Richtig versichert

„Das Gehirn täuscht uns manchmal“

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Richtig versichert - Welche Versicherungen Sie sich sparen können

Claudia Bassarak, Wirt­schafts­psychologin und Projektleiterin Versicherungen und Recht bei der Stiftung Warentest. © Stiftung Warentest / Marc Brinkmeier

Im Interview erklärt Claudia Bassarak, Wirt­schafts­psychologin und Projektleiterin bei der Stiftung Warentest, warum wir Alltags­risiken manchmal nicht richtig einordnen.

Umgang mit Wahr­scheinlich­keiten nicht immer intuitiv

Frau Bassarak, warum fällt es uns so schwer, Risiken richtig einzuschätzen?

Jede Risiko­abwägung ist für das menschliche Gehirn eine komplexe Angelegenheit. Das liegt auch daran, dass dabei die Wahr­scheinlich­keits­rechnung eine Rolle spielt. Aus mathematischer Sicht kommen bei einem Risiko zwei Faktoren zusammen: die Eintritts­wahr­scheinlich­keit und das Schadens­ausmaß. Der Umgang mit Wahr­scheinlich­keiten gelingt unserem Gehirn nicht mühelos oder intuitiv wie das Fangen eines Balls. Bei einer Risiko­abwägung müssen wir willentlich nach­denken und rechnen. Wie wahr­scheinlich ist es, bei zwei Münzwürfen zweimal „Zahl“ zu werfen? Diese Frage können die meisten Menschen nicht intuitiv beant­worten, sie brauchen etwas Zeit dazu. Richtig ist: Es gibt eine 25-prozentige Wahr­scheinlich­keit.

Wer nicht rechnen möchte, kann Wahr­scheinlich­keiten und Statistiken im Internet einsehen. Die Daten des Statistischen Bundes­amts etwa stehen allen zur Verfügung und könnten bei der Einschät­zung eines persönlichen Risikos eine Hilfe sein ...

Das ist korrekt. Die Forschung um Wahr­nehmung und Urteils­verzerrungen zeigt jedoch, dass wir sogar bekannte Wahr­scheinlich­keiten unterschiedlich gewichten: Geringe Wahr­scheinlich­keiten werden oft überge­wichtet, mitt­lere und hohe Wahr­scheinlich­keiten tendenziell unterge­wichtet. Für die Risiko­einschät­zung im Alltag bedeutet das, dass Menschen die Bedrohung durch seltene Ereig­nisse wie Terror­anschläge im Vergleich zur tatsäch­lichen Häufig­keit über­schätzen und die Bedrohung durch häufigere Ereig­nisse wie einen Herz­infarkt in Verhältnis zu ihrem Vorkommen unterschätzen.

Dramatische Ereig­nisse sind selten, aber präsenter

Warum ist das so?

Unsere Risiko­einschät­zung wird nicht nur von reinen Wahr­scheinlich­keits­daten, sondern auch von anderen Aspekten beein­flusst. Zum Beispiel können wir uns bestimmte dramatische Ereig­nisse wie Terror­anschläge leichter vorstellen. In der Fach­sprache heißt das: Sie sind mental verfügbar. Ein Grund hierfür ist, dass in den Medien besonders emotional oder häufig darüber berichtet wird. Über Herz­infarkte jedoch weniger. Außerdem schätzen wir Risiken als geringer ein, wenn wir meinen, wir hätten die Möglich­keit, durch unser eigenes Verhalten einen kontrollierenden Einfluss auszuüben. Ob ich einen Herz­infarkt bekomme, kann ich womöglich durch meine Lebens­führung beein­flussen. Ob ich Opfer eines Terror­anschlags werde, kaum.

Was bedeutet das für Versicherungs­kunden?

Dass für sie die Möglich­keit besteht, sich gegen die falschen Risiken abzu­sichern oder zumindest bestimmte Risiken zu unterschätzen. Hierzu möchte ich auf die Studie „Todsicher“ vom Goslar Institut* verweisen. In Bezug auf versicherungs­relevante Themen werden zum Beispiel die Häufig­keit von Leitungs­wasser­schäden oder Rechts­streitig­keiten unter­schätzt, die tödlicher Verkehrs­unfälle oder Computerkriminalität dagegen über­schätzt.

Hohe Eintritts­wahr­scheinlich­keit für eine Berufs­unfähigkeit

Soll ich mich also nur gegen wahr­scheinliche Ereig­nisse absichern?

Nein. Zur Risiko­einschät­zung muss neben der Eintritts­wahr­scheinlich­keit auch das mögliche Schadens­ausmaß berück­sichtigt werden. Auch Schäden, die sehr unwahr­scheinlich sind, die aber bei Eintritt solche gravierenden Folgen hätten, dass man sie finanziell über­haupt nicht stemmen könnte, sollten versichert werden. Bei Berufs­unfähigkeit, Pflege und Alters­vorsorge ist im doppelten Sinne Hand­lung geboten: Die sogenannten Eintritts­wahr­scheinlich­keiten sind hier mitunter sehr hoch und zusätzlich ist der finanzielle Bedarf mitunter erheblich.

*Studien­gesell­schaft für verbrauchergerechtes Versichern e.V. (goslar-institut.de).

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Profilbild Stiftung_Warentest am 23.06.2023 um 13:33 Uhr
Berufsunfähigkeitsversicherung?

@Nico3417: Wir empfehlen Ihnen, vor einer Kündigung des Versicherungsschutzes Ihre Versicherungsbedingungen zu prüfen. Versicherer mit verbraucherfreundlichen Bedingungen bieten in der Regel Versicherungsschutz bis zum Ende der Vertragslaufzeit, wenn Versicherungsnehmer nicht nur vorübergehend, sondern auch endgültig aus dem Berufsleben ausscheiden. Grundlage ist dann die zuletzt vor Ausscheiden aus dem Beruf ausgeübte Tätigkeit.

Nico3417 am 21.06.2023 um 21:39 Uhr
Berufsunfähigkeitsversicherung

Als Vorruheständler noch nötig oder kann ich sie kündigen?

hansen75 am 20.10.2022 um 10:42 Uhr
Hohe KfZ-Beiträge für ältere Autofahrer Einwand

Sie haben Recht das man die Versicherung auf jemand jüngeres Übertragen kann,
es geht auch einfacher: Gute Unternehmen bieten "Pauschaltarife" an, da sollte man sich mit dem Makler/Vertreter seines Vertrauens zusammen setzten, Nicht mit der VZ ! Die Kollegen haften auch für Ihre Beratung. Was die Prämie/den Beitrag wirklich hoch jagt ist der Nutzer, nicht der VN und da gehts ums Geburtsjahr.
Zu mir : bin Mehrfachvertreter sowie Einfirmenvertreter

thomas_muc am 19.10.2022 um 18:19 Uhr
Haftpflichtversicherung

Zur Haftpflichtversicherung und Schäden durch Kinder sollte m.E. unbedingt darauf geachtet werden, dass duese nicht den Passus „sofern keine andere Versicherung eintritt“. Unser Sohn hat mal ein Auto leicht zerkratzt (3 Jahre alt), das vollkaskoversichert war und somit hat die immer so gut getestete Huk (mit grünen Haken in den Testberichten bei Schäden durch Deliktunfähigkeit) nicht gezahlt. Haben dann die Haftpflicht gewechselt zu einer ohne dieser Einschränkung…

Profilbild Stiftung_Warentest am 24.02.2022 um 18:31 Uhr
Hohe KfZ-Beiträge für ältere Autofahrer/innen

@1851135769: Vielen Dank für Ihre Ergänzungen, die wir an die Redaktion weiterleiten. Zu den hohen KFZ-Prämien Älterer berichteten wir in Finanztest und gaben dort auch Spartipps
https://www.test.de/Autoversicherung-wie-aeltere-Fahrer-zur-Kasse-gebeten-werden-4964853-0/