Wer im Dezember 2010 mit der Bahn reiste, brauchte Geduld. Schnee und Minusgrade hatten das ohnehin labile Streckennetz fast zum Kollaps gebracht. Doch die Bahn redete das Desaster klein. test.de belegt nun, dass das Ausmaß an Verspätungen größer war als bisher bekannt. An vielen Bahnhöfen kamen drei von vier ICE-Zügen zu spät.
In Wahrheit viel schlimmer

Über die Pünktlichkeit ihrer Züge schweigt die Bahn. Detaillierte Statistiken hält sie streng geheim. Offenbar sogar gegenüber dem Verkehrsministerium. In dessen Winterbericht heißt es, die Pünktlichkeit im Fernverkehr sei im Dezember "tageweise unter 70 Prozent" gesunken. Die Untersuchung der Stiftung Warentest kommt zu einem anderen Ergebnis: An 20 wichtigen Bahnhöfen und Verkehrsknoten lag die Pünktlichkeitsquote der Fernzüge im Schnitt nur bei 32 Prozent. Selbst an guten Dezembertagen kamen lediglich 56 Prozent der Fernzüge pünktlich. An schlechten sogar nur 14 Prozent. Die 70 Prozent-Quote schaffte die Bahn an keinem einzigen Tag.
Anschlusszug weg
Als verspätet gelten Züge, wenn sie ihrem Fahrplan mehr als fünf Minuten hinterherfahren. Für umsteigende Reisende reichen oft schon wenige Verspätungsminuten, um den Anschlusszug zu verpassen. Frühere Untersuchungen der Stiftung Warentest zeigten, dass vor allem Regionalzüge häufig nicht auf unpünktliche Fernzüge warten. Wer deswegen zu spät ankommt, hat zusätzliches Pech: Entschädigungen zahlt die Bahn erst bei Verspätungen ab einer Stunde.
Anfällige ICE-Züge

Auffällig häufig verspäteten sich ICE-Züge. Nur jeder vierte Hochgeschwindigkeitszug erreichte die Bahnhöfe einigermaßen in der vom Fahrplan vorgegebenen Zeit. Rund 75 Prozent bummelten den Ankunftsterminen mit mehr als fünf Minuten hinterher. Ein Grund dafür war das von den DB-Managern angeordnete Tempolimit: Aus Angst vor Fahrzeugschäden durften die Züge zeitweise nur noch mit reduzierter Höchstgeschwindigkeit fahren. Insgesamt hatte jeder vierte ICE eine Verspätung von mehr als 30 Minuten oder fiel sogar völlig aus. Zum Vergleich: Die alten IC- und EC-Züge, die mitunter noch mit Wagenmaterial aus Bundesbahnzeiten unterwegs sind, erwiesen sich als weniger verspätungsanfällig. Im Schnitt erzielten sie etwa um 15 Prozentpunkte bessere Pünktlichkeitswerte als die ICE-Flotte.
20 Bahnhöfe im Vergleich

Als pünktlichster Bahnhof im Test erwies sich Stralsund im Nordosten. Ein Grund: In die Hansestadt fahren keine verspätungsanfälligen ICE-Züge. Auch in Freiburg im Breisgau erreichten Reisende häufig rechtzeitig ihr Ziel. Hier zahlten sich die Qualitätsvorgaben der Schweizer aus. Züge aus der Schweiz kamen öfter pünktlich an als die aus dem Norden. Deutlich mehr Geduld mussten Reisende an den großen Hauptbahnhöfen von Berlin, Leipzig und Dresden aufbringen. Von vier Fernzügen erreichte hier höchstens einer halbwegs pünktlich sein Ziel.
Netz braucht Sanierung
Auch die Gründe der Verspätungen flossen in die Auswertung ein. Gestörte Signale und Weichen sowie "Verzögerungen im Betriebsablauf" belegen deutlich, dass die Bahn ihr Schienennetz sanieren und ausbauen muss. Im Moment verhindern zu viele Engpässe und Langsamfahrstellen reibungslose Abläufe. Auch die Züge erwiesen sich als anfällig. Allein am Frankfurter Hauptbahnhof entschuldigte die Bahn im Dezember mehr als 400 Verspätungen von Fernzügen mit "Störungen am Triebfahrzeug".
Infos online oder mobil
Auf die Anzeigen auf dem Bahnsteig ist mitunter kaum Verlass: Aus 20 Minuten Verspätungen werden schnell 40 oder gar 60 Minuten. Ein eventueller Alternativzug ist dann weg. Relativ aktuelle Informationen über Zugverspätungen liefert die Auskunft unter bahn.de oder als App für Smartphones. Hier lassen sich für jeden Bahnhof und jeden Zug die Ankunftszeiten ermitteln. Die Daten werden im Minutentakt aktualisiert. Diese Daten hat die Stiftung Warentest für die Untersuchung ausgewertet: Für 20 große Hauptbahnhöfe erfassten die Tester fast 60 000 Ankunftszeiten von ICE-, EC- und IC-Zügen sowie von Nachtzügen.
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Kommentar vom Administrator gelöscht.
Warum muss man so einen Test in einem Ausnahmemonat machen.
Ein Test in einem Zeitraum ohne wetterbedingten Erschwernisse oder über einen längeren Zeitraum wäre aus meiner Sicht aussagekräftiger....
Sie fokussieren sich in Ihrem Beitrag auf den Monat Dezember. Damals gab es einige Probleme mit den Zügen, die teilweise immer noch nicht behoben, die aber als Grund für den hohen Grad an Verspätungen gelten können.
Ich persönlich habe im vergangenen Jahr alle meine Fahrten (auf verschiedenen Strecken) im Fernverkehr aufgezeichnet und komme, über das Jahr gerechnet, auf eine Verspätungsrate von 49%. Das ist immer noch hoch, hängt aber auch damit zusammen, dass die Mehrzahl meiner Fahrten auf Montag, Donnerstag oder Freitag fielen.
Ärgerlicher als die Verspätungen sind vielmehr die vollen Züge. In meiner Statistik sind mehr als 30% der ICE-Züge (ICE3 und ICE-T) nur mit einem Zugteil statt mit zwei Zugteilen gefahren. Da gibt es noch einiges Verbesserungspotenzial.
Wie Sie richtig schreiben, fuhren die ICE's im Dezember mit Tempolimit. Das wurde so gemacht wegen der höheren Pannengefahr durch herabfallende Eisbrocken und dadurch wiederum emporgeschleuderten Schotter. Die Zerstörungsgefahr durch Schotter und damit das Ausfallrisiko konnte durch die gedrosselte Geschwindigkeit verringert werden.
Dass als Folge des Tempolimits der Fernverkehr massiv verspätet war, ist dann eigentlich keine bahnbrechende Erkenntnis mehr. Trotzdem können auch Sie es nicht lassen, die Bahn wegen "Unpünktlichkeit" zu kritisieren, statt auf die Zusammenhänge hinzuweisen. Eine solche Berichterstattung ist nicht wirklich hilfreich.
Dass die Bahn sich in Anbetracht der journalistischen Meute weigert, Prozentzahlenzu veröffentlichen, die dann doch nur böswillig und sensationslüstern kommentiert werden, kann man wohl verstehen.
Der Grund, wieso man sich auf den Fernverkehr fokussiert, ist relativ simpel: Der Nahverkehr ist (auch wenn man es nicht glauben mag) relativ pünktlich. Die Pünktlichkeitsquote liegt dort bei 90-95 %. Nur 5-10 % der Züge (meistens handelt es sich dabei um die Züge in der Hauptverkehrszeit) sind unpünktlich und damit kann man keine Schlagzeilen machen. Deswegen konzentrieren sich fast alle Medienbeiträge, die die Pünktlichkeit der Bahn bemängeln, auf den Fernverkehr. Ein weiterer Grund liegt darin, dass im Nahverkehr auch viele nichtbundeseigene Eisenbahnen fahren und man die Verspätungen daher nicht alleine der Deutschen Bahn anlasten könnte, was dann wieder nicht ins Bild der meisten Journalisten (DB=böse+schlecht) passen würde.
Natürlich gibt es auch im Nahverkehr einzelne Linien, wo die Pünktlichkeit deutlich schlechter ist, insbesondere auf RB-/RE-Linien in Ballungsräumen. Wenn man aber alle Nahverkehrszüge zusammen betrachtet, sieht es mit der Pünktlichkeit gut aus.