Dr. Birgit Rehlender hat 32 Jahre lang Lebensmittel getestet. Jetzt zieht sie Bilanz

Wegbereiterin: 1988 war Dr. Birgit Rehlender die erste Lebensmittelchemikerin, die in der Stiftung Warentest Projekte leitete. Heute testen dort sechs Fachkollegen.
Von Apfelsaft bis Ziegenkäse: Dr. Birgit Rehlender hat in 32 Jahren als Projektleiterin mit Kompetenz und Leidenschaft 140 Tests mit etwa 4 000 Produkten verantwortet. Nach den Brotaufstrichen hört sie auf. Eine Bilanz.
Es kann immer noch besser werden
Ihr letzter Test war noch einmal eine Premiere: Erstmals wurden Veggie-Brotaufstriche getestet. Was war neu?
Diesmal waren alle Produkte vegan und Bio. Insgesamt überraschte mich das Ergebnis. Etwa, dass einige Produkte sogar fetter und energiereicher waren als Streichwurst im Durchschnitt. Ich sehe insgesamt noch Verbesserungspotenzial in den Rezepturen.
Welche Projekte haben Sie in all den Jahren geleitet?
Die Themen reichten von Alcopops bis Ziegenkäse, von Apfelsaft bis Zimt. Hauptsächlich habe ich mich um Getränke wie Fruchtsäfte, Wein, Bier, Erfrischungsgetränke, Milch, Kakao, Kaffee und vor allem Wasser gekümmert. Aber auch um Fette wie Butter, Margarine und Streichfette sowie um Öle: Raps-, Sonnenblumen- und Gourmetöle, insbesondere um Olivenöl.
Fälschern und Panschern auf der Spur
Und was hat sich über die Zeit an ihrer Arbeit geändert?
Das Wissen aus dem Studium reicht nicht aus. Um meine lebensmittelchemische Expertise auszubauen, habe ich immer wieder Seminare und Kongresse besucht. Die Gesetzgebung ändert sich, die Analytik auch. Wer Fälschern auf die Spur kommen will, muss ständig am Ball bleiben. Wissenschaftliches Testen steht niemals still!
Ist Testarbeit also immer auch spannende Detektivarbeit?
Ja, zum Beispiel jeder Olivenöltest. So konnten wir 1995 die Belastung mit Weichmachern in nativem Olivenöl extra aufdecken, in weiteren Tests falsche Herkunftsangaben und die Belastung mit Mineralölkohlenwasserstoffen. In Orangensaft sind wir auf unerlaubten Zuckerzusatz gestoßen, in Milch auf zu hohen Jodgehalt und in natürlichem Mineralwasser auf fakultativ pathogene Keime, das heißt Keime, die für Immunschwache gefährlich werden könnten.
Hat das auch die Testmethoden beeinflusst?
Unser Testumfang ist gigantisch, weil wir eben nicht auf die Angaben der Hersteller vertrauen. Es wurden neue Prüfmethoden eingeführt, zum Beispiel die Isotopenanalyse: Sie kann grobe Verfälschungen durch Zuckerzusatz in Wein, Fruchtsaft oder Honig zielsicher aufdecken. Wir haben diese Verfahren schon sehr früh eingesetzt. Inzwischen gehört die Isotopenanalytik international zum offiziellen Standard.
Der „Produkt-Pass“ muss stimmen
Und was heißt das für den Verbraucher?
Alle durch unsere Tests initiierten Verbesserungen kommen den Verbrauchern zugute. Jeder soll sich darauf verlassen können, dass das, was draufsteht, auch drin ist. Das gilt für Produktbezeichnungen genauso wie für werbende Hinweise. Für mich ist nicht nur wichtig, ob ein Lebensmittel schadstofffrei und mikrobiologisch sicher ist und gut schmeckt, sondern auch, ob alle Angaben korrekt sind. Der „Produkt-Pass“ muss stimmen.
Hatten auch Leser Anteil an den Tests?
Ja, etwa bei den Mogelpackungen. Die meisten Anregungen kamen von unseren Lesern. Ich habe viele Verstöße gegen das Eichrecht entlarvt.
Was war Ihr Lieblingstest?
Die größten Herausforderungen waren meine fünf Honigtests. Und ich liebe Herausforderungen. Großen Respekt hatte ich vor allem davor, wie die Experten nach den chemischen Untersuchungen, sensorischen Prüfungen und Pollenanalysen Rückschlüsse auf die botanische und geografische Herkunft der Sortenhonige ziehen.
Wissen über Lebensmittel geht verloren
Was hat sich in der Lebensmittelwelt geändert?
Es gibt mehr Vielfalt, etwa durch den globalen Markt, und mehr Convenience-Angebote. So kommt es, dass Produkte, die früher nur handwerklich und frisch hergestellt wurden, nun im Supermarkt als Fertigprodukt verlangt werden: zum Beispiel Sorbet-Eis. Es wird weniger selbst gekocht und gebacken – dadurch geht Wissen über Lebensmittel und Rohstoffe verloren.
Gibt es ein Lebensmittel, das heute verschwunden ist?
Ja, zum Beispiel die Alcopops, diese alkoholhaltigen Süßgetränke sieht man kaum noch. Unser Test von 2004 hat gezeigt, dass man solche Produkte nicht braucht.
Worauf legen Sie persönlich bei Lebensmitteln wert?
Auf Qualität. Ich kaufe nach Zutatenverzeichnis: keinen Joghurt mit Verdickungsmitteln, keine Kekse mit Palmfett. Ich bevorzuge regionale Produkte, wenn die Qualität stimmt. Natürlich muss es mir auch schmecken.
Wenn sich die schwarze Johannisbeere als Blaubeere entpuppt
Woher kommt es, dass Sie so gut schmecken und riechen können?
Wahrscheinlich von meiner Mutter. Doch es lässt sich auch viel trainieren. Ich habe lange bei sensorischen Prüfungen mitverkostet. Eigentlich eine Strapaze, denn man muss sich noch nach 15 Löffeln Honig darauf konzentrieren, die Unterschiede zu erkennen. Aber ich liebe es, etwas herauszuschmecken. Auch im Restaurant schmecke ich beim angeblichen Cassis-Sorbet, dass es Blaubeere ist.
Und nehmen Sie Ihre Kompetenz jetzt einfach mit in die Rente?
Bis Sommer 2021 bin ich als Vorsitzende der Deutschen Lebensmittelbuch-Kommission (DLMBK) berufen und leite in diesem Ehrenamt noch einige Fachausschüsse. Außerdem koche und backe ich sehr gern. Schon meine Töchter haben als Kinder viel in der Küche miterlebt und die Düfte aufgesaugt. Meine Liebe zum Essen möchte ich nun an meine Enkel weitergeben. Demnächst sind es drei.
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