Stürze im Alter So beugen Sie vor

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Im Alter nimmt das Sturzrisiko zu. Doch vorbeugen ist möglich. Wer Stolperfallen aus dem Weg räumt und in Bewegung bleibt, kann auch seine alten Tage sicher genießen.

Die Zahlen sind dramatisch: Vier bis fünf Millionen Mal stürzen ältere Menschen jedes Jahr in Deutschland. Bei den über 65-Jährigen ereilt dieses Schicksal jeden Dritten mindestens einmal im Jahr, bei den über 80-Jährigen sogar jeden Zweiten einmal im Jahr. Die Gründe liegen in nachlassender Sehkraft, schwindender Muskelkraft oder Gleichgewichtsstörungen – oft verursacht durch Medikamente.

Viele schweigen aus Angst

Vermutlich sind die Zahlen noch höher. Denn keiner will sich das eingestehen – auf einmal alt zu sein, gebrechlich. „Selbstständig zuhause leben zu können, das ist für älter werdende Menschen von höchster Wichtigkeit. Deshalb schweigen viele aus Angst, in ein Heim abgeschoben zu werden“, sagt Dr. Ellen Freiberger, Leiterin des Forschungsprojekts „Standfest im Alter“ am Institut für Sportwissenschaft und Sport der Universität Erlangen-Nürnberg.

Altersmediziner betreiben deshalb auch Gesundheitspsychologie. Belehrung, sagt Clemens Becker, Facharzt für Innere Medizin und Geriatrie in Stuttgart, sei der falsche Weg. „Man muss gemeinsam mit den Senioren auf Änderungen hinarbeiten, damit sie möglichst lange in ihrer vertrauten Wohnung bleiben können.“ Gestürzt sind Betroffene aus eigener Sicht nie, höchstens gestolpert oder ausgerutscht.

Stolperfallen beseitigen

Doch es gibt einfache Mittel, mit denen jeder Einzelne viel gegen das große Sturzrisiko im Alter tun kann. Ein zusätzliches Geländer als Handlauf, ein Gehstock, eine Augenuntersuchung, ein altersgerechtes Fitnessprogramm, das empfehlen Experten jedem für ein besseres Älterwerden. Und der Erfolg stellt sich schnell ein – bei 60-Jährigen genauso wie bei 80-Jährigen.

Die meisten Stürze passieren in den eigenen vier Wänden. Hier kann das Leben schon mit einfachen Maßnahmen deutlich erleichtert werden. Wer die häufigsten Stolperfallen beseitigt, erhöht seine Sicherheit:

  • So ist es natürlich wichtig, dass der Fußboden wirklich frei ist – Bücher, Zeitschriften, Prospekte, Schuhe aus dem Weg räumen.
  • Telefon- und Verlängerungskabel mit Kabelschellen an der Wand oder mit Klebeband auf dem Fußboden befestigen.
  • Lose Teppiche oder Läufer entfernen oder mit doppelseitigem Klebeband oder mithilfe von Gummiunterlegern befestigen.
  • Alternativen: Schnurloses Telefon benutzen, zusätzliche Steckdosen installieren.
  • Standfeste Tische und Stühle mit Armlehnen sind stabil genug, um sich auf ihnen abstützen zu können.
  • Treppenstufen farblich mit Signalband markieren, Antirutschkanten aufkleben.
  • Türschwellen beseitigen oder wenigstens mit Signalfarbe streichen.
  • Schuhe – auch Hausschuhe – sollten einen festen Halt, vor allem guten Fersenhalt bieten und eine Profilsohle haben. Sie sollten flach sein oder allenfalls breite Absätze mit maximal vier Zentimeter Höhe haben.
  • In allen Räumen für gute Beleuchtung sorgen, Lichtschalter darauf prüfen, ob sie überall leicht erreichbar sind.
  • Nachtlichter in Flur, Bad und Schlafzimmer markieren den Weg im Dunkeln.
  • Im Bad können einige Umbauten sinnvoll sein. Besonders sicher sind bodengleiche Duschen oder als Alternative eine Duschtasse mit sehr niedrigem Rand.
  • Zum Duschen im Sitzen gibt es Klappsitze, die an der Wand befestigt werden.
  • Im Bad rutschhemmende Matten benutzen oder kleine rutschfeste Fliesen aufkleben. Haltegriffe installieren.
  • Feuchte Böden sofort trockenwischen.

Fachleute um Rat fragen

Die meisten Veränderungen in der Wohnung sind nicht teuer. Allenfalls die Umgestaltung im Bad ist mit höheren Kosten verbunden. Zu allen Fragen, die bei der Wohnungsanpassung auftauchen, empfiehlt sich eine Beratung von Fachleuten. In vielen Orten gibt es Wohnberatungsstellen von Kommunen, Pflegekassen oder Pflegediensten. In einigen Gemeinden kommen Mitarbeiter der Beratungsstellen sogar auf Anfrage ins Haus. Sie können dabei helfen, die Wohnung anzupassen und für größere Umbauten Kostenträger zu finden.

Wer als pflegebedürftig eingestuft ist, kann für eine Wohnraumanpassung zum Beispiel von der Pflegeversicherung bis zu 2 500 Euro Zuschuss bekommen. Auch wer mit einer kleinen Rente auskommen muss, kann mit Hilfen rechnen. Manche Gemeinden bieten Zuschüsse für Umbaumaßnahmen aus kommunalen Sonderprogrammen oder Landesmitteln zur Modernisierungsförderung an. Ansprechpartner sind die Wohnungs- oder Sozialämter.

Gleichgewicht und Kraft trainieren

Noch wichtiger als Veränderungen oder gar ein Umbau der Wohnung ist aber körperli­ches Training, um Stürze zu verhindern, so die Erkenntnis der Wissenschaft. Clemens Becker, Chefarzt des Robert-Bosch-Krankenhauses für Geriatrische Rehabilitation in Stuttgart, empfiehlt spätestens ab einem Alter von 75 Jahren ein Gleichgewichtstraining und, spätestens sobald Alltägliches wie Aufstehen oder Treppensteigen schwerfalle, Kraft- und Muskeltraining. Und zwar intensiv: „Eine Stunde pro Woche reicht nicht. Drei Monate lang sollte man mindestens zwei Stunden pro Woche trainieren.“ Trainiert werden Beinmuskeln, Bauch- und Rückenmuskulatur sowie die Arm- und Schultermuskulatur. Regelmäßige Spaziergänge seien zwar ein guter Ratschlag, hätten aber längst nicht den gleichen Effekt.

Gewichte, Motivation und ein Stuhl

Mit Bodybuilding hat das nichts zu tun. Für das Krafttraining braucht man nur einen Stuhl und Gewichtsmanschetten oder Hanteln von einem halben bis zwei, maximal fünf Kilogramm. „Durch körperliches Training kann die Zahl der Stürze um 30 bis 50 Prozent reduziert werden“, sagt Clemens Becker. Denn nicht allein durch das Altern, sondern durch einen passiven Lebensstil verliert ein Erwachsener bis zum 80. Lebensjahr fast die Hälfte seiner Muskelmasse. Für das Gleichgewichtstraining braucht man nur eines: Motivation.

Dass Kraft und Fitness gerade im Alter besonders wichtig sind, hat sich auch bei Krankenkassen, Volkshochschulen und Sportvereinen herumgesprochen. Bewegungs- und Fitnessangebote für ältere Menschen haben zurzeit Konjunktur. Balancetraining für Senioren enthält meist Grundelemente von Chi Gong und Tai Chi, also chinesische Bewegungs- und Meditationsformen. Auch Tanzen ist geeignet.

Der Deutsche Turnerbund hat bereits um die tausend Übungsleiter in Sturzprophylaxe geschult. In vielen Turnvereinen gibt es daher spezielle Angebote, oft auch eingebaut in reguläre Seniorenkurse. Einige Krankenkassen vermitteln sogar Pflegeberater oder Trainer für Hausbesuche, so zum Beispiel einige Allgemeine Ortskrankenkassen oder die Bosch Betriebskrankenkasse. Sie klären über Sturzrisiken auf und zeigen einfache Übungen.

Reaktionsvermögen verbessern

Zwei Dinge gleichzeitig tun – auch das wird im Alter ein Problem. Ellen Freiberger trainiert seit 2005 mit Menschen zwischen 70 und 90 Jahren, wie sie ihre Vielseitigkeit und ihr Reaktionsvermögen verbessern können. „Viele ältere Menschen gucken fast nur nach unten. Man muss an einer Ampel aber auch nach vorne gucken.“ Freiberger übt mit ihnen, auf Wesentliches im Verkehr zu achten. Viele fühlen sich bei plötzlichen Veränderungen im Verkehrsgeschehen überfordert und bleiben prompt stehen. „Wenn das dann mitten auf der Straße passiert, ist das lebensgefährlich.“

Bereits ab dem 60. Lebensjahr sollte jeder mit dem Hausarzt über eine mögliche Vorbeugung sprechen, empfiehlt Professor Ingo Füsgen, Ärztlicher Direktor der Geriatrischen Kliniken St. Antonius in Wuppertal. Regelmäßig überprüfen lassen sollte man die „vier geriatrischen I’s“: Instabilität, Inkontinenz, Immobilität und intellektueller Abbau. Hier vorzubeugen, sei wichtig, denn sonst seien diese vier Fak­toren „eine Einbahnstraße in die Pflege­bedürftigkeit“. Auch die Augen und das Gehör sollten untersucht werden (siehe auch „Krankheit und Medikamente“).

Ein Sturz ist ein Warnzeichen

Wichtig ist, auch harmlosere Zwischenfälle ernst zu nehmen. Zwar kommt es nur bei etwa jedem zehnten Sturz zuhause zu Verletzungen und nur in fünf Prozent der Fälle zu einem Knochenbruch. Doch ein Sturz ist immer ein Warnzeichen, egal, wie glimpflich er abläuft. Denn wer bereits einmal oder gar häufiger gestürzt ist, fällt mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut.

Gehstock und Rollator nutzen

„Niemand sollte sich aus Eitelkeit weigern, einen Stock als Gehhilfe zu benutzen“, sagt Ingo Füsgen, Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie. „Wer bereits unsicher ist, kann sich mit einem Rollator behelfen.“ Gehstock und Rollator sind Hilfsmittel, die von der Krankenkasse bezahlt werden – allerdings ist dafür ein Rezept erforderlich. Der Arzt hilft bei der Beratung für das passende Modell.
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Auch Hüftprotektoren werden von vielen Krankenkassen bezahlt. Diese gepolsterten Hosen mit eingenähten Schalen dämpfen einen Sturz und können eine wertvolle Vorbeugung sein. Voraussetzung ist aber eine gute Beratung. „Ohne professionelle Anleitung bleiben viele verordnete Hüftprotektoren in der Schublade liegen“, weiß Ellen Freiberger. „Wenn sie aber regelmäßig getragen werden, können sie bis zu 60 Prozent der Frakturen verhindern.“

Im Falle eines Falles

Im Falle eines Sturzes bleiben viele Senioren hilflos liegen, manchmal stundenlang. Auch für solche Fälle lässt sich vorsorgen:

  • Einen täglichen Telefonanruf mit Angehörigen oder Bekannten vereinbaren.
  • Einen Hausnotrufdienst nutzen – die Benachrichtigung der Notrufzentrale funktioniert über ein kleines Funkgerät in Armband oder Halskette.
  • Wer versucht, sich nach einem Sturz auf den Bauch zu drehen, kann sich an etwas hochziehen und Hilfe holen.
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