Umwelttechnologie hat Zukunft. Aber Anleger brauchen Vertrauen und einen langen Atem.
Als Willy Brandt 1972 den Wählern im Ruhrgebiet versprach, sie würden in einigen Jahren unter einem blauen Himmel leben, wollte ihm kaum jemand glauben. Doch Brandts Vision ist wahr geworden zumindest bei Sonnenschein: Es gibt weniger Schwerindustrie im "Pott" und Filter halten viele Schadstoffe zurück. Umwelttechnik macht es möglich.
Nicht nur an der Ruhr, sondern in ganz Deutschland hat sie in den letzten Jahren einen Boom erlebt, ebenso in anderen europäischen Ländern und in Nordamerika. Das macht sich auch wirtschaftlich bemerkbar. Laut Umweltbundesamt werden nächstes Jahr in Deutschland wahrscheinlich 1,1 Millionen Menschen im Umweltschutz beschäftigt sein.
Was sind Umweltaktien?
Folglich tauchen auch in den Kurslisten der Börsen immer mehr Aktiengesellschaften aus dem Umweltbereich auf. Die Firmen produzieren Windräder oder Solarkraftwerke, vertreiben umweltschonend erzeugten Strom, stellen Filter her, verdienen mit Entsorgung, Recycling oder Wasseraufbereitung. Während die Umweltpolitik sich schwerer tut als früher und die Umweltverbände kaum noch durch spektakuläre Aktionen auffallen, macht ausgerechnet die Wirtschaft in Sachen Ökologie Fortschritte.
Effektive, kleine Unternehmen, zum Beispiel Stromerzeuger, fischen im Markt der Großen, haben Erfolg, wandeln sich in Aktiengesellschaften um und gehen dann an die Börse.
Experten streiten allerdings seit Jahren darüber, was eine echte Umweltaktie ist. Teilweise arbeiten sie mit so genannten Negativkriterien: Umweltaktien sind danach nur Aktien von Unternehmen, die bestimmte Dinge nicht tun, beispielsweise keine atomaren Brennstoffe herstellen, die Atomindustrie nicht beliefern und die weder PVC noch Tropenholz einsetzen. Teilweise fließen ethische Maßstäbe in die Kriterien ein: Rüstungsgüterproduzenten beispielsweise dürften es schwer haben, als Umweltaktie eingestuft zu werden.
Dieter Burgmer, für das Fondsmanagement verantwortlicher Geschäftsführer der Activest, die den Umweltfonds Hypo Eco Tech betreut, sieht als Umweltaktien auch die von Unternehmen an, die selbst umweltfreundlich produzieren. Dass sie dabei gleichzeitig umwelt- und gesundheitsgerechte Produkte herstellen, hält er nicht für notwendig.
Doch besonders viel versprechend für die Zukunft sind Unternehmen, die auf beides setzen: also umweltfreundliche Produkte auf umweltschonende Weise herstellen.
Solarstrom
Umweltschonende Energieerzeugung ist seit der Ölkrise ein Wachstumsmarkt allerdings einer, der sich langsam entwickelt, vergleicht man ihn mit dem gesamten Energiemarkt. Doch Solarenergie, Windstrom, Blockheizkraftwerke und Brennstoffzellen sind auf dem Weg nach vorne wenn auch abhängig von politischen Vorgaben.
Das spüren besonders die europäischen Hersteller und Händler von Solarstrom. Die schweizerische Bank Sarasin prognostiziert zwar eine goldene Zukunft mit bis zu 300.000 neuen Arbeitsplätzen und in den nächsten zehn Jahren durchschnittlich 17 Prozent Zuwachsrate im Anwendungsbereich der Photovoltaik. Aber die Liberalisierung des EU-Strommarktes trifft den "grünen" Strom hart. Wegen der sinkenden Preise für konventionell erzeugten Strom ist Solarstrom immer weniger wettbewerbsfähig.
Deutlich wird die Misere an den Aktienkursen der deutschen Solarspezialisten. Die Aktie der Freiburger SAG Solarstrom AG (WKN 702 100) wurde am 6. April 1999 erstmals an der Münchener Börse gehandelt, zum Kurs von 7,50 Euro. Eine Woche später war sie zwar auf 19 Euro hochgeschossen, dann fiel sie jedoch langsam und stetig auf 4,25 Euro am 21. Dezember.
Wie groß das Potenzial für den deutschen Solarstromhandel ist, wagt derzeit niemand abzuschätzen der Markt ist zu sehr in Bewegung. Das vom Bundestag beratene, aber noch nicht verabschiedete Erneuerbare-Energien-Gesetz sieht immerhin eine Vergütung von 99 Pfennig pro Kilowattstunde eingespeisten Solarstrom vor mehr als sechsmal so viel wie das alte Stromeinspeisungsgesetz. Dadurch dürften sich die Chancen für die Photovoltaikbranche wieder bessern.
Ebenso schwierig ist die Situation für die Hersteller von Solarzellen. Die Berliner Solon AG (WKN 724 630) beispielsweise sorgte zwar mit der Lieferung einer Solarstromanlage für das Bundespräsidialamt in Berlin für Aufsehen, doch der Kurs der Aktie will nicht so recht klettern.
Sobald ein Unternehmen gut läuft, droht allerdings die Gefahr, übernommen zu werden. Das passierte jüngst der amerikanischen Umwelt-Aktiengesellschaft "Golden Genesis": Der japanische Kyocera-Konzern (Umsatz 725 Mrd. Yen), der unter anderem Kopierer und Drucker produziert, schluckte mit seiner kalifornischen Tochter den Produzenten von Photovoltaikanlagen im Sommer 1999. Die Aktionäre wurden schon im Vorfeld mit gestiegenen Kursen belohnt.
Fondsmanager Haufe empfiehlt zur Zeit die Aktie eines weiteren amerikanischen Solarmodulherstellers zum Kauf: Astropower (WKN 912 953). "Sobald sich der Wirkungsgrad der Zellen erhöht und die Fertigungskosten sinken, ist die Solarzellenproduktion reif für einen Boom", begründet er.
Das jüngste deutsche Solarenergieunternehmen an der Börse ist die Bonner Solarworld AG (WKN 510 840). Am 8. November 1999 lag der Ausgabekurs bei 13,75 Euro, sank dann jedoch langsam. Solarworld-Pressesprecher Thomas Klodt sieht zwar den Schwerpunkt der Solarworld-Aktivitäten in der Photovoltaik. "Aber in den nächsten drei bis fünf Jahren setzen wir zu ungefähr einem Viertel noch auf die Windenergie." Dazu kauften sich die Bonner zuletzt bei dem deutschen Hersteller Fuhrländer ein.
Windenergie
Die Windenergie, so sagt die Frankfurter Ökobank, ist unter den regenerativen Energien am besten entwickelt. Deutschland ist der weltgrößte Windstromproduzent: 1,2 Prozent des Gesamtstroms holten die Windkraftanlagen 1999 aus der Luft. Der Umsatz der gesamten Windstromindustrie einschließlich Errichtung der Anlagen, aber ohne den Stromverkauf liegt bei jährlich etwa drei Milliarden Mark, erklärt das DEWI, das Deutsche Windenergie-Institut. Weltweit soll der Umsatz bei sechs Milliarden Mark liegen.
"Doch ein Boom ist meist von Umständen abhängig, die die Unterneh-men wenig beeinflussen können", sagt Torsten Haufe. Er ist Fondsmanager des Focus GT Umwelttechnologie-Fonds der Invesco-Fondsgesellschaft. So seien Windkraftanlagenhersteller in Deutschland beispielsweise darauf angewiesen, dass die Politik Kraftwerke vor der Küste erlaube oder im Binnenland weitere Flächen zum Bau freigebe.
Neben den Anlagen, die vor den Küsten Europas gebaut werden könnten, gelten aber auch die Märkte in den USA und in Asien als ausbaufähig. Viele Experten zählen deshalb die Hersteller von Windenergieanlagen zu den aussichtsreichsten Umweltaktien. Die dänische Firma Vestas Wind Systems beispielsweise ist der Favorit für die UBS-Analystin Schumacher und Activest-Manager Burgmer.
Der Weltmarktführer NEG Micon (WKN 897 922), ebenfalls eine dänische Firma, galt lange Zeit als Empfehlung bis der Kurs drastisch nach unten ging, nachdem Probleme mit den Getrieben der Windkraftanlagen bekannt wurden.
Bekannteste deutsche Windstromaktie ist die Hamburger Plambeck Neue Energien AG (WKN 691 030), die am Frankfurter Neuen Markt gehandelt wird. Sie stellt keine Windkraftanlagen her, sondern plant und betreibt Windparks und verkauft den Strom.
Zum Kauf empfohlen wird derzeit vielfach ein weiterer Umweltwert aus dem Energiebereich: die österreichische Jenbacher AG (WKN 700 700). Die Firma zählt zu den weltgrößten Herstellern von Blockheizkraftwerken, die wegen ihres Wirkungsgrades von über 90 Prozent als besonders umweltschonend gelten. Außerdem arbeiten die Jenbacher-Anlagen auch mit Deponiegas, Klär- und Biogas.
Spekulativer ist der Einstieg bei der kanadischen Ballard Power Systems (WKN 890 704). Das Unternehmen ist Weltmarktführer in der Herstellung von Brennstoffzellen, die auf Wasserstoffbasis arbeiten und Energie nicht durch Verbrennung, sondern durch einen elektrochemischen Prozess erzeugen. Ballard Power arbeitet bereits mit eini-gen Automobilherstellern zusammen, darunter DaimlerChrysler und Ford. Sollte sich die Brennstoffzellentechnik durchsetzen, könnte Ballard Power zum Höhenflug ansetzen. Wenn nicht, droht der Absturz. Weder bei Blockheizkraftwerken noch bei Brennstoffzellen gibt es zur Zeit solide Marktprognosen.
Recycling und Entsorgung
Die deutsche Entsorgungsindustrie setzte 1999 insgesamt 75 Milliarden Mark um, schätzt der Bundesverband der Deutschen Entsorgungswirtschaft (BDE). Das sind 5 Milliarden Mark weniger als 1996. Ohne neue politische Impulse wie die Altautoverordnung, dürfte der Umsatz noch weiter sinken. Denn die Industrie setzt immer mehr auf Abfallvermeidung als auf -entsorgung.
Wenig Freude hatten Umweltaktionäre zuletzt allerdings aus anderen Gründen an zwei Unternehmen aus der Entsorgungs- und Recyclingbranche: Im November 1998 kam zunächst die Sero AG (WKN 723 040), der Nachfolger des ehemals volkseigenen Kombinats "Sekundärrohstofferfassung" wegen Bilanzmanipulationen ins Gerede.
Im April 1999 schockte die Duisburger BUS Berzelius Umweltservice AG (WKN 528 570), die vor allem Metalle recycelt, das Ruhrgebiet mit der Meldung, dass im März rund 900 Kilo dioxinhaltige hochgiftige Stäube aus einer BUS-Filteranlage ausgetreten seien. Auch hier zeigt sich: Umweltaktien erleben oft drastische Kursänderungen.
Eine Aktie allerdings kennt anscheinend vor allem einen Weg: den nach oben. Die norwegi-sche Tomra Systems ASA (WKN 620 990) ist der weltweit führende Hersteller von verbraucherfreundlichen Sammelsystemen für Flaschen und Behälter. Tomra-Automaten ermöglichen die Rücknahme ohne Personaleinsatz. 1998 wurden weltweit immerhin ein Prozent der gesamten Getränkebehälter über Tomra-Automaten gesammelt.
Letzter Schrei: Ein neuer Automat, der nach Einwurf einer leeren Dose wie ein "einarmiger Bandit" drei Rollen ins Rotieren bringt. Wer dreimal dasselbe Symbol erwischt, erhält eine Sonderprämie. Die bekamen auch die Tomra-Aktionäre: Insgesamt um über 3.400 Prozent stieg der Tomra-Kurs innerhalb von fünf Jahren.
Wasseraufbereitung
Für zukunftsträchtig halten viele Umweltaktien-Experten wie Activest-Manager Burgmer auch den Bereich des Wasserrecyclings und der Wasseraufbereitung. Unternehmen wie die schweizerische Christ AG (WKN 901501) und die österreichische BWT AG (WKN 884042) sind in diesem Markt vertreten.
UBS-Analystin Schumacher räumt vor allem den Firmen gute Chancen ein, die integrierte Technologien entwickeln und auf jeder Produktionsstufe den Faktor Umwelt berücksichtigen, oder Aktiengesellschaften, die Technologien entwickeln, um die Umwelt von vornherein zu schonen. Den nachsorgenden Umweltschutz durch Katalysatoren und Filter sieht sie auf dem absteigenden Ast.
Die Experten sind sich einig: Kursanstiege werden vor allem durch technologische Fortschritte erreicht. Die Tatsache allein, dass ein Unternehmen im Umweltbereich aktiv ist, ist gut für die Umwelt, und die Verbraucher können das Engagement oft durch den Kauf der entsprechenden Produkte unterstützen. Für steigende Kurse reicht das jedoch noch nicht.
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