Preiserhöhungen – so wehren Sie sich: test.de-Artikel vom 13.11.2013
Zahllosen Verbrauchern flattern Schreiben ihrer Energieversorger ins Haus: Der Strom- und/oder Gaspreis steigt mal wieder. Was die meisten Verbraucher nicht wissen: Die große Mehrheit der Preiserhöhungen ist zumindest angreifbar und oft schlicht illegal. Verbraucher müssen sie dann nicht bezahlen. Wer schon gezahlt hat, kann auf eine rechtswidrige Preiserhöhung entfallende Beträge zurückfordern. test.de erklärt die Rechtslage und gibt ausführliche Tipps.
Klare Ansagen
Rechtlicher Hintergrund: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg hat im März geurteilt. Die umständlich formulierte, aber klare Ansage: „In Bezug auf die Beurteilung einer Klausel, die es (...) erlaubt, die Entgelte (...) einseitig zu ändern, hat der Gerichtshof bereits darauf hingewiesen, dass (...) dafür von wesentlicher Bedeutung ist, ob (...) der Vertrag den Anlass und den Modus der Änderung der Entgelte für die zu erbringende Leistung so transparent darstellt, dass der Verbraucher die etwaigen Änderungen dieser Entgelte anhand klarer und verständlicher Kriterien vorhersehen kann“, heißt es in der Urteilsbegründung wörtlich. Mit anderen Worten: Warum, wann und nach welchem Verfahren sich Preise ändern, muss im Gas- oder Stromlieferungsvertrag klar geregelt sein.
Tipp: Die Stiftung Warentest hat die Energiepreise für die 20 Städte recherchiert, in denen die meisten Finanztest-Abonnenten wohnen. Die größte Ersparnis fanden wir in Essen. Ein Haushalt mit 5 500 Kilowattstunden Jahresverbrauch kann dort bis zu 321 Euro im Jahr sparen.
Sieg für Verbraucher
Das Urteil fiel bereits im März. Zu verdanken haben Energiekunden es der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen (VZ NRW). Sie zog für Kunden der RWE (früher: Rheinisch-Westfälische Elektrizitätswerke) vor Gericht und forderte Erstattung von rechtswidrigen Preiserhöhungen. Der Weg durch die Instanzen war lang: Fast sieben Jahre dauerte es, bis der EuGH urteilte. Für die Verbraucherzentrale ein Sieg auf der ganzen Linie: Deutsche Gerichte hatten zuvor für vergleichbare Fälle viel weniger verbraucherfreundlich geurteilt. Jetzt ist klar: Energieversorger haben kein Recht zur Preiserhöhung, wenn sie in ihren Vertragsbedingungen nicht sagen, aus welchen Gründen, wann und wie die Preise sich ändern.
Früher nur Grundversorgung
Doch auch über ein halbes Jahr nach Verkündung des EuGH-Urteils verwenden die meisten Energieversorger immer noch Klauseln, die ihnen das Recht einräumen, die Preise ohne Angabe von Gründen zu ändern. Hintergrund: Lange Jahre gab’s bei der Energieversorgung keinen Wettbewerb. Gas und Strom kamen vom örtlichen Versorger. Die Regeln dafür gab die Regierung per Verordnung vor. Für Preiserhöhungen in der so genannten Grundversorgung gilt danach noch heute: Sie sind zulässig, ohne dass sie den Kunden erklärt werden müssen. Die Versorger müssen ihre Kunden nur spätestens sechs Wochen vor Inkrafttreten über die neuen Preise informieren.
Wettbewerb und Verbraucherschutz
Doch längst können sich Gas- und Stromkunden aussuchen, von wem sie sich versorgen lassen. Weit mehr als die Hälfte haben von ihrem Wahlrecht Gebrauch gemacht und sind so vom Grundversorgungs- zum Sonderkunden avanciert. Kein Wunder: Mit den so genannten Sondertarifen lassen sich gegenüber der Grundversorgung je nach Verbrauch und Region pro Jahr oft viele Hundert Euro sparen. Für die Sondertarife gelten die für die Grundversorgung verordneten Regierungsregeln nicht. Maßgeblich sind die jeweiligen Geschäftsbedingungen der Energieversorger. Doch die verweisen oft auf die Grundversorgungsverordnung oder übernehmen die dort geltenden Regeln. Das genügt den Verbraucherschutzregeln nicht, urteilten die EuGH-Richter.
Ansätze zur Fairness
Immerhin: Einzelne Anbieter knüpfen Preisänderungen strikt an die Änderung der Kosten und verpflichten sich, auch Einsparungen an Kunden weiterzugeben. Das ist im Ansatz fair und entspricht dem Anliegen des EuGH. Allerdings: Die Regelungen bleiben schwammig. Auch mit ihnen kann kein Energiekunde vorhersehen, unter welchen Bedingungen die Preise steigen oder sinken. test.de hält daher auch diese Regeln für unwirksam. Einschlägige Urteile gibt es allerdings noch nicht.
Anbieter ohne Einsicht
Alle Anbieter behaupten allerdings: Unsere Geschäftsbedingungen sind wirksam. Das EuGH-Urteil sei zu älteren Regelungen mit abweichendem Wortlaut gefallen und betreffe die aktuellen Geschäftsbedingungen nicht, argumentieren sie. Das halten die VZ NRW und test.de für schlicht falsch. Die EuGH-Vorgaben gelten für alle Klauseln. Preiserhöhungen sind illegal, wenn Anbieter sie sich erlauben, ohne dass sie dem Kunden im Vertrag ausreichend klare Kriterien dafür nennen. Die Richter sagen in der Urteilsbegründung ausdrücklich: Es reicht nicht aus, wenn Unternehmen eine Preiserhöhung rechtzeitig ankündigen und ihren Kunden ein Sonderkündigungsrecht einräumen. Kunden müssen sich auch darauf verlassen können, dass die Preise rechtzeitig sinken, wenn die Unternehmen von geringeren Kosten profitieren.
Chance auf Erstattung
Gute Chancen auf Erstattung der auf Preiserhöhungen entfallenden Zahlungen haben diejenigen Strom- und Gaskunden, die ihren Versorger schon einmal gewechselt haben und so zu Sonderkunden wurden. Sie müssen innerhalb von drei Jahren widersprechen, wenn sie eine Abrechnung mit erhöhten Preisen erhalten. Besonderheit beim Strom: Viele Versorger haben Extra-Klauseln für Preiserhöhungen wegen steigender Steuern, Netzentgelte und der Erneuerbare Energie-Umlage. Die meisten dieser Klauseln halten VZ NRW-Experte Jürgen Schröder und test.de ebenfalls für unwirksam. Dazu gibt es bisher allerdings keine Gerichtsentscheidungen. Klar ist auch: Von sich aus werden die Energieversorger kaum etwas erstatten. Wer sein Geld zurück will, muss das zumindest ausdrücklich fordern und wohl oft auch vor Gericht ziehen.
In den Tipps geben die Experten der Stiftung Warentest Antworten auf die wichtigsten Fragen und erklären, wie Energiekunden die Erstattung rechtswidriger Preiserhöhungen fordern.
Die grundlegenden Urteile zu Energiepreisen:
Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 21.03.2013
Aktenzeichen: C-92/11
Bundesgerichtshof, Urteil vom 31.07.2013
Aktenzeichen: VIII ZR 162/09
[Update 14.11.2013] Rechtsanwalt Andreas Blees teilt mit: Die Energiehoch3 GmbH hat einem seiner Mandanten rund 1 700 Euro erstattet. Der Mann hatte ab Januar 2010 4,33 Cent je Kilowattstunde Gas gezahlt. Davor lag der Preis bei 3,96 Cent. Das Unternehmen erstattet die Differenz ohne Anerkennung einer Rechtspflicht. Die Energiehoch3 GmbH verwendet aktuell eine Preisänderungsklausel, nach der das Unternehmen berechtigt ist, Kostensteigerungen weiterzugeben und sich gleichzeitig verpflichtet, Kostensenkungen in vollem Umfang weiterzugeben (s. o. „Ansätze zur Fairness“).
[Update 22.01.2014] Die Verbraucherzentrale Sachsen-Anhalt hat sich nach jahrelangem Rechtsstreit gegen die Mitgas Mitteldeutsche Gasversorgung GmbH durchgesetzt. Das Unternehmen durfte genau wie das RWE keine Preiserhöhungen kassieren. Es muss Kunden, die sich an der VZ-Klage beteiligt und ihre Gasrechnung unter Vorbehalt gezahlt hatten, insgesamt rund 27 000 Euro erstatten. Bereits im Jahr 2006 hatte die VZ die Klage beim Landgericht Halle eingereicht. Erst am 20.12.2013 fiel das Urteil (Aktenzeichen: 5 O 524/06). Es ist noch nicht rechtskräftig. Es bezieht sich auf die seinerzeit gültigen Geschäftsbedingungen. Allerdings: Auch die aktuell von der Mitgas verwendeten Geschäftsbedingungen entsprechen nicht den Anforderungen des EuGH und sind unwirksam.
[Update 20.03.2014] Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) mischt die Branche auf. Er hat 30 Energieversorger wegen unwirksamer Regeln in den Geschäftsbedingungen abgemahnt. 28 haben ihre Regeln inzwischen geändert. In einigen Einzelfällen haben die Verbraucherschützer sich bereits vor Gericht durchgesetzt. Weitere Details stehen in der Pressemitteilung des Verbands zur Aktion.