Verbraucherschutzverbände erhalten mehr Macht: Sie können Unternehmen jetzt auch zwingen, rechtswidrig kassierte Beträge zu erstatten. So sieht es jedenfalls das Oberlandesgericht Dresden. Setzt sich die Rechtsansicht durch, bekommen Verbraucher künftig rechtswidrig kassiertes Geld zurück, ohne dass sie selbst es fordern oder gar klagen müssen. Damit ist jetzt schon mehr Verbraucherschutz möglich, als die neue Musterfeststellungsklage haben wird. test.de erklärt die Rechtslage.
Streit um Milliarden
Einer der spektakulärsten Erfolge im Verbraucherschutz waren der Streit um die Kreditbearbeitungsgebühren. Wohl ein bis zwei Milliarden Euro der rechtswidrigen Entgelte mussten Banken und Sparkassen wieder herausgeben, nachdem die Zivilgerichte bis hin zum Bundesgerichtshof geurteilt hatten: Die Gebühren sind rechtswidrig. Für Kredite dürfen Banken nur Zinsen kassieren und nicht auch noch von der Laufzeit unabhängige Entgelte. test.de und andere Medien machten das Urteil publik. Millionen von Verbrauchern forderten daraufhin Erstattung. Und dennoch: Den größten Teil der insgesamt schätzungsweise rund 15 Milliarden Euro rechtswidrig kassierter Gebühren durften die Kredithäuser behalten, weil ihre Kreditnehmer entweder nichts von ihrem Recht erfuhren oder sie sich nicht aufrafften, die Erstattung zu fordern und zur Not auch mit Schlichter oder Rechtsanwalt durchzusetzen.
Rechtswidrige Gewinne für Banken und Sparkassen
Noch viel düsterer sieht es aus, wenn es um Mini-Gebühren wie 0,32 Euro für die Rückbuchung geplatzter Lastschriften oder 0,30 Euro je Buchungsposten geht. Das Porto für den Brief mit der Erstattungsforderung ist in solchen Fällen meist höher als die zu erstattende Gebühr. Entsprechend selten bitten Kunden ihre Bank oder Sparkasse dann auch wirklich zur Kasse. Schließlich treffen unzulässige Bankgebühren Verbraucher oft in einem Augenblick, wo sie andere Sorgen haben, als einen Rechtsstreit mit der Bank anzuzetteln. So lag der Fall, den die Verbraucherzentrale Sachsen vor Gericht brachte: Die Volksbank Dresden-Bautzen kassierte regelmäßig 30 Euro, wenn Gläubiger eines Kunden dessen Guthaben bei der Bank pfändeten. Das geschieht, wenn Menschen in die Schuldenfalle tappen und markiert oft den Anfang einer Privatinsolvenz.
Rechtswidrige Gewinne für Banken und Sparkassen
Doch damit könnte jetzt Schluss sein. Nach dem Urteil des Oberlandesgerichts Dresden im Streit um die Pfändungsgebühr kann die Verbraucherzentrale Sachsen von der Volksbank Dresden-Bautzen nicht nur verlangen, die rechtswidrige Gebühr zu stoppen, sondern sie auch zwingen, sie allen betroffenen Kunden zu erstatten. Unterbleibt die Erstattung auch nur an einen einzigen Betroffenen, kann die Verbraucherzentrale beim Landgericht Leipzig beantragen, ein Ordnungsgeld von bis zu 250 000 Euro zu verhängen.
Gute Chance auf Bestätigung durch BGH
Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Der Fall liegt jetzt beim Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Die Chancen, dass der das Urteil aus Dresden bestätigt, sind allerdings gut. Das oberste deutsche Zivilgericht hat zu einer Klage der Verbraucherzentrale Hamburg im Dezember bereits entschieden: Grundsätzlich können Verbraucherschutzverbände nicht nur ein Verbot verbraucherrechtswidriger Praktiken durchsetzen, sondern zusätzlich nach dem Gesetz über unlauteren Wettbewerb die Beseitigung unzulässiger geschäftlicher Handlungen verlangen. Genau so hatte auch das Oberlandesgericht Dresden argumentiert. In Karlsruhe war nur noch offen geblieben, wie weit das Recht auf Beseitigung illegaler Geschäftspraktiken reicht.
Ein Verfahren, alle Betroffenen profitieren
Bleibt es beim Dresdner Urteil, dann haben Verbraucherschutzverbände für Streitigkeiten um rechtswidrige Entgelte bereits jetzt bessere Möglichkeiten, Verbraucherschutz zu erzwingen, als sie das Musterfeststellungsklagegesetz noch bringen soll. Die Musterfeststellungsklage klärt zwar für alle registrierten Verbraucher verbindlich, ob sie bestimmte Ansprüche haben. Die einzelne Forderung als solche ist aber im Musterverfahren nicht Thema. Die müssen Verbraucher nach Abschluss des Verfahrens separat geltend machen und durchsetzen. Gleichwohl: Wenn wie zum Beispiel im Abgasskandal um Schadenersatz gestritten wird, kann die Musterfeststellungsklage besser geeignet sein, um Verbraucherschutz durchzusetzen. Einzelheiten dazu in unseren FAQ Musterfeststellungsklage.
Jubel bei Verbraucherschützern
Das Urteil aus Dresden lässt Verbraucherschützer jubeln. „Das ist ein großer Erfolg für den Verbraucherschutz“, freut sich Michael Hummel, Leiter des Rechtsreferats bei der Verbraucherzentrale Sachsen. Julia Rehberg von der Verbraucherzentrale Hamburg pflichtet ihm bei. Bestätigt sich die Linie des Oberlandesgerichts Dresden, dann profitieren Verbraucher künftig direkt von unserer Arbeit, erklärt sie. Jubel auch bei der Schutzgemeinschaft für Bankkunden und ihren Anwälten: „Dieses Urteil freut uns riesig. Und wir hoffen wirklich inständig, dass es vom Bundesgerichtshof bestätigt wird“, sagte Jörg Schädtler, Vorsitzender des Vereins. „Das Urteil könnte auch positive Folgen für zahlreiche weitere gängige Rechtsbrüche der Banken haben: Banken könnten möglicherweise auch dazu verpflichtet werden, unaufgefordert den Nutzungsersatz widerrufener Darlehensverträge zu erstatten oder die Guthaben „vergessener Sparbücher“ an die Erben auszuzahlen, anstatt sich diese nach einiger Zeit einfach einzuverleiben“, ergänzte Rechtsanwalt Michael Dorst.
Oberlandesgericht Dresden, Urteil vom 10.04.2018
Aktenzeichen: 14 U 82/16 (nicht rechtskräftig, Revision beim Bundesgerichtshof läuft)
Bundesgerichtshof, Urteil vom 14.12.2017
Aktenzeichen: I ZR 184/15
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Was das "Windhundprinzip" - rechtstechnisch: Prioritätsprinzip - angeht, heißt es im Gesetz: "Ab dem Tag der Rechtshängigkeit der Musterfeststellungsklage kann gegen den Beklagten keine andere Musterfeststellungsklage erhoben werden, soweit deren Streitgegenstand denselben Lebenssachverhalt und dieselben Feststellungsziele betrifft." (§ 610 Abs. 1 Satz 1 ZPO in der ab 1.11.2018 gültigen Fassung). Ob die Gerichte das eher eng oder weit auslegen werden, weiß ich nicht. Für recht sicher halte ich: Für nicht von der ersten Klage erfassten Feststellungen ist eine zweite Klage zulässig, auch wenn es um den im wesentlich gleichen Sachverhalt geht.
Einzelheiten zur Musterfeststellungsklage finden Sie in unseren FAQ zum Thema. Der Link dahin fehlte hier, ich habe ihn eben am Ende des Absatzes "Ein Verfahren, alle Betroffenen profitieren" ergänzt.
Bitte entschuldigen Sie die verzögerte Reaktion, ich war gestern & vorgestern nicht im Einsatz.
Stiftung Warentest schreibt: "Beispiel im Abgasskandal um Schadenersatz gestritten wird, kann die Musterfeststellungsklage besser geeignet sein, um Verbraucherschutz durchzusetzen."
Welche Verbraucherschützer dürfen überhaupt eine Musterfeststellungsklage führen?.
Wird Stiftung Warentest oder eine Verbraucherzentrale im November noch hinsichtlich des Abgasskandals klagen?
Nach meinen Informationen gilt das "Windhundprinzip", d.h. die Verbraucherorganisation, die zuerst die Musterfeststellungsklage einreicht, hat das alleinige Recht, andere Verbraucherverbände dürfen dann in derselben Sache nicht mehr klagen.
Also könnte in Absprache mit der Beklagten ein Pseudoverbraucherverband die Klage so schlecht formulieren, damit sie erfolglos bleibt. Echte Verbraucherschützer hätten dann keine Chance mehr.
Franz H. aus A., wie kommen sie darauf? Ihre private Statistik? Folgendes habe ich gefunden:
https://rae-oehlmann.de/zahl-der-anwaeltinnen-und-anwaelte-im-deutschen-bundestag-steigt/
154 Juristen im Bundestag, davon 87 Rechtsanwälte. Der Bundestag hat 709 Mitglieder. Im Bundestag sind also nur ca. 22 % Juristen und etwa 12 % Rechtsanwälte. Diese zahlen bestätigen ihre Aussage schon mal nicht. Welche Zahlen haben Sie?
Die Mehrheit der Poliktiker ist Rechstanwalt .Das führ in der vergangenheit nicht zur klaren Ergebnissen.
Ich warte seit Jahren auf die erstattung der rechtswiderigen gebühren bie der vergabe von Hauskrediten.
Recht haben und bekommen ist gut .Mal sehen ob das Grosskapital sich dran hält .