Google und andere Suchmaschinenbetreiber müssen auf Antrag Links aus ihren Suchergebnissen löschen, wenn diese die Persönlichkeitsrechte von Betroffenen verletzen. Das hat der Europäische Gerichtshof im Luxemburg entschieden. Klingt nach einer klaren Sache. Doch noch sind viele Fragen offen. test.de erklärt die neue Rechtslage.
Gericht bestätigt „Recht auf Vergessenwerden“
Privatleute können von einem Suchmaschinenbetreiber wie Google verlangen, dass dieser Links aus seiner Ergebnisliste nimmt, wenn die Daten im Suchergebnis die Rechte des Betroffenen verletzten. Das hat der Europäische Gerichtshof entschieden (Az. C-131/12). Der Entscheidung liegt ein Fall aus Spanien zu Grunde. Der Spanier Mario Costeja González war in den 90er Jahren in finanzielle Schwierigkeiten geraten, schuldete der Sozialversicherung Geld, und eine spanische Zeitung hatte 1998 über die Zwangsversteigerung seines Grundstücks berichtet. Noch Jahre später führte eine Google-Suche auf die online gestellten Artikel der Zeitung. Darüber beschwerte sich Costeja González bei der spanischen Datenschutzbehörde AEPD. Die Beschwerde gegen die Tageszeitung war erfolglos geblieben, da die Zeitung wahrheitsgemäß berichtet hatte. Bei der Datenschutzbehörde war González erfolgreicher: Sie stellte sich auf den Standpunkt des Bürgers und forderte Google auf, die Suchtreffer aus der Ergebnisliste herauszunehmen. Dagegen klagte der Suchmaschinenbetreiber in Spanien.
US-Konzern Google muss Europarecht beachten
Da für die Klärung des Falls „Google gegen AEPD“ die Auslegung der Europäischen Datenschutzrichtlinie wichtig ist, bat das spanische Gericht den Europäischen Gerichtshof vorab um die Beantwortung einiger rechtlicher Fragen. Das hat das europäische Gericht nun getan – und zwei Grundsätze formuliert:
- Es gilt das europäische Datenschutzrecht. Die Richter sind der Ansicht, dass der amerikanische Google-Konzern mit seiner Zweigniederlassung in Spanien auch dann europäisches Datenschutzrecht zu beachten hat, wenn die Suchergebnisse auf Servern außerhalb der EU erzeugt werden.
- Anspruch auf Löschung. Eine Google-Suche nach dem Namen einer Person ermöglicht es anderen, sich ein Bild über das private Leben dieser Person zu machen. Ohne Google sei das nicht oder nur sehr schwer möglich, meint das Gericht. Wegen der „potenziellen Schwere“ eines solchen Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht kann eine Privatperson – nach Ablauf einer gewissen Zeit – deshalb grundsätzlich verlangen, dass Links aus der Ergebnisliste einer Suchmaschine gelöscht werden. Dieses „Recht auf Vergessenwerden“ stehe Privatpersonen sogar dann zu, wenn die Information auf der verlinkten Seite zum Zeitpunkt der Veröffentlichung korrekt war.
Löschungsanspruch nur „unter Umständen“
Die Urteilsgründe des Europäischen Gerichtshofs liegen noch nicht vor. Es gibt derzeit nur eine Pressemitteilung. Darin werden ganz grob die Kriterien geschildert, wann ein Antrag auf Löschung bei Google Erfolg haben könnte:
- Zeitpunkt der Löschung. Zunächst muss eine „gewisse Zeit“ zwischen der Berichterstattung auf einer Internetseite und dem Antrag auf Löschung verstrichen sein. Im Fall des Spaniers waren es zwölf Jahre. Der Europäische Gerichtshof hat nicht entschieden, ob diese Zeitspanne ausreicht, um die Löschung bei Google zu rechtfertigen. Dies hat nun das spanische Gericht zu entscheiden.
- Ein Recht für Privatpersonen. Es spielt auch eine Rolle, welche Information konkret aus dem Suchergebnis herausgenommen werden soll und über welche Person berichtet wird. Prominente oder Politiker erreichen möglicherweise auch nach zwölf Jahren keine Löschung, wenn es ein öffentliches Interesse an der veröffentlichten Information gibt. Bei „normalen“, nichtprominenten Personen ist das anders. Hier heißt es in der Pressemitteilung des Europäischen Gerichtshofs: Die Rechte der betroffenen Privatpersonen überwiegen in der Regel die Interessen der Internetnutzer.
So gehen Betroffene nun vor
- Löschantrag bei der Suchmaschine. Privatleute, die unter Berufung auf das EuGH-Urteil Links aus Suchergebnissen verschwinden lassen wollen, müssen sich zuerst an den Betreiber der Suchmaschine wenden. Die Suchmaschinenbetreiber sollen entsprechende Anträge laut EuGH „sorgfältig prüfen“. Da die Vorgaben des Gerichts aber sehr viel Entscheidungsspielraum für Suchmaschinenbetreiber lassen und es noch keine weiteren Gerichtsurteile gibt, ist nicht absehbar, wie Google derzeit auf solche Anfragen reagiert.
- Der Gang zum Datenschützer. Hat der Antrag keinen Erfolg, können sich Betroffene an die nationalen Datenschutzbehörden oder ein Gericht wenden. Um rechtlich fundiert zu argumentieren, wird man in vielen Fällen die Hilfe eines Rechtsanwalts brauchen. Immerhin: Internetnutzer, die rechtlich gegen Google vorgehen möchten, müssen nicht in den USA klagen, sondern können dies hier tun.
Google hat Erfahrung mit Löschbegehren
Welche Konsequenzen Google aus der Entscheidung zieht, ist noch unklar. Mit der Löschung von Links aus der Trefferliste einer Google-Suche hat das Unternehmen jedenfalls reichlich Erfahrung. Schon heute können Betroffene bestimmte Suchergebnisse auf Antrag aus Google löschen lassen. Jede Woche bekommt Google nach eigenen Angaben rund 5 Millionen Anträge, Links auf illegale Download-Seiten aus der Google-Suche herauszunehmen. Diese Anträge werden über das Internet gestellt. Möglicherweise bietet Google in Zukunft auch ein entsprechendes Verfahren für die Geltendmachung des “Rechts auf Vergessenwerden“.
Gegen Seitenbetreiber direkt vorgehen
Ob Betroffene auch eine unliebsame persönliche Information auf einer Internetseite aus dem Netz bekommen, steht auf einem anderen Blatt. Gegen die Betreiber der Seiten müssen sie direkt vorgehen. Das kann in der Regel nur gelingen, wenn dort zum Beispiel Unwahres oder Beleidigendes über eine Person behauptet wird. Eine wahre Information über eine Person nach Jahren wieder aus dem Online-Archiv einer Zeitung herauszubekommen, ist nach deutschem Recht sehr schwierig. So scheiterte im Jahr 2012 der Versuch eines Managers, einen wenige Jahre alten Bericht des Nachrichtenportals welt.de löschen zu lassen. Die Berichterstattung war für den Kläger ungünstig. Aber sie war wahrheitsgemäß. Der Bundesgerichtshof entschied am Ende gegen ihn: Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit überwiege das Persönlichkeitsrecht des Betroffenen. Die entsprechende Meldung darf online bleiben. (Az. VI ZR 4/12).