Sterbehilfe: „Ärzten droht heute Gefängnisstrafe“

Dr. Matthias Thöns, Anästhesist und Palliativarzt aus Witten. Er betreut jährlich etwa 400 Schwerstkranke, die zu Hause sterben.
Palliativmediziner Dr. Matthias Thöns klagt gemeinsam mit anderen Ärzten, Vereinen und schwer Erkrankten gegen das 2015 in Kraft getretene Sterbehilfegesetz vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe. [Dieses Interview wurde im Jahr 2019 geführt und berücksichtigt noch nicht das Urteil des BVerfG vom 26.2.2020.]
Suizidhilfe offenbar unabsichtlich vollständig verboten
Herr Thöns, Sie sind einer der Kläger vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das neue Sterbehilfegesetz. Warum?
Verboten wurde darin die „geschäftsmäßige“ Durchführung der Beihilfe zum Suizid. Darunter verstehen Normalbürger, dass jemand mit einer zweifelhaften Dienstleistung Geld verdienen will. Das finden hier wohl alle abstoßend. Doch Juristen verstehen darunter, wenn jemand etwas wiederholt plant oder macht. Wenn also ein Arzt in einer schlimmen Notlage am Lebensende Leiden des Patienten mit allen Möglichkeiten moderner Palliativmedizin nicht lindern kann und hier Auswege nennt, wird er ja in der nächsten Notlage wieder so handeln. Und schon wird er mit Gefängnisstrafe bedroht. Mithin ist das neue Strafgesetz ein Suizidhilfetotalverbot. Das wollte angeblich keiner.
Sind Sie in Ihrer Arbeit häufig mit dem konkreten Sterbewunsch konfrontiert?
Ich betreue etwa 400 Menschen jährlich am Lebensende, von denen jeder Vierte irgendwann einmal einen Sterbewunsch äußert. Hier fanden es früher viele tröstlich, in mir einen Arzt zu haben, der auch hilft, wenn Leidenslinderung nicht klappt. Da aber die letzte Lebensphase dank guter Leidenslinderung für viele doch überraschend erfüllend ist, hat mich am Ende fast kein Patient darum gebeten.
Wer nimmt Ihre Hilfe in Anspruch?
Angehörige und Hausärzte von Patienten, die sehr schwer erkrankt sind. Sie wenden sich an unser Palliativnetz, bestehend aus Fachpflegern und Ärzten. Die Patienten haben eine begrenzte Lebenserwartung, wünschen sich keine Schmerzen in der letzten Lebensphase und möchten nicht zum Sterben in die Klinik.
Ähnlichkeit mit Diskussion um Schwangerschaftsabbruch
Welche Regelung ist für die Zukunft wünschenswert?
Ich halte die Hilfe bei der Selbsttötung weder für eine verpflichtende ärztliche Aufgabe noch für eine geldwerte Dienstleistung, sondern für eine Notlösung im Gewissenskonflikt. Die Konfliktlage um den Schwangerschaftsabbruch damals ist vergleichbar. Auch er ist bis heute „illegal“, aber unter gewissen Beratungsauflagen straffrei. Auch hier wurde vor Dammbrüchen gewarnt, die Entwicklung ist gegenläufig.
Wann wird das Gericht entscheiden?
Ein Urteil ist für die zweite Jahreshälfte 2019 in Aussicht gestellt.
Alle Infos zu Patientenverfügung, Vorsorgevollmacht und Betreuungsverfügung
Durch Unfall oder Krankheit kann eine Situation eintreten, in der Sie nicht mehr selbst entscheiden können. Mit einer Vorsorgevollmacht regeln Sie, wer für Sie handeln darf. In einer Patientenverfügung legen Sie fest, welche Maßnahmen Ärzte ergreifen sollen. Hier finden Sie die wichtigsten Informationen zum Thema Rechtliche Vorsorge.
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