Hier lesen Sie, wann und wie viele Überstunden der Chef anordnen kann, welche Regeln Beschäftigte beachten müssen und wann es tatsächlich kein Geld für Mehrarbeit gibt.
Zu viele Überstunden darf eine Firma von ihren Beschäftigten nicht verlangen. Mehr als insgesamt 60 Stunden pro Woche muss niemand arbeiten. So ist es im Arbeitszeitgesetz festgelegt. Zusätzlich darf eine bestimmte maximale Arbeitszeit innerhalb von sechs Monaten nicht überschritten werden. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sollten darauf achten, dass ihre Überstunden gut dokumentiert sind. Damit können sie am besten verhindern, umsonst gearbeitet zu haben, falls es Streit über die Abgeltung der zusätzlichen Arbeitszeit gibt.
Worauf muss ich als Arbeitnehmer in Sachen Überstunden unbedingt achten?
Wenn Sie Überstunden leisten, dann lassen Sie sie sich zeitnah vom Chef abzeichnen. So haben Sie einen Nachweis. Achten Sie anschließend darauf, dass Ihre geleisteten Überstunden nicht verfallen. Schauen Sie, ob in Ihrem Arbeitsvertrag Fristen stehen. Die Rechtsprechung bezüglich der Verfallsfristen ist im Fluss. Das Bundesarbeitsgericht hat zum Beispiel Ausschlussfristen für nichtig erklärt, die sich auf eine Vorsatzhaftung des Schädigers beziehen. Wenden Sie sich im Zweifelsfall an einen Rechtsanwalt.
Muss ich Überstunden machen, wenn der Chef sie anordnet?
Das hängt vom Arbeitsvertrag ab. Oft steht dort, dass die Firma Überstunden anordnen darf. Solche Klauseln sind nur gültig, wenn sie eine maximale Stundenzahl nennen. Wer einen Vertrag unterschreibt, muss absehen können, wie viel Arbeit ihm bevorsteht, meint das Bundesarbeitsgericht (BAG, Az. 5 AZR 406/10).
Auch eine Betriebsvereinbarung kann Überstunden vorsehen, ebenso ein Tarifvertrag. Fehlt es an alledem, sind Überstunden nur mit Zustimmung des Mitarbeiters möglich. Die kann mündlich oder stillschweigend erfolgen, etwa wenn er klaglos die Zusatzarbeit erledigt. Gibt es einen Betriebsrat, muss dieser zustimmen.
Nur in echten Notfällen darf der Chef ohne diese Vorgaben Überstunden anordnen, etwa bei einem außergewöhnlichen, unvorhersehbaren Ereignis wie einer durch Stau verspäteten Lkw-Lieferung. Ein überraschender Neuauftrag, ein kranker Kollege oder ein Kapazitätsengpass reichen nicht. Für Schwangere und stillende Mütter darf der Chef laut Mutterschutzgesetz keine Überstunden anordnen.
Bei Arbeitnehmern unter 18 Jahren legt das Jugendarbeitsschutzgesetz fest, dass sie nicht mehr als acht Stunden täglich und 40 Stunden wöchentlich arbeiten dürfen. Schwerbehinderte sind auf Wunsch von Überstunden freizustellen.
Wie viele Überstunden darf der Arbeitgeber verlangen?
Die Grenze für die tägliche Arbeitszeit beträgt zehn Stunden. Verlangt der Chef mehr, ist das ordnungswidrig. Da der Samstag als Werktag mitzählt, sind pro Woche 60 Stunden möglich. Dauerhaft muss aber niemand so viel arbeiten, sagt der Arbeitsrechtler Professor Peter Wedde aus Eppstein: „Innerhalb von sechs Monaten darf die tägliche Arbeitszeit im Schnitt nicht über acht Stunden liegen.“ Ausnahmen gelten für Berufe wie Kraftfahrer, Klinikpersonal, Bereitschaftsdienste.
Muss ich auch am Samstag arbeiten?
Ja, wenn im Arbeitsvertrag nicht etwas anderes steht, zum Beispiel, dass man nur von Montag bis Freitag arbeiten muss. Ansonsten gilt, dass das Arbeitszeitgesetz von einer Sechs-Tage-Woche ausgeht. Der Samstag zählt als Werktag. So darf etwa eine Firma beschließen, dass das Kundenbüro auch am Samstag von 9 bis 12 Uhr geöffnet sein soll und die Kollegen künftig auch dann kommen müssen und dafür am Mittwochnachmittag frei bekommen. In diesem Fall geht es nicht um Überstunden, sondern um die Verteilung der Arbeitszeit auf die Woche.
Ich habe immer Überstunden gemacht und das Geld eingeplant. Darf der Chef die Überstunden einfach abschaffen?
Ja, es gibt kein Recht darauf, auch kein Gewohnheitsrecht. Selbst wenn Kollegen sich an das Gehaltsplus gewöhnt haben, kann die Firma auf die Überstunden verzichten und einen neuen Mitarbeiter einstellen.
Überstunden und Informationspflichten
Ich arbeite immer freiwillig länger, ohne den Chef zu informieren. Habe ich dann auch Rechte?
Das sind streng genommen keine Überstunden. Sie liegen nur vor, wenn der Chef sie angeordnet hat oder von ihnen wusste und sie stillschweigend geduldet hat. Das ist auch der Fall, wenn er dem Mitarbeiter so viel Arbeit hinlegt, dass es nur mit Überstunden geht (BAG, Az. 5 AZR 122/12). Wer Überstunden macht, sollte daher rechtzeitig den Vorgesetzten informieren und sich sein Einverständnis holen. Das geht auch per E-Mail.
Reicht es, wenn ich die Überstunden auf einem Zettel notiere?
Im Zweifel nicht. Klagen vor Gericht scheitern häufig daran, dass Arbeitnehmer geleistete Überstunden nicht nachweisen können. Wenn es kein Zeiterfassungssystem gibt, sollten Sie die Zeiten genau aufschreiben, ebenso welche zusätzlichen Aufgaben Sie erledigt haben. Sie müssen im Streitfall darlegen, an welchem Tag, zu welcher Uhrzeit und warum Überstunden anfielen (BAG, Az. 5 AZR 347/11). Bestreitet der Chef die Angaben, reicht mitunter nicht einmal das. Am besten lassen Sie Ihre Stunden möglichst zeitnah abzeichnen.
Ich habe gehört, dass Arbeitgeber verpflichtet sind, die Arbeitszeit zu erfassen. Stimmt das?
Ja, das ist richtig. Eine Grundsatzentscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) vom 14. Mai 2019 verpflichtet Arbeitgeber dazu, verlässliche Systeme einzurichten, mit denen die tägliche Arbeitszeit ihrer Mitarbeiter erfasst wird (Az. C-55/18). Anlass war die Klage einer spanischen Gewerkschaft vor dem Nationalen Gerichtshof in Spanien gegen die Deutsche Bank SAE (Teil der Deutsche Bank AG). Das Urteil zielt darauf ab, bestehende Arbeitsschutzgesetze besser umzusetzen. „Objektiv, verlässlich und zugänglich“ soll die Zeiterfassung sein. Wie die Arbeitsstunden erhoben werden müssen, ist nicht vorgeschrieben.
Ein aktuelles Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Hamm zeigt, dass ein Betriebsrat auch die Einführung eines elektronischen Zeiterfassungssystems am Arbeitsplatz verlangen darf (Az. 7 TaBV 79/20). In dem Fall waren die Verhandlungen über eine Betriebsvereinbarung zur Zeiterfassung gescheitert. Der Arbeitgeber hatte das sogenannte Initiativrecht des Betriebsrats verneint, durch das ein Zeiterfassungssystem eingeführt werden kann. Der Betriebsrat klagte auf die Feststellung, dass ihm ein Initiativrecht zustehe und setzte sich durch.
Auch andere Gerichte wie das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg haben bereits Betriebsräten ein Initiativrecht für die Einführung von Zeiterfassungssystemen zugesprochen (Az. 10 TaBV 1812/14 und 10 TaBV 2124/14).
Überstunden geleistet – und doch kein Geld?
Habe ich einen Rechtsanspruch auf Bezahlung der Überstunden?
In der Regel schon. Gibt es keine klare Regelung, gilt die Bezahlung meist als stillschweigend vereinbart. Das Bundesarbeitsgericht meint, dass Arbeitnehmer eine angemessene Vergütung dafür verlangen können (Az. 5 AZR 1047/79). Soweit nicht anders vereinbart, sind die Stunden so zu bezahlen wie normale Arbeit. Für Azubis sieht das Berufsbildungsgesetz Bezahlung oder Freizeitausgleich vor, wobei der Azubi die Wahl hat.
Im Arbeitsvertrag steht, Überstunden seien pauschal mit dem Gehalt abgegolten. Bekomme ich sie dann gar nicht bezahlt?
Das hängt vom Wortlaut ab. Häufig lauten die Formulierungen: „Erforderliche Überstunden sind mit dem Monatsgehalt abgegolten“ oder „100 Euro des Gehalts sind Abgeltung für alle Überstunden“. Solche Klauseln sind häufig unwirksam, weil sie nicht festlegen, wie viele Überstunden es maximal sein können (BAG, Az. 5 AZR 765/10). Dasselbe gilt für Klauseln wie „übliche Überstunden“, „Überstunden in geringfügigem Umfang“ oder „in angemessenem Rahmen“.
Ausreichend klar ist hingegen eine Regelung wie „10 Überstunden pro Monat sind mit dem Gehalt abgegolten“ (Landesarbeitsgericht Hamm, Az. 19 Sa 1720/11). Doch selbst dann gilt: Wenn es einen Tarifvertrag gibt, haben dessen Regelungen Vorrang. Anders ist das bei Gutverdienern. Da sind Überstunden meist mit dem höheren Gehalt abgegolten. Das ist in der Regel so, wenn das Gehalt über der Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung liegt, meint das Bundesarbeitsgericht (Az. 5 AZR 765/10). Im Jahr 2020 sind das 82 800 Euro jährlich, in den neuen Ländern 77 400 Euro.
In meiner Firma machen alle Führungskräfte unbezahlte Überstunden, obwohl im Arbeitsvertrag etwas anderes steht. Kann ich trotzdem darauf bestehen, dass meine Überstunden bezahlt werden?
Überstunden muss der Chef nur bezahlen, wenn er sie angeordnet hat oder von ihnen weiß. Behauptet er, dass alle Führungskräfte unbezahlt Überstunden machen, bedeutet das: Er duldet sie. Dann muss er sie auch bezahlen, wenn der Arbeitsvertrag das vorsieht. Dass alle Kollegen unentgeltlich mehr arbeiten und damit einen rechtswidrigen Zustand akzeptieren, hat keine Auswirkung auf die Rechtsposition eines einzelnen Arbeitnehmers (Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Az. 15 Sa 66/17).
Verfallen Überstunden, wenn sie nicht ausgezahlt werden?
Das hängt vom Vertrag ab. Häufig werden Fristen genannt, nach deren Ablauf der Arbeitgeber die Überstunden nicht mehr bezahlen muss. Solche Regelungen sind nur wirksam, wenn die Frist mindestens drei Monate beträgt. Auch Tarifverträge enthalten häufig Verfallsfristen. Fehlen solche Regelungen, gilt die allgemeine gesetzliche Verjährungsfrist von drei Jahren. Sie beginnt jeweils Ende des Jahres. Das heißt konkret: Bis Ende 2020 können Sie Überstunden aus den Jahren 2019, 2018 und 2017 jetzt noch geltend machen.
Wichtig: Befürchten Sie, dass Ihre Firma insolvent gehen könnte, fordern Sie die Bezahlung der Überstunden rasch ein.
Habe ich einen Anspruch auf Überstundenzuschläge?
Darauf gibt es keinen grundsätzlichen Anspruch. Doch viele Tarifverträge sehen Zuschläge vor, ebenso Betriebsvereinbarungen oder individuelle Arbeitsverträge. Häufig sind es 10 bis 25 Prozent der üblichen Vergütung. Fehlen solche Regelungen, können Zuschläge möglich sein, wenn sie branchenüblich sind. Bei Nachtarbeit schreibt das Arbeitszeitgesetz einen angemessenen Zuschlag vor. Zwischen 23 und 6 Uhr findet das Bundesarbeitsgericht 25 Prozent in Ordnung, bei Dauernachtarbeit 30 Prozent (Az. 10 AZR 423/14).
Was ist bei Teilzeit: Stehen mir dann Zuschläge zu?
Arbeiten Teilzeitbeschäftigte länger als ihr Soll, erhalten sie oft keine Überstundenzuschläge, solange sie die übliche Arbeitszeit eines Vollbeschäftigten nicht überschreiten. Das sind in der Regel 39 Stunden. Vorm Landesarbeitsgericht Nürnberg bekam eine Pflegekraft eine Absage, die 24 Stunden pro Woche in einer Klinik arbeitete und mehrfach über diesen Zeitrahmen hinaus einspringen musste. Sie leistete keine Wechselschicht- oder Schichtarbeit.
Der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) legt in Paragraf 7 fest, dass Arbeitszeit nur dann als Überstunde gilt, wenn sie die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von Vollbeschäftigten überschreitet, und wenn sie und nicht bis zum Ende der folgenden Kalenderwoche ausgeglichen wird. Bleibt die Arbeitszeit darunter, handelt es sich nicht um Überstunden, sondern um Mehrarbeit (Az. 3 Sa 348/18).
Überstunden und die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall
Zählen Überstunden bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall mit? Oder beim Elterngeld oder der Berechnung von Arbeitslosengeld?
Das kommt darauf an. Bei Urlaub und Krankheit gilt das Lohnausfallprinzip. Demnach ist der Arbeitnehmer so zu stellen, als würde er weiter seiner Arbeit nachgehen. Daher können Überstunden bei der Berechnung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall mitzählen, wenn sie regelmäßig über einen längeren Zeitraum anfielen, also über mehrere Monate – sonst in der Regel nicht.
Beim Elterngeld zählen Überstunden mit, denn da geht es um die maßgebende regelmäßige Arbeitszeit, die über die vergangenen zwölf Monate berechnet wird. Anders ist das beim Arbeitslosengeld 1, sagt das Bundesarbeitsgericht. Dort gilt nach dem Arbeitsförderungsgesetz nur die tarifliche Arbeitszeit (Az. B 11 AL 43/01 R).
- Wie bei jedem Vertrag gilt auch für den Arbeitsvertrag: Erst prüfen, dann unterschreiben. Die Rechtsexperten der Stiftung Warentest erklären, worauf es ankommt.
- Streit zwischen Beschäftigten und Arbeitgebern beruht oft auf falschen Vorstellungen von Rechten und Pflichten. test.de klärt über häufige Irrtümer auf.
- Um Arbeitnehmer im Homeoffice zu kontrollieren, greifen einige Arbeitgeber zu Überwachungssoftware – nicht immer legal. Wir sagen, was verboten und was hinzunehmen ist.
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Wie der Titel schon sagt ...!
Tekkies finden die Programme noch auf GitHub: https://github.com/Bundesarbeitsministerium