Will der Versicherer nicht zahlen, ist oft Druck nötig. Das zeigt das Beispiel eines Unfallopfers aus Niedersachsen.
Am Freitag, den 9. Oktober 2009, ändert sich das Leben des damals 25 Jahre alten Dennis Maack aus Niedersachsen. Am Nachmittag bringt er mit seiner Mutter die ersten Möbel in sein neues Zuhause, das ehemalige Haus der Großeltern, Baujahr 1950. Der junge Maler und Lackierer hat gerade seine Gesellenprüfung bestanden und freut sich auf das neue Leben, unabhängig von den Eltern.
Da passiert das Unglück: Im Badezimmer rutscht Maack auf einer Badematte aus und fällt mit seinem linken Auge in die viereckige Metallstange einer Badezimmer-Armatur. Er wird ohnmächtig. Als er wieder zu sich kommt, kniet seine Mutter neben ihm. Der junge Mann liegt inmitten von Blut und Augenflüssigkeit.
Stunden später sagen die Ärzte in einer Hamburger Augenklinik, dass er nie wieder mit dem linken Auge wird sehen können.
Unfall binnen 48 Stunden gemeldet
Die Eltern melden den Unfall dem Versicherer VGH innerhalb der im Vertrag vorgeschriebenen Frist von 48 Stunden. Der Sohn hatte dort eine Unfallversicherung abgeschlossen.
„Außerdem erhielten wir von einem Versicherungsvertreter den Tipp, bei so einer Sache besser einen Fachanwalt für Versicherungsrecht aufzusuchen“, sagt Frau Maack. „Da ich keinen Anwalt kannte, habe ich in den Gelben Seiten gesucht.“ Sie wendet sich an die nächstliegende Fachanwaltskanzlei in Buchholz und beauftragt den Versicherungsfachanwalt Jürgen Hennemann.
Der Anwalt schreibt an den Versicherer und verlangt für seinen Mandanten die im Vertrag vorgesehene Unfallentschädigung von 50 000 Euro und eine monatliche Unfallrente von 250 Euro. „Eigentlich eine klare Sache“, findet Hennemann.
Doch die VGH verweigert die Leistung. Dennis Maack sei schon vor dem Sturz ohnmächtig geworden, damit handele es sich nicht um einen Unfall, argumentiert der Versicherer. „Eine Begründung, für die es keine Anhaltspunkte gab“, sagt der Anwalt. Er rät zur Klage.
Prozess kostet mehrere tausend Euro
Für die Maacks ist die Sache klar: Den Prozess wollen sie auf jeden Fall führen. Sie nehmen in Kauf, dass sie auf Kosten von mehreren tausend Euro sitzenbleiben, falls sie vor Gericht verlieren (siehe Beispielrechnungen „Klagen kostet“).
Im Prozess bekommt das Unfallopfer recht: Das Gericht verurteilt die VGH, die Entschädigung plus Zinsen sowie eine lebenslange Unfallrente zu zahlen. Etwa ein Jahr dauerte der Rechtsstreit. „Ein völlig überflüssiger Prozess“, sagt Hennemann.
Dennis Maack geht es mittlerweile besser. Er hat eine Augenprothese aus Glas und arbeitet wieder in seinem Beruf. Er möchte vor allem eins: Einen Schlussstrich unter den Unfall ziehen.
Kampf um große Summen lohnt
Die Praxis zeigt, dass Versicherer oft nicht zahlen wollen – vor allem, wenn es um große Beträge geht. Das berichten Fachanwälte für Versicherungsrecht genauso wie Leser, die Finanztest schreiben.
Beim Versicherungsombudsmann beschwerten sich im vergangenen Jahr 932 Personen über ihren Unfallversicherer und 496 über ihren Berufsunfähigkeitsversicherer. Kunden ärgerten sich über unverständliche Unterlagen, versteckte Risikoausschlüsse und abgelehnte Zahlungen. Die Zahl der Auseinandersetzungen, die außergerichtlich und vor Gericht geführt werden, ist dagegen statistisch kaum erfasst.
Der Gesamtverband der deutschen Versicherungswirtschaft argumentiert, die Beschwerdezahlen seien in Anbetracht von mehr als 450 Millionen Versicherungsverträgen in Deutschland gering. Außerdem müsse jeder Versicherer genau prüfen, ob ein Anspruch berechtigt ist. Denn jede Leistung trägt das Versichertenkollektiv. Doch jeder einzelne Fall kann für den Kunden existentiell sein.
Versicherte lassen sich einschüchtern
Es lohnt sich in vielen Fällen, mit einem Versicherer zu streiten, bestätigt die Fachanwältin für Versicherungsrecht Beatrix Hüller aus Bonn. Sie ist auf Personenschäden spezialisiert und hat viel mit privaten Berufsunfähigkeits- und Unfallversicherungen zu tun: „In vielen Fällen, die auf den ersten Blick aussichtslos erschienen, bekamen Versicherte doch noch ihre Versicherungsleistung.“
Die Betroffenen müssen allerdings Zeit und Geduld mitbringen. „Solche Prozesse dauern schon mal zwei bis drei Jahre.“
„Bei Unfall- und Berufsunfähigkeitsversicherern gibt es die Tendenz, Leistungen erst einmal kategorisch abzulehnen“, sagt die Fachanwältin. Die Ablehnungsschreiben der Versicherer wirkten sehr fundiert, „auch wenn die Unternehmen oft mit Textbausteinen arbeiten.“
Von solchen Schreiben lassen sich Versicherte schnell einschüchtern. „Leider werfen viele dann schon das Handtuch“, sagt Hüller. Viele Menschen sind das erste Mal mit einem Versicherungsfall konfrontiert. Die Versicherungssprache ist kompliziert und für Laien kaum zu verstehen. Die Fallstricke lauern im Kleingedruckten. Meldet ein Versicherter den Schaden zu spät oder reicht er ein Gutachten nicht fristgerecht ein, kann er schon Leistungen einbüßen.
Versicherte sind deshalb gut beraten, wenn sie sich bei einem Konflikt mit dem Versicherer Hilfe holen. Insbesondere wenn es um Leistungen aus Personenversicherungen oder um größere Schäden nach einem Hausbrand, einem großen Leitungswasserschaden oder einem Autounfall geht, kann es sinnvoll sein, wenn ein Anwalt die Sache prüft.
Die Experten können einschätzen, ob ein Anspruch auf Versicherungsleistung besteht und welche Erfolgsaussichten ein Rechtsstreit hat (siehe „Rechtsbeistand“).
Von Auto- bis Zahnpolice
Geht es um kleinere Sachschäden und Versicherungsleistungen aus Auto-, Kasko-, Hausrat-, privaten Haftpflicht-, Wohngebäude- oder Zahnpolicen, können auch Verbraucherzentralen weiterhelfen. Manche bieten eine spezielle Beratung für einen Schadensfall an (siehe „Beratung bei einer Verbraucherzentrale“).
Die Berater sind ausschließlich außergerichtlich tätig und vertreten Versicherte nicht vor Gericht. „In rund der Hälfte der Fälle, in denen wir im vergangenen Jahr für einen Versicherten ein oder zwei Schreiben an den Versicherer geschickt haben, wurde gezahlt“, sagt die Juristin und Referentin Elke Weidenbach von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen.
Viele Fragen lassen sich schon in einem ersten Beratungsgespräch klären. „Manche abgelehnte Schadensregulierung durch den Versicherer ist durchaus berechtigt“, sagt Weidenbach. Oft geht es dann um Obliegenheiten, also Pflichten aus dem Vertrag.
Zur Pflicht gehört es beispielsweise, nach einem Einbruch dem Hausratversicherer und der Polizei eine Stehlgutliste einzureichen. Liegt diese nicht rechtzeitig vor, dürfen Versicherer die Leistung kürzen.
Es kann sinnvoll sein, schon vor der Schilderung des Schadensverlaufs Hilfe in Anspruch zu nehmen. Eine korrekte Schadensmeldung ist das A und O. Die Formulare der Versicherer überfordern viele. Für Ärger sorgen beispielsweise immer wieder unvollständige Angaben zu Vorschäden.
Versicherer lässt Glasauge überprüfen
Selbst wenn Versicherte Geld erhalten, kommen sie trotzdem nicht zur Ruhe. Geht es um Rentenleistungen für die Zukunft, knüpfen Versicherer daran häufig Bedingungen.
Dennis Maack bekommt die monatliche Unfallrente vom Versicherer VGH nur unter dem Vorbehalt, dass er später durch medizinische Gutachten klären lässt, ob sich sein Gesundheitszustand in der Zwischenzeit eventuell verbessert hat. Wäre das der Fall, könnte der Versicherer die Leistung kürzen oder einstellen.
Maack wird etwa zwei Jahre nach dem Unfall in das Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf einbestellt. Die Gutachter sollen prüfen, ob sich die Sehkraft des Glasauges seit der Schadensregulierung gesteigert hat. Nur: Wie soll sich die Sehkraft eines Glasauges verbessern?
Tatsächlich untersuchten die Ärzte das gesunde Auge und nicht das verletzte. Als die Ärzte Chemikalien für das gesunde Auge verwenden wollen, greifen die Eltern ein. „Diese Art der Schadensbearbeitung durch den Versicherer ist bizarr“, sagt Fachanwalt Hennemann.
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