Das Tor-Netzwerk bietet noch mehr Anonymität als VPN-Dienste – deshalb ist es unter anderem bei Dissidenten, Whistleblowern und Kriminellen beliebt. Die Handhabung ist allerdings so umständlich, dass die meisten Nutzer rasch aufgeben dürften.
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Testergebnisse für 14 VPN-Dienste 06/2021
Auf check.torproject.org lässt sich prüfen, ob der Browser mit Tor verbunden ist. Dazu ist ein Spezial-Browser nötig – etwa der Tor-Browser. © Quelle: check/torprojekt, Markierung Stiftung Warentest

Wie Tor funktioniert
Der Begriff „Tor“ geht auf ein Konzept namens „The Onion Routing“ zurück. Wie eine Zwiebel besteht jede Tor-Verbindung aus mehreren Schichten – diese Schichten schützen den Nutzer, indem sie (genau wie bei VPNs) die Daten umleiten und verschlüsseln. Doch während VPNs die Daten „nur“ einmal umlenken, nehmen sie bei Tor einen Umweg über gleich drei Server. Diese sogenannten Knotenpunkte werden zufällig ausgewählt. Jeder Knoten „sieht“ nur seine direkten Nachbarn, nicht die gesamte Verbindungskette. Das kaschiert die Identität aller Beteiligten, da sich Tor-Verbindungen von außen kaum vollständig nachvollziehen lassen.
Beispiel: Peter aus Ulm schickt eine Mail an Sonja in Potsdam. Die Mail wird von Ulm aus zunächst nach Kanada (Server 1), dann nach Australien (Server 2) und schließlich nach Schweden (Server 3) geschickt, ehe sie bei Sonja in Potsdam ankommt. Server 1 hat zwar ein paar Infos über Peters Rechner und über Server 2, erfährt aber nichts von Server 3 oder von Sonja. Da die einzelnen Knotenpunkte stets zufällig selektiert werden, würde Sonjas Antwort wahrscheinlich eine ganz andere Route nehmen – beispielsweise über Japan, Frankreich und Argentinien.

Tor leitet den Datenverkehr des Nutzers mehrfach um – hier unter anderem über Kanada und die Niederlande. © Quelle: facebook, Markierung Stiftung Warentest

Was Tor von VPNs unterscheidet
Funktioniert auch ohne Nutzerkonto. Anders als bei den meisten VPN-Diensten ist für das Tor-Netzwerk kein Nutzerkonto nötig. Dadurch entfallen Identifikationsmerkmale wie E-Mail-Adressen oder Zahlungsdaten. Allerdings sind Verbindungen über Tor aufgrund der mehrfachen Umleitung meist deutlich langsamer als via VPN – das mindert den Komfort beim Surfen spürbar.
Geoblocking umgehen ist schwieriger. Da der Nutzer kaum Einfluss darauf hat, über welche Länder die Daten umgeleitet werden, lässt sich Tor nicht systematisch gegen Geoblocking einsetzen.
Eine Frage des Vertrauens. Ähnlich wie bei VPN-Diensten stellt sich auch bei Tor die „Vertrauensfrage“ – die Lage ist allerdings grundlegend anders: Nutzer von VPN-Diensten müssen einem kommerziellen Anbieter vertrauen, dass er ihre Daten fürsorglich behandelt. Das Tor-Netzwerk ist hingegen komplett dezentral, niemand hat die alleinige Kontrolle darüber – stattdessen besteht es aus vielen Knotenpunkten, die von Mitgliedern des Netzwerks anonym betrieben werden. Hier muss der Nutzer also der Tor-Community vertrauen. Welche dieser beiden Varianten vertrauenswürdiger ist, lässt sich nicht pauschal sagen.
Auch Tor kann keine Anonymität garantieren
Login beendet Anonymität. Websites und Internetanbieter können relativ leicht erkennen, wenn jemand Tor verwendet. Welcher Nutzer genau dahinter steckt, ist zwar meist nicht auf den ersten Blick feststellbar. Doch loggt sich der User via Tor in einen Account ein – etwa in soziale Netzwerke oder E-Mail-Konten – ist die Anonymität perdu.
Leaks und Device Fingerprinting. Selbst ohne Anmeldung gibt es keinen hundertprozentig verlässlichen Datenschutz: Ähnlich wie bei VPN-Diensten kann es zu technischen Fehlern (Leaks) kommen, die Rückschlüsse auf die Identität ermöglichen – zudem sind auch Tor-Nutzer nicht davor gefeit, anhand von Hard-und Softwaredaten ihrer Endgeräte erkannt zu werden (Device Fingerprinting).
Tor durch VPN ergänzen. Das können sich unter anderem staatliche Institutionen zunutze machen, die Tor relativ stark überwachen, da das Netzwerk oft von Kriminellen missbraucht wird. Aufgrund solcher potenzieller Schwächen empfehlen viele Experten, beim Surfen über Tor zusätzlich ein VPN einzusetzen.
Zugang ist einfach, Nutzen oft gering
Lange Zeit war es hauptsächlich IT-Experten vorbehalten, das Tor-Netzwerk zu nutzen. Inzwischen ermöglichen aber Programme wie der Tor Browser, Orfox, Orbot oder Brave auch Laien, recht einfach Zugang zu erhalten. Solange es nicht um strenge Geheimhaltung geht, ist der Nutzen aber sehr begrenzt. Tor hat für die alltägliche Nutzung frei zugänglicher Internetseiten schlichtweg zu viele Nachteile: Es ist langsam, manche Funktionen von Websites werden blockiert und andere Seiten sperren Tor-Nutzer ganz aus. Zudem ist Tor in puncto Vielseitigkeit deutlich eingeschränkter als VPN-Dienste. Die von Tor erzeugte Anonymität lässt sich – in geminderter Form – mit VPN-Diensten deutlich bequemer erreichen.
Dark Web: Sex, Drugs & Auftragsmorde?

Knapp 3000 Dollar für 100 Gramm Crystal Meth? War uns zu teuer… © Quelle: Anbieter, Markierung Stiftung Warentest

Andere Domain-Endung. Die wohl größte Besonderheit des Tor-Netzwerks ist, dass es den Zugang zum sogenannten „Dark Web“ ermöglicht – also Seiten, die sich mit herkömmlichen Browsern nicht aufrufen lassen und die von Google nicht gelistet werden. Die Adressen solcher Seiten enden nicht mit .de oder .com, sondern mit .onion.
Schlechte Seiten. Das Dark Web hat in der Öffentlichkeit einen schlechten Ruf, da dort unter anderem Drogen, Waffen und Kinderpornografie gehandelt werden – außerdem lassen sich Auftragsmorde und Hackerangriffe ordern. Solche kriminellen Portale machen aber nur einen kleinen Teil des Dark Web aus.
Gute Seiten. Viele andere Seiten dort dienen vor allem der Informationsfreiheit und Kommunikation von Menschen aus Staaten mit Internetzensur: In China etwa lassen sich über normale Internetverbindungen weder Facebook noch die New York Times aufrufen – deshalb haben diese Unternehmen Dark-Web-Versionen ihrer Seiten aufgebaut. So wie das Tor-Netzwerk nicht identisch mit dem Dark Web ist, ist das Dark Web also nicht identisch mit Kriminalität.
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Testergebnisse für 14 VPN-Dienste 06/2021Orientierung im Dark Web fällt anfangs schwer
Wer erstmals im Dark Web surft, dürfte sich nur schwer zurecht finden. Diese Welt ähnelt dem Internet im Frühstadium: Ausgefeilte Suchmaschinen sind Mangelware und Websites haben meist Adressen, die sich kein Mensch merken kann. Bei Facebook (facebookcorewwwi.onion) und der New York Times (nytimes3xbfgragh.onion) mag es irgendwie noch gehen, aber bei der Suchmaschine „Grams“ dürfte es nur Gedächtniskünstlern gelingen: grams64rarzrk7rzdaz2fpb7lehcyi7zrrf5kd6w2uoamp7jw2aq6vyd.onion. Viele Links funktionieren gar nicht, sondern führen zu Fehlermeldungen. Welche Shops tatsächlich etwas verkaufen und welche einfach nur Bitcoins ohne Gegenleistung abräumen wollen, ist schwer einzuschätzen.
Fazit: Nur für wenige Nutzer sinnvoll
Aufgrund dieser zahlreichen Schwierigkeiten ist das Tor-Netzwerk für den Alltag von Otto Normalsurfer wenig geeignet. Der technische Aufwand und die Hinnahme der diversen Nachteile bei der Nutzung lohnen sich nur, wenn Geheimhaltung oberste Priorität hat – also vor allem für Dissidenten und Whistleblower.
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Testergebnisse für 14 VPN-Dienste 06/2021-
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@yellowDot: Danke für die Hinweise zu Mullvad! Wir haben den VPN-Test im Frühjahr 2021 durchgeführt. Beim nächsten Test werden wir erneut vorab intensiv den Markt sichten und dann gegebenenfalls auch Mullvad prüfen.
@joe76 ich finde es auch schade das Mullvad VPN hier nicht berücksichtigt wurde. Die machen auch drum herum wirklich gute Arbeit, so sind sie beispielsweise Sponser für das Tor Netzwerk mit über 100.000 $ und haben vor kurzem den Mullvad Browser veröffentlicht. Damit kann man sich auch unabhängig von Mullvad VPN etwas gegen das Tracking mit Browser Fingerprints schützen.
Bei deren offiziellen Partner aus Leipzig, dem ProxyStore gibts Mullvad auch aktuell mit 10% Rabatt.
https://proxysto.re
https://mullvad.net/en/help/partnerships-and-resellers/
Herzlichen Dank für den Tipp zu Mullvad VPN 👍
Ich habe mal probeweise direkt auf der Website mullvad.net ein Zeitkontingent für 30 Tage für 5 € gekauft.
Bei heise.de gibt es einen aussagekräftigen Testbericht zu Mullvad:
https://www.heise.de/download/specials/Anonym-surfen-mit-VPN-Die-besten-VPN-Anbieter-im-Vergleich-3798036
Das Entsperren von Geoblocking für öffentliche Sender funktioniert leider nicht bei allen Ländern:
* ja = 🇸🇪 und 🇩🇰
* nein = 🇳🇴
Hallo liebes Test-Team,
vielen Dank für die seriöse Analyse. Trotz der bereits gelisteten VPN-Anbieter fehlt mir noch der datenschutzfreundliche Ansatz: Mullvad VPN.
Die Mozilla Organisation hat sich mit der schwedischen Firma zusammengetan, um selbst ihr eigenes Mozilla VPN auf die Beine zu stellen, auf Basis von Mullvad. Und Letztere ist ja eher dafür bekannt, seinen Nutzer wohlwollend eine Dienstleistung anzubieten, die auch den Datenschutz eines einzelnen Nutzers respektiert. Man kann sogar Bar bezahlen und sie wollen nur das an Daten sammeln, was sie müssen.
Ich verstehe daher wenig, wieso man nur den "Mainstream" abdeckt - kein Wunder, dass die Bewertung der VPN-Software so miserabel ausfällt. Was mich aber stört, ist, dass Anbieter damit werben - ohne direkte Angabe der Bewertung (https://www.appgefahren.de/surfshark-vpn-von-der-stiftung-warentest-empfohlen-aktuell-mit-84-prozent-rabatt-2-gratis-monate-329548.html)
Transparenz: ich bin leidenschaftlicher Mullvad VPN Nutzer.
@Benutzerinnen: Diesen Anbieter haben wir nicht untersucht und können keine Einschätzung geben.