„Debatte über Hilfe zum Sterben nötig“

Rechtsanwalt Robert Roßbruch (links) und Kläger Harald Mayer im Kölner Verwaltungsgericht.
Rechtsanwalt Robert Roßbruch erklärt, warum der unheilbar kranke 49-jährige Harald Mayer vor Gericht zog, um ein Medikament zu erhalten, das ihm sicher beim Sterben hilft. Eine Erlaubnis dafür wollte er vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) erhalten. Die Behörde ist für einen Antrag auf Erlaubnis zur Herausgabe eines Betäubungsmittels zuständig. Sie hat Herrn Mayers Antrag abgelehnt. [Dieses Interview wurde im Januar 2020 geführt und berücksichtigt noch nicht das Urteil des BVerfG vom 26.2.2020.]
Herr Roßbruch, Ihr Mandant hat Klage bei Gericht eingereicht, um ein in Deutschland verbotenes Betäubungsmittel zu erhalten, das ihm sicher beim Suizid hilft. Wie kam es dazu?
Mein Mandant wollte per Gerichtsurteil die Herausgabe des Medikaments Natrium-Pentobarbital erwirken. Herr Harald Mayer leidet sein zwanzig Jahren an Multipler Sklerose (MS). Seinen Rollstuhl kann er nur noch mit dem Mund bewegen. Der ehemalige Feuerwehrmann ist Tag und Nacht auf fremde Hilfe angewiesen und hat acht Assistenten, die ihn rund um die Uhr betreuen. Er findet seinen Zustand unerträglich, leidet an schmerzhaften Spastiken sowie beginnenden Schluck- und Atembeschwerden. Seine große Angst ist es, qualvoll zu ersticken. Er wünscht sich Hilfe zur Selbsttötung.
Mit welchen Argumenten lehnte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) den Antrag von Herrn Mayer ab?
Die Argumente waren formaler, nicht inhaltlicher Natur. So wurde seitens des BfArM vorgetragen, dass zur Beurteilung des Antrages angeblich noch entscheidungserhebliche Unterlagen fehlen. Zum Beispiel ein fachärztliches Gutachten zum bisherigen Krankheitsverlauf und den Aussichten des weiteren Verlaufs der Erkrankung, ein palliativmedizinisches Gutachten sowie ein psychiatrisches Gutachten, aus dem hervorgeht, dass sich der Antragsteller der Tragweite seiner Entscheidung bewusst ist und er entscheidungs- und urteilsfähig ist und nicht unter dem Einfluss Dritter steht. Hierzu ist festzustellen, dass auch fachärztliche Krankenunterlagen dem BfArM zugesendet worden sind. Auch das angeforderte psychiatrische Gutachten zur Feststellung der Freiverantwortlichkeit und Ernstlichkeit des Willens zur Selbsttötung lagen dem BfArM vor. Die Vornahme eines palliativmedizinischen Gutachtens hat Herr Mayer abgelehnt, da er eine solche Versorgung kategorisch ablehnt. In seinem Fall würden auch palliativmedizinische Maßnahmen sein Leben nicht mehr entscheidend verbessern.
Des Weiteren kamen sich mein Mandant und andere Antragsteller verschaukelt vor, weil immer mehr Nachweise und Gutachten verlangt wurden. Dazu muss man wissen: Das Bundesgesundheitsministerium hat das BfArM angewiesen, Anträgen auf Erlaubnis zum Erwerb des Medikaments nicht zu entsprechen. Eine individuelle Prüfung und ein positiver Bescheid waren also gar nicht vorgesehen.
Wie ist die aktuelle Rechtslage im Hinblick auf Betäubungsmittel zum Zwecke der Selbsttötung?
Der Erwerb eines tödlich wirkenden Betäubungsmittels zum Zweck der Selbsttötung ist nicht explizit verboten. Aber es wird dem schwer und unheilbar erkrankten, freiverantwortlich handelnden Suizidwilligen über das restriktiv ausgelegte Betäubungsmittelgesetz faktisch unmöglich gemacht, an dieses Betäubungsmittel zu gelangen, um damit einen sicheren und schmerzfreien Suizid begehen zu können. Es verbleiben dem schwer und unheilbar erkrankten Suizidwilligen daher nur zwei Möglichkeiten. Zum einen kann er, wenn er genügend Geld hat, in der Schweiz die Leistungen einer legal tätigen Sterbehilfeorganisation in Anspruch nehmen, also einen professionell assistierten Suizid begehen. Er kann auch einen sogenannten harten Suizid begehen, mit den sich daraus ergebenden nicht unerheblichen Folgen für Dritte. Darüber hinaus sind nicht alle Suizidversuche der oben genannten Art zwingend tödlich oder sofort tödlich. Nicht selten gehen missglückte Suizidversuche mit einem erheblichen Leiden und schwersten Schädigungen und damit verbundener lebenslanger Behinderung einher. Dies ist einer auf Humanität gegründeten Gesellschaft mit einer freiheitlichen Rechtsordnung unwürdig und auch und gerade aus ethischen Gesichtspunkten nicht hinnehmbar.
Sie sind Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben. Welches Ziel verfolgen sie?
Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben unterstützt in dem Verfahren mehrere Antragsteller ideell und finanziell. Wir verfolgen das Ziel, dass ein Suizidwilliger, der wohlerwogen und frei von äußeren Zwängen zum Zweck der Selbsttötung ein Betäubungsmittel erwerben möchte, dieses auch tatsächlich erwerben kann. Um dann einen sicheren und schmerzfreien – zur Not auch ärztlich assistierten – Suizid begehen zu können.
Wie geht es weiter?
Schwerst- und unheilbar Kranke müssen abwarten. Die Richter haben das Verfahren ausgesetzt und das Bundesverfassungsgericht angerufen. Über die Frage, ob in einer extremen Notlage ein tödlich wirkendes Medikament ausgehändigt werden darf, ist meiner Meinung nach auch eine gesellschaftliche Debatte notwendig. In vielen seriösen Umfragen spricht sich die Bevölkerung regelmäßig mit überwältigender Mehrheit für die Ermöglichung eines professionell assistierten Suizids aus. Es muss möglich sein, Leben selbstbestimmt und human beenden zu können.