
Die Apps tragen jede Fahrt von Finanztest-Redakteur Michael Bruns in einen Stadtplan ein. Datum, Uhrzeit, Strecke, Durchschnittstempo, Start und Ziel. Außerdem errechnen sie für jede Fahrt einen Punktwert, den Score.
Viele Autoversicherer setzen auf Telematik. Eine kleine Box oder die Handy-App zeichnen den Fahrstil auf – umsichtiges Fahren wird mit Punkten belohnt. Und je mehr Punkte der Fahrer erzielt, desto billiger wird die Jahresrechnung des Versicherers. Finanztest-Redakteur Michael Bruns hat im Selbstversuch ausprobiert, wie das Ganze funktioniert – und dabei festgestellt, dass die Telematik-App zumindest eines leistet: Sie weckt den sportlichen Ehrgeiz des Fahrers.
Je mehr Punkte, desto billiger die Versicherung
„Na, wie war ich?“ Das ist die Frage nach jeder Fahrt. Das Display zeigt: 82 von 100 Punkten, ganz ordentlich. Auf dem Handy ist eine Telematik-App. Sie misst meinen Fahrstil: Je vorsichtiger, desto mehr Punkte gibt es. Und je mehr Punkte, desto billiger wird die Jahresrechnung der Autoversicherung. Das spart Geld und macht Spaß – ein Wettbewerb gegen mich selbst: Schaffe ich es jetzt, den bisherigen Bestwert zu toppen?
Fahrverhalten individuell messen, Risiko präzise schätzen
Mit Telematik können Versicherer das Fahrverhalten jedes Kunden individuell messen und sein Risiko präzise schätzen. Der Versicherer stuft zunächst nach den üblichen Merkmalen wie Alter, Beruf, Jahreskilometer oder Schadenfreiheitsklasse ein. Der Punktwert aus dem Fahrstil kommt dazu und bringt in der Regel einen Preisnachlass.
Vor allem Fahranfänger sparen
Die größte Ersparnis bringt Telematik Anfängern. Sie zahlen für die Versicherung deutlich mehr als Ältere, weil sie insgesamt mehr Unfälle bauen. Das ist ärgerlich für Junge, die eher vorsichtig fahren. Mit Telematik können sie nachweisen, dass ihr Fahrstil sicher ist. Einige Versicherer bieten ihre Telematiktarife ausschließlich für junge Leute an.
Über 300 Euro Ersparnis sind drin
Unsere Tabelle zeigt: Die Preise für die Telematik-Tarife, die wir am Markt gefunden haben, gehen weit auseinander. Mit einigen kann unser Modellkunde, ein 19-jähriger Golf-Fahrer, kräftig sparen. Im günstigsten Telematiktarif zahlt er bei der Sijox 720 Euro jährlich, wenn er optimal fährt. Dagegen kostet der günstigste Tarif ohne Telematikoption, den unsere Analyse ausweist, bei der Europa 1 057 Euro (Kfz-Versicherungsvergleich).
Das sind die Vorteile des Vergleichs Kfz-Versicherung
Individuell: Wir ermitteln günstige Autoversicherungen genau für Ihren Bedarf.
Umfangreich: Fast alle aktuellen Autoversicherungs-Tarife im Versicherungsvergleich.
Unabhängig: Die Stiftung Warentest erhält keine Provision von Versicherern.
Fair: Unser Vergleich hat keine Voreinstellungen zu Ihrem finanziellen Nachteil.
Frauen fahren vorsichtiger
Auch Frauen können profitieren. Sie verursachen weniger Schäden als Männer. Doch die EU verbietet seit 2012 nach Geschlechtern getrennte Preise als Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot. Da hilft Telematik: Bei der Sparkassen Direktversicherung schafften 75 Prozent der Telematik-Fahrerinnen mindestens 80 Punkte, aber nur 65 Prozent der Männer. „Drive like a girl“ nennt sich deshalb ein englischer Versicherer: Fahr wie ein Mädchen. Er nimmt aber auch Jungs, schließlich können auch sie wie ein Mädchen fahren.
Apps von Allianz, Allsecur und CosmosDirekt im Praxis-Check
Ich versuche es mit drei Apps: Allianz, Allsecur und CosmosDirekt bieten Apps fürs Handy, mit denen auch Leute, die dort nicht Kunde sind, ihre Fahrweise testen können. Was in den Score einfließt, ist je nach Versicherer unterschiedlich. Meist sind das:
Geschwindigkeit: Das Tempolimit zu überziehen, kostet Punkte.
Bremsen: Abruptes Bremsen deutet auf wenig vorausschauendes Fahren und zu geringe Sicherheitsabstände hin.
Beschleunigen: Kavalierstarts sind ein Anzeichen für einen flotten Fahrstil.
Straßentyp: Auf Autobahnen passieren weniger Unfälle als innerorts. Wer oft Unfallschwerpunkte passiert, erhält Punktabzüge.
Nachtfahrten: Sie erhöhen das Unfallrisiko.
Kurventempo: Ein Gyroskop im Handy misst die Fliehkräfte.
Jede App gewichtet Daten anders
Wie diese Daten gewichtet werden, ist unterschiedlich. Die Admiral Direkt erklärt: Beschleunigungs-, Brems- und Lenkverhalten machen je 11 Prozent aus, Tageszeit 25 Prozent, der Straßentyp 20 Prozent, die Geschwindigkeit 17 Prozent. Auf Autobahnen gelten mehr als 160 Stundenkilometer als riskant. Mit 5 Prozent zählt die Bevölkerungsdichte mit. In Städten steigt das Unfallrisiko. Was genau sie sich unter einer sicheren Fahrweise vorstellen, erklären die Versicherer. Die Kunden erhalten teils ausführliche Anleitungen. Außerdem bewerten die Apps bei jeder Fahrt scharfes Bremsen oder zu schnelle Kurven. Über allem steht der Punktwert. 97 Punkte sind das Beste, was ich schaffe. Merkwürdig: Die Apps bewerten häufig unterschiedlich. Meist sind die Abweichungen gering. Aber einmal gibts von der Allianz-App 93 Punkte, von der Allsecur nur 68 Punkte.
Fahrstil wird vorsichtiger
Tatsächlich merke ich bald: Telematik animiert zu einer vorsichtigen Fahrweise. Bei Beschleunigung, Bremsen und Tempo erhalte ich ab und zu sogar 100 Punkte. Meine Kurvenfahrten waren anfangs etwas zu forsch. Nun bin ich zurückhaltender. Nicht zu ändern ist, dass der Straßentyp Punkte kostet – die Strecke zur Redaktion verläuft nun mal innerorts. Auch an der Uhrzeit lässt sich nichts drehen. Ein Azubi, der morgens um 4 Uhr zur Bäckerei fährt, muss Punktabzüge hinnehmen. Dennoch könnte Telematik jungen Fahrern viel bringen. Es ist wie die Fortsetzung des begleiteten Fahrens. Praktisch ist, dass die Apps von allein anspringen, sobald sich das Handy schnell bewegt – natürlich nur, wenn das GPS läuft.
Technik: Mit Box oder ohne
Große Unterschiede gibt es bei der Technik. Die App-Variante ist die einfachste Lösung. Technisch anspruchsvoller ist die TelematikBox. Sie ist etwa streichholzschachtelgroß und wird fest ins Auto eingebaut. Sie kann alle relevanten Daten auslesen und per Mobilfunk senden. Nachteil: Der Einbau ist teuer und bei jedem Auto anders. Eine Alternative dazu ist ein Stecker, der direkt in die elektronische Diagnose-Schnittstelle des Pkw kommt, die OBD 2-Schnittstelle. Sie dient eigentlich dazu, dass Werkstätten bei Reparaturen oder Inspektionen auf elektronischem Weg Fehler erkennen können. Über diese Schnittstelle können sie alle relevanten Fahrzeugdaten auslesen, beispielsweise Kilometerstand, Drehzahl, Motorlast und vieles mehr.

So funktioniert Telematik im Auto: Ab März 2018 sollen Neuwagen nach einem Unfall automatisch einen Notruf absetzen. Mit ähnlicher Technik können Autoversicherer schon jetzt das Fahrverhalten ihrer Kunden messen und in ihre Tarife einkalkulieren.
So funktioniert Telematik im Auto: Ab März 2018 sollen Neuwagen nach einem Unfall automatisch einen Notruf absetzen. Mit ähnlicher Technik können Autoversicherer schon jetzt das Fahrverhalten ihrer Kunden messen und in ihre Tarife einkalkulieren.
Automatischer Notruf bei Unfall
Die Telematik-Varianten mit Box und Stecker bieten zusätzlich einen Unfallalarm. Registrieren die Sensoren einen Unfall, verständigt das System automatisch die Notrufzentrale. Das kann Leben retten, zum Beispiel wenn die Insassen bewusstlos sind. Dieses Meldesystem müssen ab 31. März 2018 alle Neuwagen haben. Es hat eine Sim-Karte und wählt über das Handynetz die Notrufnummer 112.
Auch möglich: Ohne Box, aber mit Unfallmeldestecker
Nicht alle Versicherer lassen ihre Box fest einbauen. Vielmehr schließt der Kunde sie im Auto an einen 12-Volt-Anschluss an wie den Zigarettenanzünder. Auch sie kann die wesentlichen Fahrdaten erkennen. Aber wenn ein Fahrer nicht kontrolliert werden will, kann er den Stecker ziehen und ohne Box fahren. Das geht erst recht bei den reinen App-Lösungen. Ist das Handy ausgeschaltet, wird die Fahrt nicht aufgezeichnet. Die Apps lösen keinen automatischen Notruf aus. Dafür wäre ein zusätzlicher Unfallmeldestecker nötig, der in eine 12-Volt-Steckdose kommt.
„Kirschgrüne“ Ampeln nicht erfasst
Was die Testfahrten schnell zeigen: Die Apps messen nur einen kleinen Ausschnitt des Fahrstils. Dichtes Auffahren, riskantes Überholen, Lückenspringen, Telefonieren am Steuer, Alkohol, „kirschgrüne“ Ampeln – all das registrieren sie nicht. Einmal spielt mir die Automatik einen Streich. Im Fahrtenbuch steht eine Fahrt mit katastrophalen 42 Punkten. Ich muss gefahren sein wie ein Rüpel. Dann der Blick auf die Karte: Der Rüpel war ein U-Bahnfahrer. Ich hatte vergessen, im Waggon die Automatik der App auszuschalten.
In U-Bahn und Taxi App lieber ausschalten
Die miese Punktzahl fließt nun in meinen Score ein. Das Gleiche passiert im Taxi oder wenn man als Beifahrer mitfährt. Immerhin vergleicht die App das GPS mit einer Landkarte. Stellt sie bei einer Bahnfahrt fest, dass es keine Straßen gibt, meldet sie: „Ihre Fahrt konnte nicht zugeordnet werden.“
Erstattung am Jahresende
Die Beitragsersparnis handhaben die Versicherer unterschiedlich. Bei der HUK muss der Kunde erst mal mit der Telematikbox fahren und die Fahrdaten aufzeichnen.
Dafür gibt es im ersten Jahr 10 Prozent Preisnachlass. Maximal 30 Prozent gibt es im Folgejahr. Bei AdmiralDirekt sieht die Erstattung so aus:
- 5 Prozent der Jahresprämie ab 80 Punkte,
- 10 Prozent ab 85 Punkte,
- 15 Prozent ab 90 Punkte,
- 20 Prozent ab 95 Punkte.
Zu schaffen ist das. Nach einigen Wochen Test liegen meine Scores zwischen 84 und 87 Punkten – mit Tendenz nach oben.
Alternative: Tankrabatte
Ein ganz eigenes System hat der HDI. Da erhält der Kunde für „vorausschauendes und rücksichtsvolles Fahren“ Rabatte beim Tanken. Und kann deutschlandweit 2 Cent pro Liter Diesel oder Benzin sparen. Die Gutschrift erfolgt in Form von sogenannten „Tanktalern“.
Telematikfahrer zahlen mit ihren privaten Daten
Auch für mich wäre eine Ersparnis drin. Bisher zahle ich bei meinem Versicherer 329 Euro für Haftpflicht, Teilkasko und Schutzbrief. Würde ich zur Allsecur wechseln, würde sie bei meinem Score von 84 Punkten nur 291 Euro verlangen. Ein eher kleiner Preisvorteil, den Telematikfahrer mit vielen privaten Daten bezahlen.
Was ist mit dem Datenschutz?
Viele Kunden haben Bedenken in puncto Datenschutz. Die Versicherer winken ab. Schon 2014, als die Sparkassen Direktversicherung einen Telematiktarif herausbrachte, tüftelte sie an einer Lösung: Die Daten gingen per Mobilfunk an den Versicherer und dann anonym an eine Fremdfirma zur Auswertung. Sie kannte weder Fahrer noch Pkw. Nach der Auswertung übermittelte sie für jeden Datensatz einen Punktwert. Nur den konnte der Versicherer dem Kunden zuordnen. Dies war mit den Datenschutzbehörden abgestimmt. Die Sparkassen Direkt hat ihr Angebot beendet. Heute verfahren viele Anbieter aber ähnlich.
Auch ohne Telematik sammelt das Auto viele Daten
Was viele Autofahrer nicht wissen: Moderne Autos sind längst wahre Datenkraken. Dutzende Sensoren sammeln viel mehr Daten als die Telematik: Kilometerstand, Reifendruck, Verbrauch, Bremsvorgänge, Position der Sitze, Motorlast, Drehzahl, Temperatur, Batteriespannung, Füllstände von Kühlmittel, Wischwasser, Bremsflüssigkeit. Das alles senden sie mit Datum, Uhrzeit und Position an den Hersteller – oft alle paar Minuten.
Kündigung jederzeit möglich
Dagegen kann man aus der Telematik sofort aussteigen. „Das Datenschutzrecht verlangt, dass der Kunde jederzeit seine Einwilligung in die Verarbeitung der personenbezogenen Daten widerrufen kann“, erklärt Professorin Petra Pohlmann von der Forschungsstelle für Versicherungswesen der Uni Münster. Oft greift die Kündigung schon am nächsten Tag.
Ein Problem bleibt
So weit der offizielle Datenschutz. Doch was, wenn meine Frau zufällig ins Handy schaut? Sie würde sehen, wann ich wo war. Wer angeblich zum Sport fährt, dann aber seine Freundin besucht, könnte ein Problem haben.