Sich für den Ernstfall zu versichern, das wünschen sich viele. Etwa mit einem Berufsunfähigkeitsschutz, der das Einkommen bis zur Rente ausgleicht, wenn jemand wegen Unfall oder Krankheit nicht so lange arbeiten kann (siehe Vergleich Berufsunfähigkeitsversicherung). Doch es gibt eine große Hürde auf dem Weg zu Versicherungen rund um Leben und Krankheit: den Antrag. Denn der Interessierte muss sehr viele Fragen beantworten, die meisten davon zu seiner Gesundheit. Anhand der Antworten schätzt ein Versicherungsunternehmen ab, wie gesund oder krank jemand ist, und davon hängt ab, ob und welchen Vertrag es anbietet. Verständlich, denn wird ein Kunde zum Beispiel später berufsunfähig, geht es um viel Geld.
Fast alle Fragen sind erlaubt
Versicherer dürfen fast alles fragen – und der Kunde muss alles wahrheitsgemäß und vollständig beantworten. Von seinen Antworten hängt ab, ob ein Versicherer ihn einfach akzeptiert, ihm Risikozuschläge auferlegt, bestimmte Erkrankungen vom Schutz ausschließt oder ihn ablehnt. Regelmäßig abgelehnt werden zum Beispiel Menschen, die Behandlungen wegen Depressionen in den vergangenen Jahren angeben.
Antragsteller sollten Fragen weder ausweichend noch lückenhaft beantworten – selbst wenn sie dann den Vertrag gar nicht bekommen oder mehr zahlen müssen. Anderenfalls könnte ihr Versicherer ihnen später, wenn sie die Rente benötigen, den Vorwurf machen, im Antrag zu oberflächliche Angaben gemacht oder sogar gelogen zu haben. Im schlimmsten Fall zahlt das Unternehmen gar nicht. Dann gerät der Versicherte, durch seine Erkrankung ohnehin in schwieriger Lage, auch noch finanziell in Not.
Problem: Unkonkrete Fragen
Ein Problem: Wer eine Frage falsch versteht, antwortet auch falsch – selbst wenn er ehrliche Angaben macht. Eine falsche Antwort muss also nicht einmal Absicht sein. Die 42-jährige Julia M. (Name der Redaktion bekannt) aus Hamburg hat vor vier Jahren eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen und erinnert sich: „Viele Fragen sind schwierig formuliert. Man weiß nicht genau, was man angeben soll und was nicht.“ Auch den Weg zum Vertrag fand sie sehr aufwendig. „Insgesamt hat es ein halbes Jahr bis zum Abschluss gedauert.“
Gute und schlechte Anträge
Unklare Antragsfragen sind auch in unseren Tests von Berufsunfähigkeitsversicherungen Thema. Wir bewerten dabei auch die Formulare der Anbieter und prüfen, wie kundenfreundlich und verständlich sie sind. Positiv ist, wenn es nur Fragen nach objektiven Krankheiten, Unfällen oder Behinderungen gibt, nicht allgemeine nach „Beschwerden“.
Das liest sich bei einem Versicherer mit „sehr gutem“ Antrag zum Beispiel so: „ Sind Sie in den letzten fünf Jahren untersucht, beraten oder behandelt worden hinsichtlich der Atmungsorgane (z. B. Asthma, chronische Bronchitis, Emphysem, Schlafapnoe)? Ein nur „ausreichender“ Antrag fragt dagegen neben Krankheiten wachsweich nach „Störungen und Beschwerden der Atmungsorgane“. Der Antragsteller weiß wohl kaum, was er angeben soll. Auch den Husten? Nur das, was er beim Arzt gesagt hat oder jedes Zipperlein?
Klinken putzen bei den Ärzten
Oft lassen sich Interessierte beim Antrag helfen. Ohne vertragliche Bindung an einen Versicherer tun das Versicherungsmakler, die zwischen verschiedenen Produkten vieler Anbieter auswählen. Gegen Honorar helfen unabhängige Versicherungsberater. Sie verkaufen keine Policen, sondern beraten neutral (Adressen unter bvvb.de).
Julia M. hat sich vom unabhängigen Berater Rüdiger Falken helfen lassen. Er schickt seine Mandanten immer zu ihren Ärzten, um die eigene Erinnerung mit den Notizen in den Patientenakten abzugleichen. Denn selbst wenn man sich an die Ärzte der vergangenen Jahre erinnert, ist nicht sicher, ob man alle in der Akte dokumentierten Beschwerden kennt.
Manche Beschwerden schrieb ein Arzt vielleicht auf, weil ein Patient nebenbei von einem kleinen Leiden berichtete, etwa von „Rückenschmerzen nach einer langen Wanderung in Südtirol“. Anderes hat der Mediziner vielleicht ein wenig übertrieben, um so bestimmte oder bessere Medikamente verschreiben oder eine außerordentliche Vorsorgeuntersuchung begründen zu können.
Patientenquittungen angefragt
Wir haben eine kleine Probe aufs Exempel gemacht: Eine unserer Mitarbeiterinnen hat recherchiert, was ihr Arzt abgerechnet hat. Bei der Krankenkasse können gesetzlich Krankenversicherte eine Patientenquittung anfordern. Sie enthält alle Leistungen, die Ärzte in den vergangenen 18 Monaten mit der Kasse abgerechnet haben. Und siehe da, die Übersicht mit Angaben zu Behandlungen, Diagnosen und Kosten enthielt auch Unerwartetes: Schmerzen im Mittelfuß und eine Behandlung zur Einrenkung von Fehlstellungen der Wirbelsäule. Davon war unserer Mitarbeiterin nichts bekannt.
Dass solche „unbekannten“ Diagnosen oder Behandlungen im Ernstfall ausschlaggebend sein können, zeigte der Fall eines Zimmerermeisters und Restaurators, über den wir bereits berichteten. Als er wegen einer chronischen Atemwegserkrankung seine Berufsunfähigkeitsrente beantragte, wollte sein Versicherer nicht zahlen. Begründung: Der Mann habe erhöhte Leberwerte und den Verdacht auf eine Leberschädigung damals im Antrag nicht angegeben. Glück für den Restaurator: Sein Arzt konnte vor Gericht darlegen, dass sich der Verdacht nicht bestätigt und er deshalb auch nicht mit seinem Patienten darüber gesprochen hatte. (Hier lesen Sie, wie Sie einen Leistungsantrag in der Berufsunfähigkeitsversicherung stellen).
Ärzte haben die Daten
Ein Blick in die Patientenakten ist also Pflicht, bevor man den Antrag auf eine Berufsunfähigkeitsversicherung ausfüllt. Ärzte und Kliniken müssen Patientendaten bis zehn Jahre nach Abschluss einer Behandlung aufbewahren, Patienten jederzeit Akteneinsicht gestatten und eine Kopie der Akte anbieten. Für Kopien dürfen sie bis zu 50 Cent pro Seite verlangen. Bei einer dicken Krankenakte kann einiges zusammenkommen. Patienten sollten die Kosten vorher erfragen.
Ärzte können auch helfen, wenn Interessierte Fragen im Antrag nicht verstehen oder nicht genau wissen, welche Diagnosen zu welcher Frage gehören. Ein Beispiel aus der Patientenquittung unserer Redakteurin: Hinter „Krankheit des Weichteilgewebes durch Beanspruchung, Überbeanspruchung und Druck verursacht“ steckte eine „akute Schleimbeutelentzündung des Handgelenks“. Das sollte man wissen, um sie in den Antragsfragen korrekt angeben zu können. Bei zurückliegenden und bereits ausgeheilten Krankheiten können Mediziner in der Patientenakte dokumentieren, dass die Beschwerden erfolgreich therapiert sind.
Zur kassenärztlichen Vereinigung
Um ein vollständiges Bild zu bekommen, sollten Antragsteller zu allen Ärzten des betreffenden Zeitraums Kontakt aufnehmen, Nach einem Umzug lässt sich das vielleicht nicht mehr einfach nachvollziehen. Dann kann jeder auch bei der für ihn zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung (KV) recherchieren. Finanztest hat bei zwei Kassenärztlichen Vereinigungen nachfragt, über welchen Zeitraum sie Auskunft geben können. Bei der KV Bayern und der KV Baden-Württemberg reichen Informationen zu Praxen, Leistungen und Diagnosen vier bis fünf Jahre zurück.
Falsche Diagnosen machen Probleme
Problematisch können falsche Diagnosen sein. So etwas gibt nicht jeder Mediziner gern zu. „Wir haben das häufiger erlebt. In einigen Fällen gab es Ärger, weil Ärzte das nicht streichen wollten“, berichtet Berater Falken. Weigert sich ein Arzt, eine falsche Diagnose zu korrigieren, können Patienten sich eine Zweitmeinung einholen oder gleich den Arzt wechseln. Der neue Arzt kann die falsche Diagnose nach erneuter Untersuchung gegebenenfalls korrigieren. Außerdem gibt es Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen bei den Ärztekammern. Sie untersuchen den Streitfall anhand von schriftlichen Aufzeichnungen und der Patientenakte.
Ausführliche Antworten mitgeschickt
Beim Ausfüllen ihres Antrags auf einen Berufsunfähigkeitsschutz ging Julia M. systematisch vor. Gemeinsam mit ihrem Ehemann, der ebenfalls so eine Versicherung abschließen wollte, erstellte sie eine Excel-Datei, die alle Ärzte und alle verordneten Medikamente und Diagnosen für die betreffenden Zeiträume enthielt. Sie sagt: „Wir haben dem Versicherer zusammen mit dem Antrag die Gesundheitsfragen auf einem gesonderten Beiblatt ausführlich beantwortet.“
Nutzerkommentare können sich auf einen früheren Stand oder einen älteren Test beziehen.
Ich bin vor dem Abschluss einer PKV. Laut Fragebogen ist für einen Zeitraum bis 10 Jahren zurück anzugeben, ob eine psychiatrische Behandlung erfolgt ist. Diese waren vor ca. 4,5 Jahren. Der Vermittler meinte, man kann diese Frage auch verneinen, wenn man später auf Nummer sicher geht und nie solche Rechnungen bei der PKV einreicht. Dann würde keiner prüfen. Ist das seriös bzw. machbar???
@kunuub: Uns liegen keine Anträge mit solchen Gesundheitsfragen vor. Sie können uns Ihr Antragsformular gern zusenden. Dann schauen wir uns das an. finanztest@stiftung-warentest.de
(maa)
Mir stellt sich die gleiche Frage nach der Familienanamnese, können Sie die Antwort auch mir per Mail schicken?
@Moditest: Pauschal kann man das nicht sagen. Wir haben Ihnen per Mail geantwortet. (PH)
In manchen Versicherungsanträgen wird auch nach Krankheiten von Familienangehörigen gefragt. Allerdings kann ich doch solche Auskünfte nicht ohne deren Einwilligung geben. Muss ich solche Fragen trotzdem wahrheitsgemäß beantworten?