Wenn ein Elternteil abtaucht, unbekannt oder zahlungsunfähig ist, streckt der Staat Unterhalt für Kinder vor – künftig sogar bis zum 18. Geburtstag. Die neue Regelung gilt ab Juli und hilft auch Halbwaisen, wenn die Hinterbliebenenrente geringer als der Mindestunterhalt ist. test.de erklärt, was sich alles ändert.
Wenn der Partner nicht zahlt
Sandra Becker hat sich den 1. Juli 2017 dick im Kalender angestrichen. Ab dem Tag ändert sich das Unterhaltsvorschussgesetz. „Das macht mein Leben als Alleinerziehende deutlich leichter“, sagt sie. Der Staat zahlt dann für Kinder bis zum 18. Geburtstag auf Antrag einen Unterhaltsvorschuss. Eigentlich ist der Elternteil, der nicht bei den Kindern lebt, in der Pflicht, Unterhalt zu zahlen (Jedes Kind hat darauf Anspruch). „Das hat der Vater aber seit der Geburt meines Sohnes nicht getan“, berichtet Becker.
Jedes Zweite bekommt kein Geld
Damit ist sie nicht allein. Etwa die Hälfte aller Kinder Alleinerziehender bekommt nach einer Studie aus dem Jahr 2014 keinen Unterhalt von dem Elternteil, der nicht bei ihnen lebt. Ein weiteres Viertel erhält weniger als den Mindestbetrag aus der als Richtschnur anerkannten Düsseldorfer Tabelle. Sie zeigt, wie viel der Unterhaltspflichtige je nach Nettoeinkommen und Alter des Kindes zahlen muss. Familiensenate der Oberlandesgerichte und der Deutsche Familiengerichtstag legen die Werte fest.
Alleinerziehende besonders armutsgefährdet
Kindesunterhalt ist ein wichtiger Baustein für das Einkommen von Ein-Eltern-Familien (Finanzielle Hilfe für Alleinerziehende). Der Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung vom April 2017 zählt erneut Alleinerziehende und ihre Kinder zu den besonders armutsgefährdeten Gruppen. Das betrifft 1,6 Millionen Familien und damit jede fünfte in Deutschland. In neun von zehn Fällen betreut die Mutter die Kinder allein.
Bisher zahlte der Staat nur bis zum 12. Geburtstag
Auch bisher sprang der Staat schon für den säumigen Elternteil ein, aber höchstens 72 Monate lang und nur bis zum 12. Geburtstag des Kindes. Das Geld fordert er dann vom Unterhaltspflichtigen zurück.
Auch Halbwaisen steht Unterhaltsvorschuss zu
Lief der Anspruch auf den Unterhaltsvorschuss aus, traf es vor allem jene Alleinerziehenden hart, die auch danach keine Zahlungen zu erwarten hatten, etwa weil die Väter abgetaucht, unbekannt, zahlungsunfähig oder verstorben waren. Halbwaisen steht Unterhaltsvorschuss zu, wenn die Hinterbliebenenrente den Mindestunterhalt nicht erreicht.
Für Kinder bis zum 18. Geburtstag
Claudia Neuhaus, alleinerziehende Mutter von Zwillingen, sah sich gezwungen, für den Lebensunterhalt ihrer Familie unter anderem ihren Altersvorsorgevertrag stillzulegen, als die 72 Monate bei ihren Kindern verbraucht waren. Nun sorgt sie sich um ihre Zukunft: „Altersarmut ist ein Thema für mich.“ Sie hofft, dass sie die Zahlungen für ihren Altersvorsorgevertrag wieder aufnehmen kann, wenn der Unterhaltsvorschuss erst einmal wieder fließt. Sie will den Antrag so schnell wie möglich stellen, rechnet aber damit, dass es ein Weilchen dauert, bis das Geld auf dem Konto landet. Im Berliner Bezirk Steglitz-Zehlendorf etwa dauert die Bearbeitung aktuell vier bis sechs Wochen.
Über 100 000 Kinder könnten profitieren
Ab Juli kommen Zehntausende von Anträgen auf die Städte und Gemeinden zu. Das Bundesfamilienministerium rechnet mit 46 000 Kindern unter zwölf Jahren und weiteren 75 000 Kindern unter 18 Jahren bundesweit, die von der Gesetzesänderung profitieren.
Tipp: Stellen Sie den Antrag möglichst bald ab 1. Juli 2017. Der Vorschuss kann rückwirkend für den Monat vor Antragsstellung gezahlt werden. Wenn Sie den Antrag im August stellen, können Sie also auch für Juli Unterhaltsvorschuss erhalten.
Weniger als der Mindestunterhalt
„Die Alleinerziehenden haben auch mit Unterhaltsvorschuss weniger Geld zur Verfügung, als wenn der andere Elternteil wenigstens Mindestunterhalt zahlen würde“, kritisiert Miriam Hoheisel, Geschäftsführerin des Verbands alleinerziehender Mütter und Väter in Deutschland. Als Mindestunterhalt setzt die Düsseldorfer Tabelle für Kinder bis zum 6. Geburtstag 342 Euro an, bis zum 12. Geburtstag 393 Euro und bis zur Volljährigkeit 460 Euro. Unterhaltspflichtige dürfen davon das halbe Kindergeld abziehen und brauchen nur den Rest zu überweisen. Der Staat zwackt vom Mindestunterhalt aber noch mehr ab, nämlich 192 Euro – genauso viel, wie er für die Erst- und Zweitgeborenen Kindergeld zahlt. Somit überweist er für Kinder bis zum 6. Geburtstag 150 Euro, 201 Euro bis zum 12. und 268 Euro bis zum 18. Geburtstag.
Voraussetzungen für ältere Kinder
Alleinerziehende müssen den Unterhaltsvorschuss beim Jugendamt ihrer Stadt oder Gemeinde beantragen. Für Kinder ab zwölf Jahre hat der Gesetzgeber Voraussetzungen aufgestellt, die für Jüngere nicht gelten: Verdienen Teenager selbst Geld, senkt ihr Einkommen den Unterhaltsvorschuss entsprechend. Außerdem hat der Nachwuchs nur einen Anspruch, wenn er nicht auf Arbeitslosengeld II („Hartz IV“) angewiesen ist oder der Alleinerziehende Hartz IV bezieht und mindestens 600 Euro verdient. Das betrifft vor allem Familien, deren Einkommen nicht zum Leben ausreicht und vom Jobcenter aufgestockt wird.
Jobcenter rechnet Unterhaltsvorschuss an
Sind Kind oder alleinerziehender Elternteil auf Hartz IV angewiesen, müssen sie sich statt ans Jugendamt gleich an das Jobcenter wenden. Diese Regelung soll den doppelten Aufwand ersparen, der bei Kindern unter zwölf Jahren anfällt: Alleinerziehende beantragen den Unterhaltsvorschuss beim Jugendamt, doch das Jobcenter berechnet ohnehin, wie viel Grundsicherung der Ein-Eltern-Familie zusteht. Es rechnet den Unterhaltsvorschuss an. Ob das Geld vom Jugendamt oder Jobcenter kommt, ist vielen nicht egal. Miriam Hoheisel sagt: „Psychologisch macht es einen Unterschied, ob der Staat für einen säumigen Elternteil einspringt oder die Alleinerziehende auf Hartz IV angewiesen ist.“
„Das finde ich nicht in Ordnung“
Das bestätigt Sandra Becker. „Ich bin in die Armut gerutscht, als der Unterhaltsvorschuss auslief. Hartz IV – das macht etwas mit einem. Es war schwer, wieder herauszukommen.“ Sie beantragte finanzielle Hilfen, die unterschiedliche Stellen gewähren (Finanzielle Hilfe für Alleinerziehende). „Es hat unglaublich viel Zeit gekostet, die verschiedenen Anträge zu stellen und die Behördengänge zu erledigen.“ Als sie 950 Euro netto verdiente, musste sie das Wohngeld zurückzahlen, „weil es hieß, das sei genug für mein Kind und mich. Der Vater darf aber 1 080 Euro für sich behalten, bevor er Unterhalt zahlen muss. Das finde ich nicht in Ordnung.“
Betroffene hoffen auf weitere Gesetzesänderungen
Einige der finanziellen Hilfen werden außerdem miteinander verrechnet wie Unterhaltsvorschuss und Arbeitslosengeld. Miriam Hoheisel spricht von einem „Anrechnungsdschungel“. Sie hofft auf weitere Gesetzesänderungen zugunsten von Eltern und damit auch von Alleinerziehenden. Politiker haben allerdings einstweilen den Plan beiseite gelegt, Beschäftigten, die ihre Arbeitszeit verkürzen, das Recht zu geben, später wieder Vollzeit zu arbeiten. Für Claudia Neuhaus und viele andere Mütter wäre das ein Ausweg aus der Teilzeitfalle und ihren finanziellen Folgen gewesen.
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