Auch wenn der Schreck tief sitzt, müssen Unfallbeteiligte einen kühlen Kopf bewahren. Die Experten von Finanztest haben einen 4-Schritte-Plan für die Unfallsituation entwickelt – von der Sicherung der Unfallstelle bis zum gekonnten Umgang mit der Versicherung. Wer den Plan beachtet, macht alles richtig. Die Polizei muss nicht immer kommen.
Das sind die typischen Fehler
Was tun, wenn es gekracht hat? Meist geht es hoch her – selbst bei kleinen Blechschäden. Richtig zu handeln, ist erst recht schwierig, wenn es Verletzte oder Tote gibt. Typische Fehler nach dem Unfall sind:
- Die Unfallstelle nicht zu sichern. Passieren weitere Unfälle, droht ein Verfahren wegen fahrlässiger Körperverletzung. Außerdem steht auf fehlende Sicherung ein Verwarnungsgeld von 30 Euro.
- Die Unfallstelle nicht zu räumen und den Verkehr zu behindern.
- Weder Beweise zu sichern, noch Zeugen zu suchen. Das verzögert die Regulierung.
- Im Auto zu bleiben, statt sich hinter der Leitplanke in Sicherheit zu bringen.
Unfallbeteiligte müssen anhalten
Wichtig: Alle Beteiligten sollten anhalten. Auch wer scheinbar nicht in den Unfall verwickelt ist, kann beteiligt sein – zum Beispiel wenn er jemandem die Vorfahrt genommen hat, ohne es zu merken. Unfallbeteiligte müssen am Ort bleiben, bis ihre Personalien festgestellt sind. Das gilt auch, wenn sie es eilig haben oder einen wichtigen Termin. Laut Strafgesetzbuch hat der Unfallgegner ein Recht darauf, die Informationen zur Person zu bekommen. Das Kennzeichen des Autos reicht nicht.
Tipp: Lassen Sie sich den Personalausweis zeigen, nicht nur den Führerschein. Weigert sich der andere, rufen Sie die Polizei. Er muss dann so lange warten, bis sie eintrifft. Hat sich jemand verletzt, müssen auch Unbeteiligte anhalten und erste Hilfe leisten. Unterlassene Hilfeleistung ist strafbar. Ob kleiner Blechschaden oder schwerer Zusammenstoß – richtig handelt nach dem Unfall, wer vier Schritte beachtet.
1. Schritt: Verletzte versorgen und Unfallstelle richtig absichern
Oberste Priorität direkt an der Unfallstelle haben die Versorgung von Verletzten und die Absicherung der Unfallstelle. Also Warnblinklicht einschalten und Warndreieck aufstellen. In der Stadt reichen 50 Meter Abstand, auf Bundesstraßen empfiehlt die Polizei Bayern 100 Meter, auf Autobahnen 200 Meter. Orientierung geben die Leitpfosten: Sie stehen in der Regel in jeweils 50 Meter Abstand. Zur Sicherheit sollte man sich eine Warnweste überziehen.
2. Schritt: Bei schweren Unfällen per Handy oder Notrufsäule Hilfe holen
Dann der Notruf. Bei schweren Unfällen und wenn es Verletzte gibt, empfiehlt es sich, die Notrufnummer 110 der Polizei oder die Notfallnummer 112 anzurufen. Das ist auch ohne Guthaben auf dem Handy möglich. Die 112 funktioniert fast überall in der EU, in der Schweiz, Türkei und Norwegen.
Die deutschen Autoversicherer bieten gemeinsam eine gebührenfreie Notrufnummer, an die Autofahrer sich nach einem Unfall wenden können: Sie lautet 0 800 / 6 68 36 63. Die Notrufzentrale der Versicherer verständigt nach dem Anruf die Polizei und falls nötig Feuerwehr und Krankenwagen.*
An Autobahnen kann man die Notrufsäulen nutzen. Sie stehen alle zwei Kilometer. Ein schwarzer Pfeil an den Leitpfosten zeigt die Richtung zur nächsten Säule. An Bundesstraßen stehen sie nur vereinzelt. Dort werden sie aus Kostengründen abgebaut. Anrufer sollten mitteilen:
- Wo ist der Unfall passiert?
- Was ist passiert?
- Gibt es Verletzte? Welche Verletzungen?
- Wer meldet den Unfall?
Tipp: Legen Sie nicht gleich auf oder laufen hektisch zurück zum Unfallort. Es kann sein, dass die Rettungsstelle Rückfragen hat.
Polizei muss nicht immer sein
Bei reinen Blechschäden stellt sich die Frage: Muss man die Polizei rufen? „Nein“, sagt Pressesprecher Hans-Jürgen Marker von der Gewerkschaft der Polizei. Die Beamten dürfen sich weigern zu kommen: „Aber wenn der Bürger will und Kollegen verfügbar sind, fährt eine Streife los.“ Das kostet nichts. Wenn der Verdacht auf eine Straftat besteht, kommt die Polizei sogar auf jeden Fall. Bei Blechschäden machen die Beamten eine „vereinfachte Sachverhaltsfeststellung“: keine ausführliche Dokumentation, keine Zeugenbefragungen, keine Fotos, keine Skizze, schon gar keine Prüfung technischer Sachverhalte.„Die Kollegen steigen nicht so weit in den Fall ein, dass sie die Schuldfrage abschließend klären“, erklärt Marker. Das ist auch nicht ihr Job. Die Polizei klärt Verkehrsverstöße, nicht Schadenersatzansprüche. Das regeln die Versicherer.
Verwarnung von der Polizei
Der Fahrer, den wahrscheinlich die Schuld trifft, muss ein Verwarnungsgeld zahlen, maximal 55 Euro. Akzeptiert er es nicht, folgt ein Bußgeldverfahren. Akzeptiert er es, bedeutet das aber kein Schuldanerkenntnis.
Tipp: Machen Sie am besten nur Angaben zur Person und zum Fahrzeug. Nur dazu sind Sie verpflichtet – nicht zu weiteren Aussagen. Die können später eventuell zu Ihren Ungunsten verwendet werden. Zahlen Sie das Verwarnungsgeld nur, wenn Ihre Schuld eindeutig ist.
Eine Verwarnung ist kein Schuldanerkenntnis
Auch für die Versicherer gilt die Verwarnung nicht als Schuldanerkenntnis, sie ist aber ein Anhaltspunkt für die Haftung. „Die Versicherer verlangen kein polizeiliches Unfallprotokoll“, sagt Tibor Pataki vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft. „Bei den meisten Blechschäden ist die Polizei gar nicht nötig.“ Unverzichtbar hingegen ist sie nach Unfällen mit Toten oder Verletzten. Die Polizei zu holen, empfiehlt sich außerdem ...
- bei Sachschäden von mehr als 1 000 Euro,
- bei unklarer Schuldfrage,
- wenn der Unfallgegner keine Papiere hat,
- wenn er unter Alkohol oder Drogen steht,
- bei Unfällen mit Wild,
- wenn Öl oder Treibstoff auslaufen und
- wenn das fremde Auto im Ausland zugelassen ist oder der Fahrer dort lebt.
Bei Mietwagen und Firmenfahrzeugen gibt es oft Vorschriften, die Polizei zu rufen.
3. Schritt: Beweise sichern – Fotos, Adressen, Kennzeichen, Zeugen
Direkt nach dem Unfall sollte man Personalausweisdaten, Adressen und Kennzeichen notieren, Zeugen suchen und Fotos machen. Als Erstes sind Übersichtsbilder der Situation aus verschiedenen Blickwinkeln sinnvoll. Es ist gut, feste Punkte wie Laternen mitzufotografieren, ebenso Details wie Knicke in der Bremsspur, Splitter, abgebrochene Teile. Mit Kreide lassen sich die Fahrzeugecken auf dem Asphalt kennzeichnen, ebenso Radpositionen und Lenkeinschlag.
Tipp: Fahren Sie erst danach die Autos zur Seite. Lesen Sie abgerissene Teile auf.
Dann ist Zeit, die Schäden an den Autos im Detail zu fotografieren – mit und ohne Blitzlicht, falls es Spiegelungen gibt. Es kommt nicht darauf an, jeden Kratzer genau abzulichten. Das kann ein Sachverständiger auch später. Die Fotos sollten zeigen, was demoliert ist: Front, Seite, Heck? Wichtig ist ein Unfallprotokoll. Am besten ist der Europäische Unfallbericht. Formulare gibt es gratis bei Versicherern, Autoclubs und auch im Internet unter Verkehrsanwaelte.de. Einen Ausdruck kann man sich vorsorglich ins Auto legen. Das Formular sollten alle Beteiligten unterschreiben. Doch es kommt vor, dass Autofahrer dies ablehnen, aus Angst, ein Schuldanerkenntnis abzugeben. Schließlich verlangen die Versicherer, dass ihr Kunde vor Ort keine Schuld eingesteht. Doch die Unterschrift unter diesen Unfallbericht ist kein Schuldanerkenntnis.
4. Schritt: Gekonnt mit Versicherern umgehen
Wenn der Unfallgegner seine Versicherung nicht nennt, übernimmt der Zentralruf der Autoversicherer, Telefon 0 800/2 50 26 00. Er gibt den Unfall an die zuständige Autoversicherung weiter. Die meldet sich beim Geschädigten, oft schon am Unfallort. Typisches Angebot: „Wir kümmern uns um alles, stellen einen Mietwagen, schleppen Ihr Auto in die Werkstatt, reparieren es und stellen es Ihnen gewaschen vor die Haustür.“ Das klingt verlockend, hat aber oft Nachteile. Den Versicherungsgesellschaften geht es darum, den Schaden günstig zu regulieren. Sie stehen wirtschaftlich auf der Gegenseite. Das Auto kommt in eine Werkstatt, die mit dem Versicherer kooperiert. Repariert sie den kompletten Schaden oder richtet sie ihn nur oberflächlich? Mit neuen Teilen oder mit gebrauchten? Bei dieser Direktregulierung kann einiges unter den Tisch fallen, etwa ein Ausgleich für die Wertminderung oder Auslagenpauschalen. Oft wird bei Personenschäden geknausert oder der Mietwagen ist eine Nummer zu klein.
Tipp: Nehmen Sie zunächst Kontakt zu einem Rechtsanwalt auf, erst danach zur gegnerischen Versicherung.
Abfindungsangebote mit Haken
Selbst wenn sie ein attraktives Abfindungsangebot macht, kann das einen Haken haben. Meist soll der Geschädigte auf weitere Forderungen verzichten. Es kann aber Spätfolgen geben – auch gesundheitliche, die man kurz nach dem Unfall noch gar nicht kennt. Aufpassen müssen Geschädigte auch beim Sachverständigen. Sie dürfen selbst einen unabhängigen Experten aussuchen (Special Autoversicherung: Mit eigenem Gutachter alles rausholen, Finanztest 5/2015). Die Kosten zahlt die gegnerische Versicherung – hat der Geschädigte Teilschuld, nur anteilig.
Tipp: Vorsicht bei Bagatellen. Beträgt ein Blechschaden voraussichtlich nur etwa 500 bis 900 Euro, reicht der Kostenvoranschlag einer Werkstatt. Ein teures Gutachten wäre unangemessen. Geschädigte haben Anspruch darauf, dass ein unabhängiger Gutachter den Schaden prüft.
* Passage korrigiert am 16.10.2015.
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Alles richtig erzählt, aber an zahlreichen Realitäten unterschiedlichster Schadensabwicklung vorbei. Nicht die meisten, sondern die schlimmsten Unfälle passieren im "übersichtlich" maßnahmengeregelten Schnellverkehr (auf Autobahnen, also selten ohne Polizei und Notfalldienste). Bei zahlenmäßig ungleich größeren Blechschäden im Stadt- und Regionalverkehr - mit oder ohne Polizeibeteiligung - kann man dagegen zunehmend die Erfahrung machen, dass sich über Schuldfragen die beteiligten Versicherer erst später untereinander "verständigen". Vorsicht deshalb mit angeblich sofort "beanspruchbaren" Anwälten, Gutachtern, Leihwagen etc., wenn man am Ende nicht auf der Hälfte seiner Auslagen oder einem anderen prozentualen Betriebsgefahren-Schadensanteil sitzen bleiben und deswegen nicht mehr klagen will.