
Vergangenheit. An Mäusen und an anderen Tieren erprobte die Industrie viele Jahre lang Kosmetika.
Früher wurden Lippenstift, Deo und Co. an Tieren getestet. Heute ist das verboten. Ein Risiko für Verbraucher?
Von A wie Augencreme bis Z wie Zahnpasta: Jahrzehntelang ließen die Hersteller Kosmetikartikel und Inhaltsstoffe an Tieren testen, um die Verträglichkeit zu prüfen. Bilder von Kaninchen, Mäusen oder Ratten, die im Dienste der Schönheitsindustrie litten, verstörten die Betrachter.
Seit 2013 gehören Tierversuche für Kosmetika in Deutschland der Vergangenheit an. Auch in allen anderen Mitgliedsländern der Europäischen Union sind sie laut EU-Kosmetikverordnung untersagt. Das Verbot geht so weit, dass auch keine Kosmetikprodukte mehr verkauft werden dürfen, die außerhalb der EU, etwa in China oder den USA, an Tieren erprobt wurden.
Eine Tür ist noch offen
Tierschützer fordern, die Vorschriften auszuweiten. Kritikern gehen sie schon jetzt zu weit. Es gebe noch nicht für alle Tests zuverlässige Ersatzmethoden, beklagen sie. Sie befürchten, die Entwicklung neuer, sicherer Kosmetikprodukte und Inhaltsstoffe könnte auf der Strecke bleiben. test hat vier Vertreter aus Tierschutz, Forschung, Medizin und Kosmetikindustrie gebeten, Stellung zu diesen Befürchtungen zu nehmen Experten im Interview.
Ganz ohne Tierversuche geht es auch jetzt noch nicht: Solange es keine anerkannten alternativen Testmethoden gibt, können neue Inhaltsstoffe an Tieren erprobt werden – falls es sich etwa um Duft-, Konservierungs- oder Farbstoffe handelt, die beispielsweise auch in Medikamenten und Reinigungsmitteln oder in Malfarben zum Einsatz kommen. Für sie gelten das Arzneimittelrecht und die EU-Chemikalienverordnung, kurz Reach-Verordnung. Beide lassen Tierversuche zu
Tierschützer befürchten, Kosmetikhersteller könnten das Verbot so umgehen. „Da die meisten Inhaltsstoffe auch in anderen Produkten eingesetzt werden, können auch künftig Substanzen, die vorher im Tierversuch getestet wurden, in Kosmetikprodukten landen“, sagt etwa Roman Kolar, stellvertretender Leiter des Deutschen Tierschutzbunds und der Akademie für Tierschutz.
Versuch im Reagenzglas statt am Tier

Gegenwart. Tierversuche sind verboten. Die Sicherheit von Kosmetika muss mit Ersatmethoden geprüft werden.
Einig sind sich Kritiker und Befürworter in dem, was sie von der Wissenschaft fordern: Zügig müssten weitere Ersatzmethoden für Tierversuche erforscht und zugelassen werden – zum Schutz von Menschen und Tieren gleichermaßen.
„Geforscht wird seit langem“, sagt Professor Dr. Gilbert Schönfelder, Leiter der Abteilung Experimentelle Toxikologie und der Zentralstelle zur Erfassung und Bewertung von Ersatz- und Ergänzungsmethoden zum Tierversuch (ZEBET) am Bundesinstitut für Risikobewertung. „In vielen Bereichen kann man die Zahl der Tierversuche bereits wesentlich reduzieren.“ Mögliche Hautverätzungen lassen sich beispielsweise an künstlichen Hautmodellen und Zellkulturen im Reagenzglas untersuchen. Ebenso die Fototoxizität, die unerwünschte Hautreizung durch bestimmte Stoffe im Zusammenspiel mit Sonnenlicht.
Für Versuche im Reagenzglas, die sogenannten In-vitro-Methoden, werden Zell-, Gewebe- oder Organkulturen gezüchtet. Auch immer mehr computergestützte Berechnungen, sogenannte In-silico-Methoden, ersetzen Tierversuche.
Hohe Forschungskosten
Die Forschung kostet Zeit und Geld. „Bis ein alternatives Testverfahren offiziell anerkannt ist, vergehen im Normalfall zwischen sechs und acht Jahre. Früher konnte es bis zu 15 Jahre dauern“, sagt Schönfelder. „Die Forschungsprojekte kosten mitunter mehrere Millionen Euro.“
Langer Weg zur Zulassung

In mehrstufigen Verfahren prüfen internationale wissenschaftliche Gremien und Behörden die Zuverlässigkeit jeder tierfreien Ersatzmethode genau, immer wieder. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat das letzte Wort: Erst wenn sie eine Ersatzmethode offiziell anerkennt und zulässt, muss diese auch in der Praxis einen Tierversuch ablösen, und Labore müssen sie anwenden.
Alternative Testmethoden müssen das gleiche Schutzniveau bieten wie Tierversuche. Die Anforderungen sind hoch. Mit ihrer Hilfe die langfristige Reaktion eines Organismus zuverlässig vorherzusagen, ist schwierig: zum Beispiel ob der wiederholte Kontakt mit einem Stoff oder einer Stoffkombination Krebs auslöst, das Erbgut oder ein ungeborenes Kind im Mutterleib schädigt.
Dass weiter geforscht und neue tierfreie Testmethoden zugelassen werden, ist nicht nur im Sinne der Tierschützer. Für die Industrie seien die Alternativen meist kostengünstiger durchzuführen als Tierversuche, sagt Schönfelder. „Zudem liefern sie inzwischen häufig genauere Messergebnisse.“ Das freut am Ende auch die Verbraucher.