
Stevia-Pflanze
Die südamerikanische Stevia-Pflanze hat viel von sich Reden gemacht: Dürfen ihre Süßstoffe in Lebensmitteln verwendet werden oder nicht? Jetzt hat die EU-Kommission grünes Licht gegeben. Zuvor war es mehrfach zu gerichtlichen Auseinandersetzungen gekommen. Zuletzt kämpfte die Andechser Molkerei Scheitz um ihre mit Stevia-Tee gesüßten Jogurts.
Update [14.11.2011]
Neu: E 960. Die EU-Kommission hat Stevia heute offiziell als Süßungsmittel für Lebensmittel zugelassen. Genauer gesagt: Zugelassen sind die Steviolglykoside. Diese Stoffe werden aus den Blättern der Pflanze gewonnen und geben ihr die Süßkraft. Der neue Zusatzstoff erhält die E-Nummer 960. In der EU ist es Pflicht, Zusatzstoffe mithilfe von E-Nummern oder durch ihren vollen Namen in der Zutatenliste von Lebensmitteln kenntlich zu machen (siehe aktualisierte Liste Lebensmittelzusatzstoffe in EU). Ein Grund für die Zulassung ist laut EU der „Bedarf an neuen, kalorienreduzierten Produkten“. Stevia süßt 300-mal stärker als Zucker, ist aber kalorienfrei. Außerdem hatte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) bereits 2010 gesundheitliche Bedenken gegenüber Stevia ausgeräumt. Die EU-Verordnung tritt Anfang Dezember 2011 in Kraft.
Von Jogurt bis Limonade. Rund 30 Lebensmittelkategorien können dann mit Stevia gesüßt werden, darunter Jogurt, Speiseeis, Kakao, Schokolade, Kaugummi oder Konfitüre – vorausgesetzt, es handelt sich um kalorienreduzierte Produkte oder um Produkte ohne weiteren Zuckerzusatz. Auch Cerealien und diverse Getränketypen dürfen unter bestimmten Auflagen Steviolglykoside verwenden.
Bedenken wegen Überdosierung. Aus Verbrauchersicht bleibt die Zulassung dennoch kritisch. Denn niemand weiß derzeit, mit welchen Mengen an Stevia Verbraucher künftig konfrontiert werden. Laut EU-Kommission besteht die Gefahr einer Überdosierung insbesondere für Kinder und Erwachsene, die viele gesüßte Softdrinks trinken. Diese könnten schnell die von der Efsa empfohlene Tagesdosis von 4 Milligramm Stevia pro Kilogramm Körpergewicht überschreiten. Die EU-Kommission will darum Hersteller und Nutzer von Steviolglykosiden genauer nach deren Verwendung befragen. Es ist denkbar, dass in Zukunft Vorgaben gemacht werden, welche Mengen des Süßstoffs in Limonaden & Co. stecken dürfen [Update Ende].
Seit Jahrhunderten bekannt
In Zentral- und Südamerika ist die auch als Süß- oder Honigkraut bezeichnete Pflanze Stevia rebaudiana schon seit Jahrhunderten als Süßungsmittel bekannt. Verantwortlich für den süßen Geschmack sind Verbindungen, die in den Blättern und Stängeln der Pflanze vorkommen. Diese so genannten Steviolglykoside sind bis zu 300 mal süßer als Zucker, liefern aber weder Kalorien und noch verursachen sie Karies. Kein Wunder, dass sich nicht nur die Lebensmittelindustrie, sondern auch viele Verbraucher für Stevia als Alternative zum Zucker interessieren. In Japan beispielsweise süßt man mit Stevia schon seit den 70er Jahren Lebensmittel. In Deutschland sind die aus der Pflanze gewonnenen Steviolglykoside dagegen bisher nicht für Lebensmittel zugelassen.
Stevia-Tee statt Stevia-Extrakt

Stevia-Jogurt von Andechser

Die Andechser Molkerei Scheitz kam deshalb auf einen Kniff: Zum Süßen ihrer beiden Bio-Jogurts mit Maracuja-Banane- und Orange-Sanddorn-Zubereitung verwendet sie nicht die Extrakte der Pflanze, sondern einen Aufguss der Stevia-Blätter. Dieser Stevia-Tee hat einen leicht bitteren Beigeschmack und eignet sich daher zum Beispiel nicht für Erdbeerjogurt – wohl aber für die beiden anderen Sorten. Im Februar hatte die Molkerei die Produkte eingeführt und zwischenzeitlich wieder vom Markt genommen. Denn die Behörden des Freistaats Bayern hatten rechtliche Bedenken, ob die mit Stevia-Tee gesüßten Jogurts verkehrsfähig seien.
Stevia-Tee ist kein Novel Food
Dreh- und Angelpunkt des Rechtsstreits war: Ist Stevia-Tee eine gewöhnliche pflanzliche Zutat? Oder handelt es sich um ein neuartiges Lebensmittel, das unter die Novel-Food-Verordnung der EU fällt und deshalb zugelassen werden muss? Als Novel Food gilt, was vor Mai 1997 nicht in nennenswertem Umfang als Lebensmittel in der EU verzehrt wurde. Das Verwaltungsgericht München kam nun zu dem Schluss, dass die mit Stevia-Tee gesüßten Jogurts keine neuartigen Lebensmittel sind. Der Freistaat Bayern darf der Molkerei deshalb den Verkauf der Jogurts nicht verbieten und dazu auch keine Meldung in das europaweite Schnellwarnsystem einstellen. Dieses Warnsystem für Lebens- und Futtermittel soll dafür sorgen, dass die EU-Mitgliedsstaaten im Fall von Bedrohungen der Lebensmittelsicherheit schnell Informationen austauschen und ihre Maßnahmen koordinieren können.
Mehr als 61 Millionen Tassen Tee vor 1997
„Wir haben das Gericht davon überzeugt, dass vor 1997 mehr als 61 Millionen Tassen Stevia-Tee in der EU getrunken wurden“, freut sich die Geschäftsführerin der Molkerei Barbara Scheitz. Dafür habe ihr Unternehmen eidesstattliche Versicherungen von Firmen vorgelegt, die Stevia-Tee in den Verkehr bringen. Überall in Deutschland könne man jetzt die mit Stevia-Tee gesüßten Bio-Jogurts kaufen. „Es ist aber nicht auszuschließen, dass ähnliche Produkte anderer Anbieter ein ähnlich aufwendiges Verfahren durchlaufen müssen“, meint Barbara Scheitz. Die Molkerei im oberbayerischen Andechs plant jedenfalls, weitere mit Stevia-Tee gesüßte Produkte auf den Markt zu bringen.
Keine Entscheidung zu Stevia-Extrakten
Ob nun auch Extrakte aus der Stevia-Pflanze, die sogenannten Steviolglykoside, ohne weiteres in Lebensmitteln verwendet werden dürfen, hat die Entscheidung des Verwaltungsgerichts nicht geklärt. Über die Zulassung der Extrakte wird auf EU-Ebene entschieden. Barbara Scheitz vermutet, dass diese Zulassung irgendwann kommt – nicht zuletzt auf Druck Frankreichs. Dort ist das Stevia-Extrakt Rebaudiosid A bereits vorläufig zugelassen. Gesundheitliche Bedenken hatte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) bereits im April 2010 ausgeräumt: Steviolglykoside seien weder krebserregend noch wirkten sie sich negativ auf die Fortpflanzungsorgane oder das ungeborene Kind aus. Nach den Angaben sind sie auch nicht genotoxisch – schädigen also nicht das menschliche Erbgut.
Tagesdosis für Stevia-Extrakte
Allerdings hat die EFSA eine Tagesdosis von 4 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht für die sichere Verwendung von Stevia-Extrakt festgelegt. Verbraucher könnten die täglichen Aufnahmemengen überschreiten, wenn zukünftig sehr viele Lebensmittel mit Stevia-Extrakten gesüßt werden. Auch wer heute schon Stevia-Produkte konsumiert, die pur und getarnt als Dünger oder Kosmetik längst unter der Hand vermarktet werden, riskiert Überdosierungen.
Verwaltungsgericht München, Urteile vom 26.09.2011. Die Urteile sind noch nichts rechtskräftig, es kann noch Berufung eingelegt werden.
Aktenzeichen: Az. M 18 K 11.2918 und Az. M 18 K 11.1445 und Az. M 18 E 11.1443
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Was in allen Diskussionen um die Zulassung von Stevia überhaupt nicht beachtet wird ist, daß 85% des Weltmarktes aus Fernost gedeckt wird und nur 15% aus Paraguay stammt bzw. dort angebaut wird. Die Qualitätsunterschiede sind enorm, aber vermutlich wird mal wieder nur über den Preis entschieden. Fernost-Stevia ist billig - nicht nur von der Qualität her. Der Verbraucher in Deutschland bzw. in der EU wird nicht vollständig aufgeklärt. Dafür verunsichert man ihn lieber mit Höchstmengen! Verbraucher, denen ihre Gesundheit wirklich am Herzen liegt, sollten auf ein entsprechendes Herkunftszertifikat achten oder sich bei einem Händler ihres Vertrauens, das originale Stevia direkt aus Paraguay bestellen.
Kommentar vom Autor gelöscht.
Natürlich. Nur von den ganzen erlaubten Zusatzstoffen die dann noch mit E-Nummer verschlüsselt werden... riskiert natürlich niemand eine Überdosierung....
Überschreitung der Tagesdosis
@Testesser: Die angegebenen 4 mg pro kg Körpergewicht geben an, wie viel Steviolglycoside ein Mensch pro Tag über sein gesamtes Leben ohne spürbare Auswirkungen auf seine Gesundheit aufnehmen kann. Vereinzelte Überschreitungen dieses ADI-Werts sind an sich nicht besorgniserregend, da er die lebenslange tägliche Exposition berücksichtigt.
@Schporst: Die EFSA selbst schreibt, dass das für Lebensmittelzusatzstoffe zuständige Gremium "(...)eine zulässige tägliche Aufnahmemenge (Acceptable Daily Intake — ADI) von 4 mg pro kg Körpergewicht für Steviolglycoside festgelegt (...)" hat. Siehe: http://www.efsa.europa.eu/de/press/news/ans100414.htm. Als Steviolglycoside sind in der Bewertung Mischungen von Steviolglycosiden bezeichnet, die zu nicht weniger als 95 Prozent aus Steviosid und/oder Rebaudiosid A bestehen.