Jürgen Hennemann ist Fachanwalt für Versicherungsrecht. Er sagt, es sei die Regel, dass Versicherungen Zahlungen verzögern und Kunden unter Druck setzen.
Sie vertreten seit etwa 20 Jahren Kunden gegenüber Versicherungsgesellschaften, häufig Unfallgeschädigte. Was ärgert Sie am meisten?
Hennemann: Am meisten ärgert mich nicht dieser oder jener Einzelfall, sondern die Strategie, die Durchgängigkeit und die Systematik, mit der die Versicherer begründete Leistungsansprüche verweigern oder verkürzen.
Gibt es ein Muster, nach dem Versicherer die Schadensregulierung verweigern?
Hennemann: Ja, das gibt es. In der ersten Stufe verweigern Versicherer die Zahlung unter Hinweis auf Formalitäten wie fehlende Unterlagen, Gutachten oder amtliche Ermittlungsakten. Bleiben Versicherte hartnäckig, bekommen sie nach einer erheblichen Zeit zunächst eine banale Abschlagzahlung angeboten. Selbst wenn es um Millionenbeträge geht, zahlen Versicherer beispielsweise lediglich Beträge zwischen 20 000 und 50 000 Euro. In einer weiteren Stufe und nach weiterer Verzögerung zahlen sie dann vielleicht noch einmal so viel.
Wenn der Betroffene das Pilgertempo leid ist, eindringlich auf Regulierung besteht und sogar eine Klage androht, bietet der Versicherer vielleicht eine Gesamtabfindung an: Zum Beispiel 10 oder 15 Prozent der Summe, die dem Geschädigten zusteht. Wenn ich als Fachanwalt dann empfehle, eine angemessene Entschädigung einzuklagen, versuchen Unternehmen, den Mandanten einzuschüchtern.
Wann sollen sich Versicherungsnehmer zur Wehr setzen?
Hennemann: Wenn eine fachanwaltliche Prüfung einen begründeten Anspruch ergibt und der Versicherer die Leistung ganz oder teilweise verweigert, kann ich Versicherungsnehmer nur ermutigen, sich zu wehren. Sie müssen Versicherungsleistungen dann notfalls gerichtlich durchsetzen.
Versicherte haben auch die Möglichkeit, sich an den Versicherungsombudsmann zu wenden. Er vermittelt kostenlos zwischen den streitenden Parteien. Werden Rechtsstreite damit überflüssig?
Hennemann: Nein, der Ombudsmann ist nur berechtigt, bis zu einer Summe von 10 000 Euro verbindliche Entscheidungen zu treffen. Bei höheren Summen spricht er Empfehlungen aus, die für Versicherer nicht verbindlich sind.
Müsste der Gesetzgeber handeln, damit Kunden schneller zu ihrem Recht kommen?
Hennemann: Ja. Im amerikanischen Recht wird zum Beispiel ethisch-moralisches Fehlverhalten des Versicherers durch einen Strafschaden („punitive damages“) sanktioniert. Dieser Strafschaden wird Geschädigten über ihren Schaden hinaus zuerkannt.
Wenn ein Versicherter zum Beispiel schwerst geschädigt ist und der Versicherer drastisch unter den Zahlungen für Schmerzensgeld, Pflegeleistungen, Verdienstausfall oder unfallbedingte Mehrkosten bleibt, muss der Betroffene die Leistungen einklagen. Das ist ethisch-moralisch verwerflich. In Deutschland gibt es keine gesetzliche Lösung für dieses Problem.
Ebenso werden die haftungsrechtlichen Gesetzesvorschriften Unfallopfern nicht gerecht. Andere Rechtsordnungen kennen eine Gesamtabfindung, an die in Deutschland sehr hohe Hürden geknüpft sind. Es ist für Opfer eine Zumutung, Jahre oder Jahrzehnte über jede Entschädigungsleistung streiten zu müssen. Mit einer Gesamtabfindung könnten sie zumindest finanziell einen Schlussstrich ziehen.
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