Zehntausende Studierende gehen jedes Jahr in Deutschland vorzeitig von der Hochschule ab. Viele fragen sich: Was jetzt? Die gute Nachricht: Es gibt viele Alternativen zum Studium. Und: Aussteiger sind auf dem Arbeitsmarkt durchaus gefragt. test.de erklärt, welche beruflichen Möglichkeiten Studienabbrecher haben, wie die Bildungspolitik den Einstieg ins Berufsleben fördert, wo es Hilfe gibt und warum Beratung unverzichtbar ist – vor und nach dem Ausstieg.
Den Neustart wagen
Jährlich brechen in Deutschland bis zu 100 000 Studierende ihr Studium ab. Zwei von ihnen sind Robert Kühnke und Matthias Linde. Der Berliner Kühnke stellte bereits nach zwei Semestern fest, dass Studieren nicht sein Ding ist. „Viel zu theoretisch“, fasst er rückblickend zusammen. „Praktisch zu arbeiten, liegt mir einfach mehr.“ Der Mecklenburger Linde hingegen brauchte Jahre, um einen Schlussstrich zu ziehen. „Ich hätte mir viel früher eingestehen müssen, dass ich auf dem falschen Weg bin“, sagt er heute.
Leistungsprobleme oft Grund für Ausstieg
Die Gründe für einen Studienabbruch sind sehr unterschiedlich und oft höchst individuell. Eine Umfrage des Hochschulinformationssystems unter Exmatrikulierten zeigt, dass Leistungsprobleme bei 20 Prozent der Befragten ausschlaggebend für den Studienabbruch waren. 19 Prozent gaben als Grund für den Ausstieg finanzielle Probleme an, 18 Prozent mangelnde Studienmotivation.
Beratungsangebote nutzen
Wer einen Studienabbruch erwägt, sollte die Entscheidung nicht voreilig und besser nicht allein treffen. Wichtig ist zunächst herauszufinden, warum man unzufrieden ist: Sind die Anforderungen zu hoch? Fehlt die Motivation? Sind Prüfungsängste die Ursache oder finanzielle Sorgen? Die Gründe lassen sich am besten mit professioneller Hilfe erforschen. Betroffene sollten daher so früh wie möglich die Beratungsangebote der eigenen Hochschule nutzen, die Studienberatung zum Beispiel oder die Psychologische Beratung. Ansprechpartner sind aber auch die Studentenwerke und die Teams für akademische Berufe der Bundesagentur für Arbeit (siehe Wer Studienabbrecher berät).
Perspektiven entwickeln
Doch nicht nur vor dem Ausstieg tut Beratung not, sondern auch danach. „Wer das Studium abbricht, empfindet das häufig als Scheitern oder Versagen“, sagt Laura Ritter, die Studienabbrecher bei den Berliner Bildungsberatungsstellen Jobassistenz Berlin und Lernladen Pankow berät. „Die Gefahr dabei: Man kann in ein psychisches Loch fallen.“ (Siehe Interview.) Umso wichtiger ist es, mithilfe professioneller Berater schnell eine berufliche Perspektive zu entwickeln und sich neue Ziele zu setzen.
Studienabbrecher sind für Arbeitgeber attraktiv
Eine Beratung kann außerdem dabei helfen, sich seiner Kompetenzen und Stärken bewusst zu werden. „Jeder nimmt Kenntnisse, Fähigkeiten und Erfahrungen aus der Studienzeit mit, die auf dem Arbeitsmarkt gefragt sind“, sagt Helmut Suchrow, Berufsberater im Team für Akademische Berufe bei der Arbeitsagentur in Hamburg. „Wer studiert hat, ist zum Beispiel in der Regel in der Lage, sich selbstständig auch komplexe Sachverhalte zu erarbeiten und seine Schlüsse zu ziehen.“ Von diesen intellektuellen Kompetenzen abgesehen, seien Studienabbrecher zudem meist hoch motiviert, so Suchrow. Auch das mache sie für Arbeitgeber als Auszubildende oder auch als Mitarbeiter sehr attraktiv.
Alternative Berufswege gibt es viele
Alternativen zum Studium gibt es viele. Für den Umstieg bieten sich zum Beispiel betriebliche (duale) oder schulische Berufsausbildungen an, sogenannte Sonder- oder Abiturientenausbildungen oder praxisorientierte Ausbildungen an Berufsakademien und Dualen Hochschulen (siehe Welche beruflichen Möglichkeiten es gibt).
Direkter Berufseinstieg nicht zu empfehlen
Eher nicht zu empfehlen ist der Direkteinstieg in den Beruf, auch wenn er vielen verlockend erscheinen mag. Doch Arbeitnehmer ohne Berufsabschluss sind gegenüber ihren qualifizierten Konkurrenten im Nachteil, was Geld und Karrieremöglichkeiten angeht. Julia Flasdick, Referatsleiterin für Hochschulpolitik beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK), gibt außerdem zu bedenken: „Die Arbeitsplätze von Beschäftigten ohne Abschluss sind erfahrungsgemäß häufiger befristet als die von Beschäftigten mit beruflichem oder akademischem Abschluss.“
Begehrt in Industrie, Handel und Handwerk
Insbesondere für die betrieblichen Ausbildungsberufe in Industrie, Handel und Handwerk sind Studienabbrecher begehrte Kandidaten. Dort fehlt es nicht nur an Auszubildenden, sondern auch an Fach- und Führungskräften. Laut Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) suchen in den kommenden zehn Jahren rund 200 000 Handwerksunternehmen einen Nachfolger. Durch den generellen Trend zu Abitur und Studium fehle es an leistungsstärkeren Jugendlichen, die sich für eine duale Ausbildung interessieren, heißt es beim ZDH. Dabei biete das Handwerk vielfältige Karrieremöglichkeiten für junge Menschen mit Lust auf Unternehmertum und Verantwortung.
Auch im MINT-Bereich fehlen Fachkräfte
Julia Flasdick vom DIHK verweist auf den von Experten prognostizierten Mangel in den MINT-Berufen, also in Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik. „Bis Ende 2020 werden bis zu 1,3 Millionen beruflich gebildete MINT-Fachkräfte fehlen“, sagt Flasdick. Unter dem Strich heißt das: Gute Aussichten für Fachinformatiker, Mathematisch-technische Softwareentwickler, Produktionstechnologen, Elektroniker für Betriebstechnik und Mechatroniker.
Kammern werben gezielt um Abbrecher
Kein Wunder also, dass Industrie- und Handelskammern (IHK) und Handwerkskammern (HWK) aktiv bei der Rekrutierung von Ex-Studierenden für ihre Ausbildungsberufe sind. Viele sprechen Studienaussteiger inzwischen gezielt mit speziellen Programmen an, um sie an Betriebe und Unternehmen zu vermitteln. Nicht selten kooperieren die Kammern dabei mit Arbeitsagenturen, Hochschulen oder Studentenwerken. So bietet etwa die IHK Berlin das Programm your turn an, das Studienaussteiger unter anderem in Berufsausbildungen zum Fachinformatiker für Systemintegration und zum Immobilienkaufmann vermittelt. Für Ex-Studenten attraktiv kann auch eine Kombinationen aus Berufsausbildung und Qualifikation zum Meister sein, wie sie die HWK Münster mit Und morgen Meister! und die HWK Unterfranken mit dem Karriereprogramm Handwerk – Vom Campus in den Chefsessel anbieten. Damit sind Absolventen auch für Führungspositionen gerüstet.
Verkürzte Ausbildung möglich – Abitur wird angerechnet
Studienabbrecher können eine duale Berufsausbildung in der Regel verkürzt durchlaufen, weil das Abitur mit bis zu zwölf Monaten auf die Ausbildungsdauer angerechnet werden kann. Noch einmal Zeit sparen lässt sich, wenn Auszubildende überdurchschnittliche Leistungen in Betrieb und Berufsschule bringen. Denn dann können sie vorzeitig zur Abschlussprüfung zugelassen werden. Allerdings sollte eine Ausbildung die jeweilige Mindestdauer nicht unterschreiten: Dreijährige Ausbildungen sollten mindestens 18 Monate dauern, zweijährige mindestens zwölf Monate.
Tipp: Angebote der IHK in Ihrer Region finden Sie über das IHK.de-Dachportal. Über einen Klick auf „Direkt zu Ihrer IHK vor Ort“ gelangen Sie zu einer Suchmaske. Wenn Sie dort Wohnort oder Postleitzahl eingeben, erhalten Sie die Kontaktdaten Ihres regionalen Ansprechpartners. Wer eine Ausbildung im Handwerk favorisiert, kann sich beim Zentralverband des Deutschen Handwerks über die Programme der HWK für Studienabbrecher informieren. Gibt es kein spezielles Programm für Ex-Studierende, sind die Ausbildungsberater der IHK und HWK erste Ansprechpartner. Für alle anderen Ausbildungsberufe kontaktieren Sie am besten die Agentur für Arbeit an Ihrem Wohnort. Die Mitarbeiter dort wissen, in welchen Berufen und Branchen Auszubildende gesucht werden.
Bildungsministerium initiiert Modellprojekte für Studienabbrecher
Um Studienabbrecher für duale Berufsausbildungen zu gewinnen, initiierte Bundesbildungsministerin Johanna Wanka Anfang 2015 das Programm Jobstarter plus, über das Studienabbrecher, Hochschulen, Kammern und Unternehmen schneller zueinander finden sollen. Bis Ende 2017/Anfang 2018 sollen 18 regionale Projekte Maßnahmen und Modelle zur beruflichen Erstausbildung oder beruflichen Fortbildung von Studienabbrechern entwickeln und erproben. So gibt es in Mecklenburg-Vorpommern beispielsweise das Programm ask for change, in dessen Rahmen die Hochschule Wismar und ihr Schweriner Verbundpartner RegioVision gezielt Studienabbrecher ansprechen, um sie an regionale Betriebe mit hohem Fachkräftebedarf zu vermitteln.
Tipp: Ob es in Ihrer Region ein Jobstarter-plus-Projekt gibt, verrät die Projektlandkarte. Klicken Sie dafür unter Themenauswahl auf „Studienabbrecher“.
Anrechnung von Studienleistungen verbessern
Ferner will die Bundesbildungsministerin, dass die im Studium erworbenen Kenntnisse und Leistungsnachweise besser auf die berufliche Aus- und Weiterbildung angerechnet werden. Auch dafür sollen die Projekte im Jobstarter-plus-Programm neue Wege aufzeigen. Zurzeit treffen die Kammern individuelle Entscheidungen für jeden einzelnen Fall. Dafür müssen Auszubildende, die ihre Studienleistungen auf die Berufsausbildung anrechnen lassen möchten, gemeinsam mit ihrem Ausbildungsbetrieb einen Antrag bei der zuständigen Kammer stellen. Aus dem Bildungsministerium heißt es, dass individuelle Lösungen auch in Zukunft notwendig seien, da für die Anrechnung diverse Kriterien den Ausschlag gäben, zum Beispiel Dauer und Ausrichtung des Studiums.
Viele Optionen für Aufstieg und Karriere
Auch die Ex-Studenten Robert Kühnke und Matthias Linde haben sich nach ihrem Studienabbruch für eine Berufsausbildung entschieden. Beide sind gut damit gefahren und schätzen die Weiterbildungs- und Entwicklungsmöglichkeiten, die sich ihnen bieten. „Ein Ausbildungsberuf ist keine Einbahnstraße“, sagt Robert Kühnke, der heute als Gärtnergeselle bei einem Berliner Garten- und Landschaftsbaubetrieb arbeitet und demnächst berufsbegleitend die Aufstiegsfortbildung zum Gärtnermeister in Angriff nehmen möchte. Matthias Linde besuchte nach seiner Ausbildung zum Segelmacher ebenfalls die Meister-Schule. Inzwischen hat er sich auf Usedom, wo er geboren ist, selbstständig gemacht.
Im Zweifel hilft BEN
Aufstiegsfortbildung und Selbstständigkeit sind zwei von vielen Möglichkeiten der Weiterentwicklung. Wer sich über Fortbildungs- und Aufstiegsoptionen nach einer Berufsausbildung informieren möchte, kann dafür den Berufsentwicklungsnavigator der Bundesagentur für Arbeit, kurz BEN, im Internet nutzen. Nach einem Klick auf „Weiterbildung“ sind Ausgangsberuf und Wohnort einzugeben. Dann spuckt BEN darauf zugeschnittene Informationen aus, etwa über Weiterbildungsangebote im Beruf, Spezialisierungs- und Aufstiegsmöglichkeiten.
Tipp: Nutzen Sie Zuschüsse und zinsgünstige Darlehen, die Bund und Länder für Weiterbildungsvorhaben wie eine Aufstiegsfortbildung oder ein berufsbegleitendes Studium spendieren. Über Fördertöpfe und Finanzspritzen informiert die Stiftung Warentest kostenlos im Leitfaden Weiterbildung finanzieren.
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