Probleme im Pflegeheim: Wie Sie sich erfolgreich beschweren

„Familien sollten Probleme mit den Pflegekräften möglichst direkt klären und Konflikten nicht aus dem Weg gehen. Auch wenn es für Bewohner und Angehörige nicht leicht ist, sollten sie versuchen, nicht vorschnell zu urteilen und erst mal freundlich und sachlich nachzufragen. Wir wünschen uns oft mehr Anteilnahme gegenüber den hohen Belastungen Pflegender.“, Reina Jung, Heimleiterin, Haus Friedenshöhe in Berlin
Heimbewohner werden im Idealfall rund um die Uhr betreut. Läuft etwas nicht gut, sollten sie es ansprechen.
Auf die Kommunikation kommt es an
Reina Jung empfängt in ihrem Büro. Der Raum ist hell und einladend, wie der Rest des Hauses. Die großen Fenster sind geöffnet, der Blick geht auf die Grünanlagen des evangelischen Pflegeheims „Haus Friedenshöhe“ in Berlin-Frohnau. Jung leitet die Einrichtung. Die gelernte Krankenschwester war 20 Jahre lang auf Intensivstationen tätig, bevor sie in die Altenpflege ging. „Das ist eine ganz andere Welt. Aber die Erfahrung, gerade auch in der klinischen Arbeit, hilft in diesem Job. Das Pflegeverständnis, das man entwickelt hat, erleichtert die Kommunikation mit Pflegenden, Gepflegten und Angehörigen“, erklärt die 49-Jährige.
Zwischen Angst und Chance
Leiterin Jung macht ihren Job gerne. Sie weiß, dass das Thema Pflegeheim Angst macht. Angst davor, ausgeliefert und abhängig von Entscheidungen anderer zu sein. Sie versteht das: „Es ist für viele ein schwerer Schritt, weil sie zum Beispiel von ihrem Partner getrennt werden, oder – wenn sie lange Zeit alleine gelebt haben – wieder relativ eng mit vielen anderen und zunächst fremden Menschen zusammenwohnen müssen.“ Im Gegenzug gebe es Gemeinschaft und Beschäftigung. „Viele tauen mit der Zeit auf und nehmen an gemeinsamen Aktivitäten teil.“
Unser Rat
Mängel dokumentieren. StellenSie Probleme im Pflegeheim fest, etwa mangelhafte Pflege oder fehlende Hygiene, dokumentieren Sie sie. Machen Sie sich Notizen, fotografieren Sie Missstände, holen Sie Zeugen dazu.
Probleme ansprechen. Sprechen Sie Mängel beim Personal an. Schalten Sie den Bewohnerbeirat oder Heimfürsprecher ein. Bringt das keine Besserung, suchen Sie zeitnah das Gespräch mit der Heimleitung.
Beschwerde. Kommt das Heim Ihren Forderungen nicht nach, wenden Sie sich an die Heimaufsicht und die Pflegekasse.
Leben im sicheren Umfeld
In guten Pflegeeinrichtungen gibt es geregelte Tagesabläufe, bekommen Pflegebedürftige Betreuung rund um die Uhr. Sie werden mit allem Notwendigen versorgt, können jederzeit um Hilfe bitten. Sie befinden sich in einem sicheren Umfeld. Im Ernstfall wissen die Pflegekräfte sofort, was zu tun ist. Wer möchte, kann Veranstaltungen besuchen, die im Heim stattfinden, oder gemeinsam mit anderen Bewohnern essen, Ausflüge machen oder an Sportangeboten teilnehmen. Im „Haus Friedenshöhe“ setzt Reina Jung auf Musik: „Wir veranstalten regelmäßig kleine Konzerte. Dann kommen Künstler in unser Haus.“ Außerdem gibt es in ihrer Einrichtung Kinonachmittage, gemeinsames Backen, Singen und Gottesdienste.
Prüfer fanden viele Mängel
Doch nicht überall steht es so gut um die Pflege und Betreuung der Bewohner. Die Qualität lässt in vielen deutschen Pflegeheimen zu wünschen übrig, zeigt der aktuelle Pflegequalitätsbericht des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbands Bund der Krankenkassen. Er wurde Anfang 2018 veröffentlicht. Mängel in der Heimversorgung gibt es etwa bei der Schmerzerfassung und Wundversorgung. Auch freiheitseinschränkende Maßnahmen kommen vor, wenn auch weniger als beim letzten Bericht im Jahr 2013. Geprüft wurden rund 13 300 Pflegeheime und mehr als 100 000 Bewohner.
Zu wenige ausgebildete Pflegekräfte
Das Ergebnis bestätigt Ulrike Kempchen von der Bundesinteressenvertretung für alte und pflegebetroffene Menschen (Biva). Die Juristin berät Pflegebedürftige und Angehörige. „Überall zeigt sich der Personalnotstand. Leistungen werden nicht erbracht oder nicht gut. Immer wieder hören wir, dass Menschen pflegen, die gar nicht umfassend darin ausgebildet sind.“ Ein Beispiel: Laut dem Bericht wird jeder vierte Pflegebedürftige mit Wundproblemen nicht nach aktuellem Wissensstand versorgt. Kempchen: „Wir haben von Fällen gehört, da liegen Bewohner sich wund und es findet keine adäquate Versorgung statt, sodass es so schlimm wird, dass in Einzelfällen Hauttransplantationen erforderlich sind.“
Personal steht unter großem Druck
Wo früher schlechtes Essen bemängelt wird, heiße es heute manchmal, es sei gar nicht genug Essen da, berichtet die Juristin. Ein häufiges Problem sei auch die Versorgung mit Flüssigkeit bis hin zur Exsikkose (Austrocknung). „Die Betreiber wollen schwarze Zahlen schreiben. Investoren aus dem Ausland erhoffen sich gute Renditen. Es mangelt oft an Personal und Investitionen. Die Pflegekräfte wollen einfach nur einen guten Job machen, stehen aber unter immensem Druck. Das kollidiert mit den Erwartungen der Heimbewohner und ihrer Angehörigen, die sehr viel Geld bezahlen“, so Kempchen. Sie stelle fest, dass die Konflikte öfter eskalieren als früher und die Fronten sich schneller verhärten.
Den richtigen Ton treffen
Diese Probleme kennt auch die Heimleiterin Jung von Einrichtungen, in denen sie früher gearbeitet hat. Bei kleineren Ärgernissen, etwa wenn das Essen nicht schmeckt, helfe aber in der Regel das Gespräch. Umso wichtiger sei es, berechtigte Kritik anzunehmen, Missverständnisse offen miteinander zu klären und gegenseitiges Verständnis aufzubringen. „Im Interesse des Pflegebedürftigen ist es wichtig, dass sich beide Seiten um ein gutes Verhältnis bemühen.“ Jung rät, „ein Problem zuerst vor Ort anzusprechen, also bei der Pflegekraft, danach bei der Wohnbereichsleitung. Wenn das nicht geht, kann die Pflegedienstleitung vielleicht helfen.“ Dritte wie die Heimleitung sollten Familien erst einbeziehen, wenn mit den Pflegekräften keine Einigung gelingt.
Rechte und Mitbestimmung im Heim
Helfen Gespräche mit Personal und Leitung nicht weiter, können sich Bewohner an ihren Heimbeirat oder Heimfürsprecher wenden. Solche Interessenvertreter sieht das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG) vor. Ein Heimbeirat vertritt Bewohner und ist ihr Bindeglied zur Heimleitung. Die Beiratsmitglieder werden in regelmäßigen Abständen gewählt. Neben Bewohnern können Angehörige oder andere Vertrauenspersonen Mitglied sein, etwa Vertreter von Seniorenorganisationen. Ulrike Kempchen von der Biva, die auch Schulungen von Beiräten anbietet, empfiehlt dies mit Nachdruck: „Gerade Externe haben mehr Mut, Kritik zu üben.“ Der Grund ist denkbar einfach. „Viele Bewohner haben einfach Angst vor Repressalien, wenn sie Mängel ansprechen.“
Auch Angehörige und Externe dürfen mitsprechen
Gibt es in einer Einrichtung keine aktiven Bewohner für ein solches Amt, kann ein Ersatzgremium gebildet werden, zum Beispiel besetzt mit Angehörigen oder Betreuern. Interessen der Bewohner kann auch ein externer Heimfürsprecher vertreten, der oft von der Heimaufsichtsbehörde berufen wird. Das Haus Friedenshöhe hat eine Heimfürsprecherin. „Mehrmals im Jahr macht sie Kaffeerunden mit den Bewohnern, an denen auch ich teilnehme“, erzählt Reina Jung. „Die Heimfürsprecherin ist jederzeit erreichbar, kommt regelmäßig und schaut in den einzelnen Wohnbereichen nach dem Rechten.“
Bei Mängeln Heimentgelt kürzen
Zudem haben Bewohner bei Mängeln theoretisch das Recht, ihre Entgelte zu mindern. Dafür müssen sie das Problem gut dokumentieren und sofort beim Betreiber anzeigen, am besten schriftlich, verbunden mit der Aufforderung, Mängel abzustellen, und der Ankündigung, anderenfalls den eigenen Anteil am Heimentgelt zu mindern. „Das machen nur wenige, obwohl sie das Recht dazu haben“, sagt Kempchen. In jedem Fall sollten sich Bewohner und Angehörige dazu beraten lassen. Weitere wichtige Ansprechpartner sind die Pflegekasse des Bewohners, der Medizinische Dienst der Krankenkassen und die Heimaufsicht.
Letzter Ausweg: Heimvertrag kündigen
Führen alle Bemühungen zu keiner Veränderung, gibt das Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz Pflegebedürftigen das Recht, ihren Heimvertrag bis zum dritten Werktag eines jeden Monats zum Ende desselben Monats ordentlich zu kündigen. Aus einem wichtigen Grund können sie auch fristlos kündigen. Das gilt nicht nur bei mangelhafter Pflege, sondern auch bei Verfehlungen des Personals, die das Vertrauen des Bewohners zur Einrichtung nachhaltig zerstören.