterie an geistigen Tests unterzogen. Das Hauptaugenmerk dabei lag auf dem Intelligenzquotienten. Zudem wurden Aspekte wie Lernen und Gedächtnis, Aufmerksamkeit, motorische Fähigkeiten und Sprachentwicklung überprüft – also solche Gehirnfunktionen, für die es aus früheren Studien Hinweise auf Beeinträchtigungen gab. Als die Tests stattfanden, waren die Kinder durchschnittlich zehn bis elf Jahre alt. Zu diesem Zeitpunkt müssten sich ungünstige Folgen der Narkose in jedem Fall bemerkbar machen, schreiben die Studienautoren im Fachjournal JAMA.
Vollnarkose ohne negative Folgen
Die Tests bei der PANDA-Studie enthüllten bei den Geschwisterpaaren keinen Unterschied bezüglich des Intelligenzquotienten. Durchschnittlich lag er bei 111, also im normalen Bereich. Auch bei den anderen untersuchten Gehirnfunktionen schnitten die Kinder mit früher Vollnarkose nicht schlechter ab als die Vergleichsgruppe. Der Eingriff scheint demnach keine Auswirkungen auf die spätere geistige Entwicklung zu haben.
Studie deckt nicht alle Möglichkeiten ab
Einige Fragen lässt die Studie allerdings offen. Die einbezogenen Kinder waren körperlich und geistig gesund und überwiegend männlich. Das hängt mit der betrachteten Operation zusammen – denn weitaus mehr Jungen als Mädchen bekommen einen Leistenbruch. Zudem zeigt die Untersuchung nur die Auswirkungen einer einzigen Vollnarkose in den ersten Lebensjahren, die durchschnittlich 80 Minuten dauerte. Die Ergebnisse sind also nicht unbedingt auf mehrere oder mehrstündige Vollnarkosen in früher Kindheit übertragbar.
Eltern können auf einige Punkte achten
Trotz dieser Einschränkungen seien die Ergebnisse der PANDA-Studie „beruhigend“ und im Einklang mit denen einer weiteren kürzlich erschienenen Studie namens GAS im Fachjournal Lancet, meint Dr. Karin Becke, Sprecherin des Arbeitskreises Kinderanästhesie der Deutschen Gesellschaft für Anästhesie und Intensivmedizin. Die Expertin betont: „Es schadet Kindern nachweislich, wenn sie ohne ausreichende Narkose operiert werden.“ Eltern können nach Beckes Einschätzung auf einige Punkte achten: „Informieren Sie den Anästhesisten im Vorfeld der OP über Vorerkrankungen und den aktuellen Gesundheitszustand Ihres Kindes – und fragen Sie, ob die Klinik Routine mit entsprechenden Eingriffen bei Kindern hat.“ Spezialisierte Kinderchirurgen und -Anästhesisten verfügten über Leitlinien und Wissen, ob Operationen in früher Kindheit wirklich nötig und wie sie möglichst schonend durchzuführen seien. Eine Schlüsselrolle dabei spielten Lokalanästhetika: „Sie dämpfen Schmerzen wirkungsvoll und helfen, Narkotika zu reduzieren.“ Klassische Eingriffe wie Leistenbruch-, Hodenhochstand-, Polypen- oder Mandel-OPs dauern Becke zufolge heutzutage weniger als eine Stunde, sind also laut der neuen PANDA-Studie unkritisch.
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Es gibt sehr viele Fälle, wo alte Leute nach einer OP mit Vollnarkose völlig desorientiert und verwirrt waren. Sie haben teilweise die eigenen Angehörigen nicht mehr erkannt. Oft hat sich das nach ein paar Wochen gebessert, manchmal aber auch nicht.
Das Google-Stichwort hierzu ist "Delir" oder "Durchgangssyndrom".