
Anders als gedacht: Nicht immer ist der Hintermann für einen Auffahrunfall verantwortlich.
Der Besuch der Fahrschule mag bei den meisten Autofahrern schon eine Weile her sein. Viele Radler haben ihre Fahrradprüfung schon während der Grundschulzeit abgelegt. Im Großen und Ganzen kennt fast jeder die Verkehrsregeln. Aber manchmal kommen doch Zweifel auf: Was ist erlaubt, was verboten? Unser Special räumt mit häufigen Fehlvorstellungen rund ums Auto- und Fahrradfahren auf.
1. Wer einem anderen auffährt, hat Schuld am Unfall
Das stimmt oft, aber nicht immer. Der Satz „Wer auffährt, hat Schuld“ beschreibt einen sogenannten Anscheinsbeweis: eine Beweisführung, die auf Erfahrungswerten beruht. Gerade im Straßenverkehr kann bei typischen Geschehensabläufen davon ausgegangen werden, dass ein bestimmtes Ereignis die Folge eines bestimmten Ablaufs ist. In vielen Fällen hat der Auffahrende nämlich tatsächlich Schuld, zum Beispiel weil er den geforderten Sicherheitsabstand nicht eingehalten hat. Oder er hat zu spät gebremst, weil er unaufmerksam war.
Etwas anderes gilt natürlich, wenn der Vordermann grundlos bremst oder gar rückwärts fährt. Dieser Unfallhergang ist aber deutlich seltener, meistens ist es eben doch der Hintermann, der sich falsch verhalten hat.
Wenn sich der Unfall für den hinteren Fahrer allerdings nicht vermeiden ließ, dann kann er ihm auch nicht angelastet werden.
Streiten die Unfallbeteiligten über die Schuldfrage, muss der Auffahrende beweisen, dass er alles richtig gemacht hat. Den Hergang des Unfalls zu beweisen, ist in solchen Fällen oft schwierig.
Geraten Sie in die beschriebene Situation, sollten Sie Passanten oder andere Verkehrsteilnehmer suchen, die den Unfall beobachtet haben und Ihre Schilderung bezeugen können. Im besten Fall gelingt es Ihnen, sich zu entlasten.
2. Andere Fahrzeuge rechts zu überholen, ist streng verboten
Schon wieder so ein Grundsatz, der Ausnahmen zulässt. Manchmal ist es nämlich erlaubt, dass ein Fahrzeug auf der rechten Seite vorbeizieht.
Rechts überholen dürfen Sie zum Beispiel auf mehrspurigen Straßen innerhalb von Ortschaften, wenn Sie ein Fahrzeug mit bis zu 3,5 Tonnen zulässigem Gesamtgewicht bewegen. Dann dürfen Sie den Fahrstreifen selbst wählen.
Links abbiegende Fahrzeuge und Schienenfahrzeuge müssen Sie sogar rechts überholen.
Auf Autobahnen gilt, dass Sie rechts an den anderen Fahrzeugen vorbeifahren dürfen, wenn der Verkehr zäh fließt und auf allen Fahrstreifen so dicht ist, dass die Autos nebeneinander fahren und mal auf einer Fahrspur schneller sind, mal auf der anderen.
Außerdem ist es erlaubt, Fahrzeuge auf der Autobahn dann mit geringfügig höherer Geschwindigkeit zu überholen, wenn sie auf dem linken Fahrstreifen stehen oder langsam fahren, also maximal 60 Kilometer pro Stunde. Dabei gilt: Steht der Verkehr, dürfen Sie auf dem rechten Fahrstreifen mit einer Geschwindigkeit von maximal 20 Stundenkilometern überholen. Rollt er langsam, dürfen Sie rechts höchstens mit einer Differenzgeschwindigkeit von 20 Stundenkilometern fahren. Auf der rechten Fahrspur sind in einer solchen Situation also maximal 80 Stundenkilometer erlaubt. Fahren Sie beim Überholen immer sehr vorsichtig.
3. Autofahren mit Flip-Flops oder High Heels ist verboten
Das stimmt nicht. Es gibt kein Gesetz, das Ihnen vorschreibt, welche Art von Schuhen Sie beim Autofahren tragen müssen. Flip-Flops, Sandalen oder High Heels – keiner muss befürchten, wegen seines Schuhwerks von der Polizei angehalten zu werden und ein Bußgeld aufgedrückt zu bekommen. Selbst barfuß fahren ist erlaubt.
Werden Sie aber in einen Unfall verwickelt, kann es sein, dass Ihnen eine Teilschuld zugesprochen wird oder es Probleme mit der Versicherung gibt. Denn Flip-Flops oder Schlappen können schneller vom Fuß gleiten und sich vielleicht sogar in Gas- oder Bremspedal verhakeln und so die Gefahr eines Unfalls erhöhen. Ob Sie eine Teilschuld trifft, wird je nach Einzelfall entschieden. Wenn Sie nichts riskieren wollen, sind Sie im Auto mit festem Schuhwerk besser aufgehoben.
4. Nach einem Unfall darf ich meine Kontaktdaten hinterlassen
Auch wenn es praktisch ist: Nach einem Unfall genügt es nicht, dem Geschädigten einen Zettel an der Windschutzscheibe zu hinterlassen, auf dem die eigenen Kontaktdaten stehen. Denn der Zettel könnte ja vom Wind weggerissen werden oder auf andere Art und Weise abhandenkommen – und dann weiß der Geschädigte nicht, an wen er sich wegen des Schadens wenden soll.
Streifen Sie beispielsweise jemanden beim Ein- und Ausparken, fahren den Außenspiegel ab oder beschädigen das Rücklicht, müssen Sie eine angemessene Zeit darauf warten, dass der Fahrer des Autos auftaucht.
Wie lange Sie warten müssen, was also „angemessen“ heißt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Nachts bei Eis und Schnee müssen Sie nicht stundenlang in einem Wohngebiet in der Kälte zittern und warten, bis der Geschädigte erscheint. Passiert der Unfall jedoch auf dem Parkplatz eines Supermarkts zu normalen Geschäftszeiten, sollten Sie für die Warterei schon mindestens eine Stunde einplanen.
Am einfachsten ist es, nach einem Unfall die Polizei zu rufen – vor allem dann, wenn nicht damit zu rechnen ist, dass jemand in absehbarer Zeit erscheint. Die Polizei kann den Halter anhand des Kennzeichens ermitteln.
Wenn Sie nur einen Zettel hinterlassen, könnte Ihr Verhalten als Fahrerflucht ausgelegt werden. Die kann – je nach Sachverhalt – eine Geldstrafe bis hin zu einer Freiheitsstrafe nach sich ziehen.
5. Die Mindestgeschwindigkeit auf Autobahnen beträgt 60 km/h
Das stimmt nicht. Zwar dürfen auf deutschen Autobahnen nur Fahrzeuge fahren, die technisch dazu in der Lage sind, mehr als* 60 Stundenkilometer zu fahren. Das heißt aber nicht, dass das die zu erreichende Mindestgeschwindigkeit ist. Denken Sie mal an Starkregen oder Blitzeis. Jeder Fahrer muss für sich selbst entscheiden, wie schnell er unterwegs ist – und der Witterung und anderen Gegebenheiten entsprechend so fahren, dass er weder sich noch andere gefährdet.
Daraus, dass es keine Regelungen zur Mindestgeschwindigkeit gibt, darf aber nicht geschlossen werden, dass ein Fahrer beliebig langsam sein darf. Die eigene Geschwindigkeit muss dem Verkehrsfluss angepasst sein.
6. Es ist verboten, während der Fahrt Alkohol zu trinken
Sagen wir mal so: Es gibt zumindest kein Gesetz, das den Griff zur Flasche während der Fahrt verbietet. In Deutschland gilt die 0,5-Promille-Grenze. Alkohol trinken und fahren schließen sich also nicht grundsätzlich aus. Etwas anderes gilt für Fahranfänger, die noch in der Probezeit sind: Sie müssen 0,0 Promille einhalten. Alkohol ist also tabu!
Alle anderen sind etwas freier, solange sie die geltende Grenze nicht überschreiten. Ein Schlückchen während der Fahrt wäre also in Ordnung, wenn auch nicht ratsam. Sind Sie mit 0,5 oder mehr Promille unterwegs, gibt es zwei Punkte in Flensburg, einen Monat Fahrverbot und ein Bußgeld von 500 Euro. Und sind Sie unter Alkoholeinfluss an einem Unfall beteiligt, kann Ihnen eine Mitschuld daran gegeben werden – auch wenn Ihr Blutalkoholwert unter 0,5 Promille liegt.
7. Ein Fußgänger darf eine Parklücke freihalten
Nein. Es ist weder erlaubt, dass sich eine Person selbst in die Parklücke stellt, um sie für einen entnervt durch die Straßen kreisenden Autofahrer zu reservieren, noch dürfen Stühle platziert werden, um einen Parkplatz freizuhalten. Vor allem Letzteres soll in vielen Fällen einem Umzugswagen den Platz sichern.
Wenn Sie jemandem auf diese Art die Parkplatzsuche erleichtern wollen, riskieren Sie ein Buß- beziehungsweise Verwarngeld in Höhe von 10 Euro – und Streit mit jemanden, der sein Auto ebenfalls abstellen möchte.
Wenn sich zwei Autofahrer für ein und dieselbe Parklücke interessieren, gilt: Derjenige hat Anspruch darauf, der sie zuerst unmittelbar erreicht. Dazu darf er auch an der Parklücke vorbeifahren, um rückwärts einparken zu können. Schnappt der andere den Parkplatz weg, droht ihm ein Bußgeld. Denn ein Verstoß gegen die Parkregeln ist eine Ordnungswidrigkeit. Apropos Lücke für den Umzugswagen: Oft kümmern sich die Umzugsfirmen darum, vorübergehende Halteverbote zu beantragen. Falls nicht, können Sie dies selbst beim Straßenverkehrsamt tun.
8. Es ist immer erlaubt, vor der eigenen Einfahrt zu parken
Mein Grundstück, mein Parkplatz! Gehen Sie davon aus, vor Ihrer eigenen Ausfahrt parken zu dürfen, weil Sie sich fragen, wer außer Ihnen schon herauswollen sollte?
Grundsätzlich liegen Sie mit dieser Annahme richtig. Das Schild „Einfahrt freihalten“ soll dem Berechtigten die Zufahrt zu seinem Grundstück ermöglichen.
Aber: Häufig befindet sich vor der Zufahrt ein abgesenkter Bordstein. Und das Parken vor Bordsteinabsenkungen ist verboten. So steht es im Paragraf 12 Absatz 3 Nummer 5 der Straßenverkehrsordnung.
Ob dieses Verbot auch für den Eigentümer oder Mieter des Grundstücks gilt, beurteilen Gerichte im Streitfall unterschiedlich. Und auch Verkehrsrechtsexperten sind sich uneinig. Hintergrund ist, dass die abgesenkten Bordsteine Personen im Rollstuhl oder mit Kinderwagen und Buggys den Weg ebnen sollen. Und der ist ja nicht frei, wenn dort ein Auto steht. Gibt es aber genug Ausweichmöglichkeiten für Rollstuhlfahrer oder Kinderwagen, um problemlos von der Fahrbahn auf den Gehweg oder andersherum zu gelangen, können Behörden davon absehen, ein Knöllchen fürs Falschparken zu verteilen.
9. Zeigt die Ampel Gelb, dürfen Autofahrer weiterfahren
Nein, das Gegenteil ist der Fall. Sie dürfen eine Kreuzung nicht bei Gelb überqueren. Gelbes Licht bedeutet: Anhalten!
Eine Ausnahme gilt, falls es Ihnen nicht möglich sein sollte, gefahrlos zu bremsen. Soll heißen: Wenn Ihnen der Hintermann an der Stoßstange klebt, müssen Sie bei Gelb weiterfahren. Aber wirklich nur dann! Eine gelbe Ampel ohne Not zu missachten, kann Sie 10 Euro kosten.
10. Fahrradfahrer müssen immer den Radweg benutzen
Nein. Als Fahrradfahrer müssen Sie nur dann auf dem Radweg fahren, wenn ein Verkehrsschild das vorschreibt. Das Schild zeigt ein weißes Fahrrad auf blauem Untergrund. Es gibt das Schild auch in Kombination mit einem waagerechten Strich in der Mitte und einer Fußgängerin mit Kind. Dann handelt es sich um einen kombinierten Rad- und Fußweg, den Radler benutzen und dabei auf Fußgänger achten müssen. Befindet sich ein senkrechter Strich in der Mitte – Fahrrad links, Fußgänger rechts – bedeutet das: Direkt neben dem Gehweg liegt ein Radweg, den Sie als Radler benutzen müssen.
Gibt es kein solches Schild, steht es Ihnen als Radfahrer frei, ob Sie auf dem Radweg oder der Straße fahren. Manchmal ist Letzteres Autofahrern ein Ärgernis – sie hätten die Straße lieber ganz für sich allein.
Benutzen Sie einen Radweg nicht, obwohl das vorgeschrieben ist, droht Ihnen ein Verwarngeld zwischen 20 und 35 Euro. Ausnahme: Sie dürfen die so genannte „Radwegbenutzungspflicht“ missachten, wenn die Benutzung des Radwegs unzumutbar ist, weil er etwa wegen glitschigen Laubs oder Eis und Schnee gefährlich glatt oder wegen Verschmutzung oder Schäden kaum befahrbar ist. Auch wenn der Radweg zugeparkt oder sonst blockiert ist, dürfen Sie als Radfahrer auf die Fahrbahn ausweichen.
11. Radler dürfen nicht auf dem Gehweg fahren.
Das stimmt nicht. Vielmehr kommt es auf das Alter des Radlers und die Umstände des Einzelfalls an.
Kinder bis acht Jahren müssen sogar auf dem Gehweg fahren. Radwege dürfen sie nur dann nutzen, wenn diese baulich von der Straße getrennt sind. Auf die Fahrbahn gemalte Radfahr- oder Schutzstreifen sind für Kinder in diesem Alter verboten.
Kinder bis zum Alter von zehn Jahren dürfen frei entscheiden, ob sie lieber auf dem Gehweg oder dem Radweg fahren wollen. Ab zehn Jahren müssen sie den Radweg nutzen.
Wenn Sie mit Ihrem Kind mit den Rädern unterwegs sind, dürfen Sie selbst als Erwachsener auf dem Gehweg fahren, um Ihr Kind zu begleiten. Es muss allerdings jünger als acht Jahre alt sein. Auch eine andere Aufsichtsperson ist auf dem Gehweg geduldet, wenn sie mindestens 16 Jahre ist.
12. Es ist verboten, auf dem Fahrrad Musik zu hören.

Beim Radeln Musik hören, ist erlaubt. Sie darf aber nicht zu laut sein.
Das ist falsch. Sie dürfen während der Fahrradfahrt Musik hören – selbst mit Kopfhörern, die über beide Ohren reichen.
Eines müssen Sie allerdings gewährleisten: Die Musik muss so leise sein, dass Ihre Aufmerksamkeit nicht leidet. Denn das Gehör darf während der Fahrt nicht beeinträchtigt werden. Sie sollten in der Lage sein, das Klingeln anderer Radfahrer, Warnrufe und Geräusche wahrzunehmen, die Fahrzeuge in der Nähe verursachen. Denn das ist die Voraussetzung für eine sichere Fahrt.
Schlecht macht es sich, wenn Sie wegen zu lauter Musik etwa die Aufforderung der Polizei nicht hören, doch bitte anzuhalten. Das kann zu einer Verwarnung führen, die mit der Zahlung von 15 Euro verbunden ist.
* korrigiert am 25.01.2021
Dieser Artikel ist am 19. Januar 2021 auf test.de erschienen. Er wurde am 21. Januar 2021 aktualisiert.