
Ein Musterprozess eröffnet neue Chancen. Jetzt sollte jeder beim Finanzamt Versicherungsbeiträge nachreichen, die bisher nicht zählen.
Bei den meisten Menschen berücksichtigt das Finanzamt Versicherungen so: Nur Beiträge für Renten-, Kranken- und Pflegeversicherungen gehen als Sonderausgaben von den Einkünften ab. Andere Versicherungsbeiträge fallen unter den Tisch. Doch jetzt gibt es einen Musterprozess beim Bundesfinanzhof, in den sich jeder mit einem Einspruch kostenfrei einklinken kann.
In dem Verfahren will ein Ehepaar mit seinen Beiträgen für Risikolebens- und Unfallversicherungen Steuern sparen, außerdem mit den Ausgaben für Kapitallebensversicherungen, die vor dem Jahr 2005 abgeschlossen wurden. Das Finanzamt soll 4 828 Euro mehr anerkennen. Angenommen, das Paar hat einen Grenzsteuersatz von 35 Prozent, dann geht es für die beiden um rund 1 690 Euro Steuerersparnis.
Die Klage beim Bundesfinanzhof können alle mitgewinnen, die gegen offene Steuerbescheide der Jahre 2010 bis 2012 Einspruch einlegen. Sie sollten in ihrem Schreiben vor allem Beiträge für folgende Versicherungen nachreichen:
- Arbeitslosen-, Erwerbs-, Berufsunfähigkeitsversicherungen,
- Unfall-, Haftpflicht-, Risikolebensversicherungen,
- private Kapitallebens- und Rentenversicherungen mit Beginn vor dem Jahr 2005,
- Versicherungen für Zusatzleistungen, wie Chefarztbehandlung, Einzelzimmer, Zahnersatz, Brillen, Kieferorthopädie,
- Auslandsreise-Krankenversicherungen,
- Krankentagegeld-, Krankenhaustagegeld-, Kurkostenversicherungen und
- private Zusatzpflegeversicherungen.
Tipp: Formulieren Sie wie im Muster. Dann bleibt Ihr Steuerbescheid bis zur endgültigen Entscheidung offen. Sie profitieren, wenn die Finanzämter rückwirkend mehr Beiträge anerkennen müssen.
Grenzen für Krankenversicherte
Selbst die Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung erkennt das Finanzamt meist nicht komplett an. Nur der Preis der Basisabsicherung zählt. Für das Krankengeld, das bei vielen Arbeitnehmern mitversichert ist, fallen 4 Prozent vom Krankenversicherungsbeitrag unter den Tisch.
Beispiel: Eine Angestellte hat im Jahr 2012 brutto 45 000 Euro verdient und für die gesetzliche Krankenversicherung 3 690 Euro bezahlt. Im Steuerbescheid werden aber nur 3 543 Euro (96 Prozent) berücksichtigt, das sind 147 Euro weniger. Für die Pflegeversicherung hat die Frau 439 Euro gezahlt oder – wenn sie keine Kinder hat – 552 Euro. Das akzeptiert das Finanzamt ungekürzt.
Tipp: Zählen Sie in Ihrem Einspruch auch den Beitrag für das Krankengeld auf, wenn Sie sich in den Musterprozess einklinken.
Gut für Anfänger und Teilzeitkräfte
Die Ausgaben für die Basisabsicherung in der Kranken- und Pflegeversicherung erkennt der Finanzamt voll an. Im Beispiel der Frau sind das rund 4 000 Euro im Jahr.
Beiträge für weitere Versicherungen können aber zum Beispiel alleinstehende Arbeitnehmer bisher nur absetzen, wenn sie für die Basisabsicherung weniger als 1 900 Euro im Jahr ausgeben. Sind beide Ehepartner Arbeitnehmer, steigt die Grenze auf 3 800 Euro. Sie gilt auch für Paare, bei denen ein Partner beitragsfrei in der gesetzlichen Krankenversicherung mitversichert ist.
Die Grenze ist schnell erreicht: Im Jahr 2012 haben alleinstehende Arbeitnehmer bereits ab 20 200 Euro Bruttogehalt mehr als 1 900 Euro für die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung ausgegeben. Verheiratete mit Kindern zahlten ab 41 500 Euro brutto mehr als 3 800 Euro Beitrag.
Spielraum für andere Versicherungsbeiträge haben also nur alle, die relativ wenig verdienen und deshalb für die Basisabsicherung geringe Beiträge zahlen.
Beispiel: Eine Berufsanfängerin oder Teilzeitkraft, die im Jahr 2012 nur 15 000 Euro verdiente, hat selbst nur 1 414 Euro für ihre Kranken- und Pflegeversicherung aufgebracht. Sie kann für weitere Versicherungen bis zu 486 (1 900 – 1 414) Euro absetzen.
Tipp: In diesem Fall wird das Finanzamt anstandslos Beiträge für Schutz wie Arbeitslosen- oder Haftpflichtversicherungen anerkennen. Haben Sie die nicht angegeben, können Sie das mit einem Einspruch gegen den Steuerbescheid 2012 nachholen.
Für Selbstständige gilt eine höhere Grenze von 2 800 Euro im Jahr, weil sie ihre Krankenversicherung allein finanzieren. Auch Partner von Beamten, die nicht berufstätig sind und selbst keine Beihilfe beanspruchen können, haben 2 800 Euro als Limit.
Beispiel: Ist ein Partner Arbeitnehmer und der andere Selbstständiger, erkennt das Finanzamt Beiträge für weitere Versicherungen bisher nur an, wenn das Paar für Kranken- und Pflegeversicherung weniger als 4 700 (2 800 + 1 900) Euro ausgibt.
Streit um Rentenversicherung
Auch um Beiträge für die gesetzliche Rentenversicherung, für Versorgungswerke und Rürup-Verträge gibt es Streit. Kläger sind vor das Bundesverfassungsgericht gezogen, weil sie ihre Ausgaben unbegrenzt als Werbungskosten absetzen wollen und nicht stark gekürzt als Sonderausgaben.
Bis zur Klärung lassen die Finanzämter Steuerbescheide zu Rentenbeiträgen von sich aus offen. Gewinnen die Kläger beim Verfassungsgericht, kann es sein, dass der Gesetzgeber rückwirkend höhere Rentenbeiträge als Sonderausgaben zulassen muss.
Tipp: Achten Sie darauf, dass der Steuerbescheid zum Abzug Ihrer Rentenbeiträge einen Vorläufigkeitsvermerk enthält. Wenn ja, müssen Sie nichts weiter tun.
Auslaufmodell für Rentner
Anders als bei Arbeitnehmern rechnet das Finanzamt die Versicherungsbeiträge bei den meisten Rentnern, Pensionären und einigen Selbstständigen ab. Sie finden in ihrem Steuerbescheid noch die Regeln, die schon vor dem Jahr 2005 galten, weil das alte Recht für sie günstiger ist als das neue.
Das Finanzamt berücksichtigt nicht nur Beiträge für Renten-, Kranken- und Pflegeversicherungen, sondern auch Kosten für Schutz wie Haftpflicht-, Unfall-, Berufsunfähigkeits-, Krankenzusatzversicherungen:
- Im Jahr 2012 zählen Ausgaben bis 5 068 Euro (Ehepaare 10 136 Euro).
- Davon gehen 3 734 Euro (Ehepaare 7 468 Euro) voll von den Einkünften ab.
- Von den restlichen 1 334 Euro (Ehepaare 2 668 Euro) schlagen 50 Prozent zu Buche, also bis zu 667 Euro (Ehepaare 1 334 Euro).

Beispiel: Ein Witwer gab 2012 für Versicherungen 5 000 Euro aus. 3 734 Euro zieht das Finanzamt voll von den Einkünften ab. Bleiben 1 266 Euro, von denen die Hälfte zählt, also 633 Euro. Insgesamt müssen 4 367 Euro im Steuerbescheid berücksichtigt sein.
Der alte Versicherungsabzug ist aber ein Auslaufmodell. Er schrumpft Jahr für Jahr. Im Steuerbescheid 2012 gehen bei Alleinstehenden höchstens 4 401 (3 734 + 667) Euro von den Einkünften ab. Das sind 300 Euro weniger als 2011. Bei Ehepaaren sind es maximal 8 802 (7 468 + 1 334) Euro. Im Jahr 2011 waren es noch 600 Euro mehr.
Künftig werden immer weniger Steuerzahler ihre Versicherungsbeiträge nach den alten Regeln abrechnen, weil die neuen günstiger sind. Das ist der Fall, wenn der Basisschutz in der Kranken- und Pflegeversicherung mehr als in der Tabelle kostet:
Tipp: Klinken Sie sich in den Prozess beim Bundesfinanzhof ein, wenn bei Ihnen das neue Recht gilt und das Finanzamt Versicherungsbeiträge streicht.
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@walzman:Das Verfahren ist noch offen. Auch Fondspolicen würden von dem Urteil betroffen sein, aber nur Verträge, die bis 2004 abgeschlossen wurden. (PH)
- ist das Verfahren Az. X R 5/13 noch offen?
- fällt eine fondsgebundenew Lebensversicherung ebenfalls unter die strittige Regelung?
Kommentar vom Autor gelöscht.
Einerseits ist absolut unverständlich, warum eine Pflichtversicherung (die gesetzliche Arbeitslosenversicherung) Privatvergnügen sein soll - das sind Werbungskosten, da ich keiner Arbeit als Angestellter ohne diese Versicherung nachgehen kann.
Andererseits ist es aber unsozial und verstärkt die Umverteilung von unten nach oben, wenn die gleiche Zukunftsvorsorge für Gutverdiener wesentlich billiger ist.
Zur Verdeutlichung am Beispiel Einzelperson: Ab einem zu versteuernden Jahreseinkommen von ca. 52.900 € zahlt man für 1.000 € jährliche Vorsorge nur 650,90 € (Grenzsteuersatz inkl. Soli 44,31%).
Bei Geringverdienern und Familien mit Kindern, für die Vorsorge zur Vermeidung der Altersarmut und Pflegenotstand besonders wichtig wären, erhöht sich diese Eigenleistung bis hin zu 100%.
Ich erhebe gleich Morgen Einspruch. Sollte das Verfahren gewonnen werden, entsteht immenser Druck zur Neuregelung häufig unsinnig komplizierter Vorschriften.