
Versicherungs-Experte Horst Müller-Peters
Versicherungsbetrug ist ein Massenphänomen. Professor Horst Müller-Peters vom Institut für Versicherungswesen an der Fachhochschule Köln forscht zu Betrugsprävention. Im Interview mit test.de erklärt er, wieso Versicherungsbetrug bei vielen Menschen als Kavaliersdelikt gilt, und wie Versicherer vermeiden können, selbst Anreize für Betrug zu schaffen.
In der Hälfte der Betrugsfälle geht es um weniger als 100 Euro
Sie beschäftigen sich mit Versicherungen und Betrugsbekämpfung. Wie sieht ein typischer Versicherungsbetrug aus?
Müller-Peters: Der typische Versicherungsbetrüger ist ein Gelegenheitstäter. Entweder er definiert einen tatsächlichen Schaden, der nicht versichert war, so um, dass es passt: Gehen Brille oder Bohrmaschine kaputt, gibt es plötzlich einen Freund, der angeblich dafür verantwortlich war und den Schaden seiner privaten Haftpflichtversicherung meldet. Oder Geschädigte übertreiben schon mal die Höhe der Schadenssumme. Allerdings geht es in etwa der Hälfte der Betrugsfälle um eine Summe unter 100 Euro. Nur in etwa 10 Prozent der Fälle liegen die Beträge über 500 Euro.
In welchen Sparten sind die Betrugsquoten besonders hoch?
Müller-Peters: Besonders viele Betrugsdelikte kommen in der privaten Haftpflicht-, Hausrat-, Kfz-Kasko- und manchmal auch in der Reisegepäckversicherung vor. In etwa 10 bis 25 Prozent der Fälle wissen übrigens Vermittler davon oder sind direkt beteiligt.
Nur selten kommt es raus
Wie hoch ist die Aufklärungsquote?
Müller-Peters: Vor allem bei kleineren Delikten ist die Aufklärungsquote gering, je nach Studie liegt sie zwischen 4 und 17 Prozent.
Wie sieht es mit dem Vortäuschen von Unfällen aus, zum Beispiel in der Kfz-Haftpflichtversicherung?
Müller-Peters: Nur in etwa 5 Prozent der Betrugsfälle sind Schäden fingiert, in etwa 1 Prozent absichtlich herbeigeführt. Auch das sogenannte Autobumsen kommt nur selten vor. Dabei provozieren Fahrer einen Schaden, um von der gegnerischen Kfz-Haftpflicht die Versicherungssumme zu kassieren.
Jüngere betrügen häufiger als Ältere
Gibt es typische Merkmale, die einen Versicherungsbetrüger charakterisieren?
Müller-Peters: Kaum. Tendenziell neigen jüngere Kunden stärker zum Betrug als ältere. Die Einstellung zu Versicherungen ist häufig preiswert orientiert oder skeptisch-gleichgültig. Aus der Betrugsforschung wissen wir auch, dass Personen mit katholischem Hintergrund eher Gesetze und Regeln überschreiten als Personen mit protestantischen Hintergrund.
Haben Sie Erklärungen für die Betrugsbereitschaft?
Müller-Peters: Zunächst muss es einen Anlass, also einen Schaden geben. Dann muss der Geschädigte einen Betrug gegenüber seinem eigenen moralischen Selbstbild rechtfertigen können. Dazu kann der Eindruck gehören „das machen doch alle“, oder der Glaube, auch der Versicherer sei nicht ehrlich. Erscheint dann noch die Gefahr gering, entdeckt zu werden, erliegen ansonsten ehrliche Bürger schnell mal der Versuchung, zu betrügen.
Versicherer sollten Beziehung zu Kunden personalisieren
Welche Lösungen empfehlen Sie der Versicherungswirtschaft, um Betrugsdelikte zu reduzieren?
Müller-Peters: Zum einen sollten Versicherer die Anlässe reduzieren.Wenn Versicherte einen Selbstbehalt zahlen müssen, schafft das den Anreiz, dass sie sich den Betrag „zurückholen“ wollen. Deshalb könnte es sinnvoll sein, wenn Versicherer darauf verzichten. Bei der Regulierung können Versicherer den Zeitabstand zwischen Schaden und Schadensaufnahme minimieren. Das lässt Betrügern weniger Zeit und Spielraum, etwas zu konstruieren. Zur Erhöhung der moralischen Hürde hilft es beispielsweise, die Beziehung zu personalisieren: Durch direkte Ansprechpartner beim Versicherer und durch eine persönliche Ansprache.