
Neue, aber schon häufig verordnete und stark beworbene Medikamente für Patienten mit Typ-2-Diabetes, umgangssprachlich auch Altersdiabetes genannt, machen von sich reden: Deren Wirkstoffe – aus der Gruppe der Gliflozine – können womöglich das Risiko für einen Herzinfarkt verringern und so das Leben verlängern. Zwei Wirkstoffe gibt es auf dem deutschen Markt, einer davon heißt Dapagliflozin. Die Stiftung Warentest hat ihn bewertet.
Völlig neues Wirkprinzip
Die neuen Medikamente enthalten Wirkstoffe aus der Gruppe der Gliflozine, die auf einem völlig neuen Prinzip basieren: Sie blockieren ein Transporteiweiß in der Niere, so dass diese beim Filtern von Zucker aus dem Blut praktisch keinen Zucker mehr ins Blut zurückschleust. Der Körper scheidet dadurch mehr Zucker direkt aus und braucht ihn nicht abzubauen. Das ist ein entscheidender Vorteil für Menschen mit Typ-2-Diabetes. Bei ihnen stellt die Bauchspeicheldrüse gar kein Insulin her oder nicht mehr genug – oder das vorhandene Insulin wirkt nicht mehr richtig in den Zielzellen, allen voran den Muskelzellen. Dadurch kann der Zucker aus dem Blut schlecht abgebaut werden, so dass es zu viel davon enthält. Die Folgen: Gefäßschäden. Sie begünstigen Herzinfarkt, Schlaganfall und Durchblutungsstörungen der Beine. Was noch für die neuen Medikamente mit Gliflozinen spricht: Häufig verlieren Nutzer zwei bis drei Kilogramm Körpergewicht und ihr Blutdruck sinkt leicht.
Drei Präparate auf dem Markt

Diese Präparate enthalten Gliflozine: Bei Jardiance heißt der Wirkstoff Empagliflozin, das Mittel Forxiga enthält Dapagliflozin. Xigduo kombiniert Dapagliflozin mit dem etablierten Metformin.
Zurzeit gibt es aus der Gruppe der Gliflozine drei Präparate auf dem Markt: Jardiance mit dem Wirkstoff Empagliflozin, Forxiga mit dem Wirkstoff Dapagliflozin und Xigduo, das Dapagliflozin und den etablierten Wirkstoff Metformin kombiniert. Die Arzneimittelexperten der Stiftung Warentest haben für die Datenbank Medikamente im Test bislang nur Medikamente mit dem häufiger verordneten Dapagliflozin bewertet. Das Urteil lautet „mit Einschränkung geeignet“, da das Wirkprinzip noch wenig erprobt und die Langzeitverträglichkeit unklar ist.
Studie mit 7 000 vorbelasteten Teilnehmern
Doch die neuen Wirkstoffe machen Hoffnung. Eine Studie im Magazin New England Journal of Medicine zum Wirkstoff Empagliflozin sorgte im Herbst 2015 für Aufsehen in der Fachwelt: Zum ersten Mal zeigte sich bei einem neuen Wirkstoff für Typ-2-Diabetiker, dass er das Risiko für Herzinsuffizienz und die Sterblichkeit verringern kann. Das liegt auch an der Auswahl der gut 7 000 Studienteilnehmer, die alle gesundheitlich vorbelastet waren: Sie waren im Schnitt 63 Jahre alt, hatten Typ-2-Diabetes und zudem einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall hinter sich oder litten an einer koronaren Herzkrankheit. Fast alle Teilnehmer nahmen blutdrucksenkende Medikamente ein, die meisten noch ein Mittel gegen hohe Blutfettwerte.
Weniger Herz-Kreislauf-Attacken
Während der etwa dreijährigen Untersuchungsphase nahm ein Teil der Gruppe ein Medikament mit dem Wirkstoff Empagliflozin, der andere Teil bekam ein Scheinmedikament. Am Ende der Studie zeigte sich: 12,1 Prozent der Patienten, die das Scheinmedikament nahmen, hatten schwere Herz-Kreislauf-Attacken erlitten. Bei denjenigen, die Empagliflozin einnahmen, waren es nur 10,5 Prozent.
IQWIG kritisiert Studie
Wissenschaftler stufen den Unterschied als knapp signifikant ein. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG) kritisiert, dass in der Placebogruppe die herkömmliche Therapie in Bezug auf Blutzucker- und Blutdruck nicht vollständig ausgeschöpft wurde. Frühere Studien zu anderen neuen Wirkstoffen bei Diabetes konnten lediglich zeigen, dass diese die langfristige Blutzucker-Konzentration senken. Doch ein gesenkter Wert an glykolsiliertem Hämoglobin bedeutet nicht automatisch, dass es einem Patienten besser geht.
Unerwünschte Nebenwirkung: Infektionen im Genitalbereich
Dapagliflozin ist laut Zulassung nur dann als alleiniges Mittel einzusetzen, wenn das altbewährte Diabetes-Medikament Metformin nicht angewendet werden kann oder wenn Metformin oder Sulfornylharnstoffe nicht ausreichend wirken – zum Beispiel wegen Allergien oder Lebererkrankungen. Die Stiftung Warentest beurteilt Metformin als „geeignet“. Es sorgt über die Leber für weniger Zucker im Blut, kann das Risiko für Herzinfarkte verringern und gilt generell als Mittel der ersten Wahl. Von den etablierten Mitteln weiß man, dass sie auch negative Diabetes-Folgeerkrankungen an Augen und Nieren verhindern können. Das ist bei Gliflozinen noch ungewiss. Eine unerwünschte Nebenwirkung von Gliflozinen ist allerdings schon bekannt: Bei etwa jedem zehnten Patienten führt der zuckerhaltige Harn in Studien zu Infektionen im Genitalbereich, auch das Risiko für Harnwegsentzündungen erwies sich als erhöht.
In sehr seltenen Fällen lebensgefährliche Stoffwechselübersäuerung
Noch nicht vollständig abgeklärt sind Hinweise, dass Gliflozine das Risiko für Blasentumore, Nierenfunktionsstörungen und Knochenbrüche erhöhen könnten. Generell fallen bei neuen Medikamenten erst nach Marktzulassung sehr seltene unerwünschte Wirkungen oder Wirkungen bei bestimmten Patienten auf. In den Studien wird immer nur eine begrenzte Anzahl von Menschen mit dem Mittel behandelt. In Zusammenhang mit Gliflozinen liegen Berichte über einzelne Patienten vor, bei denen eine lebensgefährliche Stoffwechselübersäuerung eingetreten ist – die Ketoazidose.
Tipp: Ein Arzt sollte unbedingt die Nieren prüfen, bevor er Gliflozine verordnet – der Wirkmechanismus setzt eine intakte Nierenfunktion voraus. Bei eingeschränkter Nierenfunktion wirken sie nicht so gut.