Auf der Video-Plattform YouNow präsentieren sich vor allem Kinder und Jugendliche live im Internet. Zusehen kann jeder, der auf die Seite geht. Im Gespräch mit test.de warnt Jutta Croll vor der Nutzung. Jutta Croll ist Leiterin des Zentrums für Kinderschutz im Internet. *
Was passiert auf YouNow?
Croll: Nutzer müssen sich durch einen Facebook-, Twitter- oder Google+-Account bei der App- oder Desktop-Anwendung von YouNow anmelden und können dann streamen. Streamen bedeutet: Sie können Videos von sich live in das Internet übertragen. Das Video kann in Echtzeit von jedem angesehen werden, der das entsprechende Profil auf YouNow aufruft.
Wer nutzt das Portal?
Croll: YouNow ist in New York gestartet – als Plattform für Amateurmusiker, die sich so live ihren Fans präsentieren und Feedback bekommen. In Deutschland hat es sich seit Dezember vor allem bei Kindern und Jugendlichen verbreitet, die aus ihren Kinderzimmern oder aus der Schule streamen. Manche von ihnen singen oder tanzen vor der Kamera, andere sitzen einfach auf ihrem Bett und beantworten die Chat-Fragen der Zuschauer.
Was macht YouNow so attraktiv?
Croll: Das sofortige Feedback. Jeder kann die Zahl der Zuschauer – quasi die persönliche Einschaltquote – sofort sehen. Zuschauerreaktionen laufen im Chat parallel mit. Darüber hinaus gibt es Bonussysteme: Durch regelmäßige Nutzung bekommt man „Coins“, die man für das Ranking der anderen Nutzer einsetzen kann. In der App können Nutzer außerdem „Bars“ kaufen und damit anderen Nutzern Direktnachrichten senden oder ihnen besondere Angebote machen – wie zum Beispiel einen virtuellen Heiratsantrag.
Welche Gefahren und Risiken gibt es bei der Nutzung?
Croll: Viele Nutzer beantworten die Chat-Fragen bereitwillig und befolgen Aufforderungen des Publikums ohne zu zögern. Der Wunsch nach Anerkennung verleitet dazu, sich selbst freizügig zu zeigen, und Komplimente schlagen schnell in sexuelle Anmache um.
Warum ist das gerade beim Live-Streaming ein Problem?
Croll: Die teilweise sehr privaten Auskünfte sind sofort in der Welt. Außerdem sind die Live-Streams später erneut aufrufbar, und durch die Funktion Snapshot können Zuschauer Bilder aus dem Live-Stream auf dem eigenen Rechner speichern und auf anderen Social-Media-Kanälen weiterverbreiten. Das erhöht die Gefahr von Mobbing oder Missbrauch der Bilder.
Welche rechtlichen Risiken gibt es?
Croll: Wenn sich während des Live-Streaming andere Personen im Raum befinden, die nicht darüber informiert sind, können deren Persönlichkeitsrechte verletzt werden. Oft läuft in den Streams der Jugendlichen Musik im Hintergrund, dabei können Urheberrechte verletzt werden.
Was macht der YouNow-Anbieter?
Croll: Bisher nicht viel. YouNow weist die Nutzer darauf hin, dass ein permanentes Monitoring der Inhalte stattfindet. Bei unseren Besuchen auf der Plattform konnten wir aber regelmäßig Verstöße gegen die Regeln beobachten. Das reicht von verbotenem Rauchen im Live-Stream bis hin zu schwerwiegenden sexuellen Belästigungen. Außerdem gibt es immer wieder Streams mit Kindern, die offensichtlich jünger als das Mindestalter von 13 Jahren sind und das auch offen zugeben. Wir fordern, dass der Anbieter sicherstellt, dass die Regeln eingehalten werden. Außerdem muss YouNow leicht verständliche AGBs und Beschwerde-Möglichkeiten in deutscher Sprache anbieten.
Worauf sollten Eltern achten?
Croll: Kinder unter 13 Jahren haben auf der Plattform nichts verloren, auch nicht als Zuschauer. Den richtigen Namen, Wohnort und die besuchte Schule sollten Minderjährige auf keinen Fall mitteilen. Vor dem Live-Streamen sollte sich jeder selbst überlegen, wann er sagt: „Stopp, hier mache ich nicht mehr mit.“
Was ist sinnvoller: Verbot oder Aufklärung?
Croll: Wenn man sich die Komplimente und Zuneigungsbekundungen im Chat ansieht und die positive Reaktion der Jugendlichen darauf, wird schnell klar: Mit Verboten kommt man hier nicht weiter. Technisch kann Jugendschutz-Software den Zugang zu der Website blockieren, Smartphone-Apps sollten Eltern mit jüngeren Kindern nur gemeinsam installieren. Ab diesem Frühjahr können Eltern sich an den neuen Alterskennzeichnungen der International Age Rating Coalition (IARC) orientieren, die länderspezifisch angeben, welche App für welches Alter angemessen ist. Google will die neuen Kennzeichnungen in den nächsten Wochen in den Google Playstore bringen, auch der kleinere App-Store Firefox Marketplace hat sich schon dem System angeschlossen. Aber bevor Eltern auf Zugangsbeschränkungen zurückgreifen, sollten sie zunächst mit ihren Kindern über die Risiken sprechen und mit Verständnis und Zuwendung auf deren Bedürfnisse und Fragen reagieren.
An welche Stellen kann ich mich wenden, wenn es Probleme mit YouNow gibt?
Croll: Anlaufstellen sind zum Beispiel die Bundeskonferenz für Erziehungsberatung, die Nummer gegen Kummer oder die Peer-Beratung durch andere Jugendliche. Weitere Informationen bietet die Seite der EU-Initiative für mehr Sicherheit im Netz. Wenn es um Rechtsfragen wie Abmahnungen bei Urheberrechtsverletzungen geht, können die Verbraucherzentralen helfen. Wenn sich andere in ihren Persönlichkeitsrechten verletzt sehen, sollte man als ersten Schritt ein persönliches Gespräch mit den betroffenen Personen führen.
Tipp: Weitere Informationen zum Umgang mit dem Internet finden Sie als Eltern zum Beispiel unter www.schau-hin.info, Tipps für Jugendliche gibt es unter www.chatten-ohne-risiko.net, Tipps für Kinder stehen auf der Seite www.internet-abc.de – und eine konkrete Warnung vor dem falschen Umgang mit YouNow hat Youtube-Star LeFloid veröffentlicht.
* Dieses Interview erschien erstmals am 12. März 2015 auf test.de. Es wurde am 25. März 2015 aktualisiert.