BGH-Urteil zur Sterbebegleitung: Arzt darf Patient sterben lassen

Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat die Freisprüche von zwei Medizinern bestätigt. Die Ärzte hatten Menschen, die ihr Leben mit einer tödlichen Medikamentendosis beenden wollten, beim Sterben begleitet.
Zwei Ärzte begleiten Suizidwillige beim Sterbeprozess und werden daraufhin wegen Tötungsdelikten angeklagt. Der Bundesgerichtshof (BGH) sprach sie von diesem Vorwurf frei und bestätigte damit die Urteile der Landgerichte Berlin und Hamburg. Die Patienten hatten sich freiverantwortlich für ihren Tod entschieden. Die Ärzte waren nicht verpflichtet, Hilfe zu holen und Rettungsmaßnahmen einzuleiten (Aktenzeichen 5 StR 132/18 und 5 StR 393/18).
Berliner Hausarzt assistiert beim Sterbeprozess
Ein Berliner Hausarzt hatte im Jahr 2012 einer chronisch kranken 44-jährigen Patientin, die er seit Jahren betreute, auf deren Wunsch Medikamente in tödlicher Dosis verschafft. Die Patientin litt seit ihrer Jugend an einer nicht lebensbedrohlichen, aber starke krampfartige Schmerzen verursachenden Krankheit und hatte – nachdem sie bereits mehrere Selbsttötungsversuche unternommen hatte – den Arzt in ihrer Verzweiflung um Sterbehilfe gebeten. Nach Einnahme der Medikamente schickte sie dem Arzt eine SMS: „Danke Dir. Alles geschluckt.“ Als der Arzt in ihre Wohnung fuhr, war sie bereits bewusstlos. Der Sterbeprozess dauerte über zwei Tage. Auf ihren früher geäußerten Wunsch hin unterließ es der Mediziner, Hilfe zu holen und Rettungsmaßnahmen zur Wiederbelebung einzuleiten.
Straflose Beihilfe zur eigenverantwortlichen Selbsttötung
Das Gericht wertete das Bereitstellen der Medikamente als straflose Beihilfe zur eigenverantwortlichen Selbsttötung. Darüber hinaus habe die Ausübung des Selbstbestimmungsrechts der Verstorbenen den Arzt von der Pflicht befreit, Hilfe zur Rettung des Lebens einzuleiten (BGH, Az. 5 StR 393/18). Der Hamburger Rechtsanwalt Walter Wellinghausen, der einen der beiden Ärzte vor dem BGH vertrat, sieht darin einen Meilenstein für das Selbstbestimmungsrecht.
Hamburger Facharzt erstellt Gutachten
Im Hamburger Fall wandten sich im Jahr 2012 zwei befreundete, 85 und 81 Jahre alte suizidwillige Frauen an einen Sterbehilfeverein. Sie litten an Krankheiten, die ihre Lebensqualität zunehmend einschränkten. Der Verein machte seine Unterstützung bei ihrer Selbsttötung von einem neurologisch-psychiatrischen Gutachten abhängig. Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, der das Gutachten erstellte, hatte am freien Willen der Frauen keinen Zweifel. Auf Bitte der beiden Frauen blieb er in ihrer Nähe, nachdem sie die tödliche Medikamentendosis eingenommen hatten. In einer Patientenverfügung hatten die Frauen schriftlich formuliert, dass sie ausdrücklich keine Hilfemaßnahmen wünschen. Der Arzt hielt sich an ihren Willen und holte keine Hilfe, als die Frauen bewusstlos wurden. Er unterließ es auch, Rettungsmaßnahmen zur Wiederbelebung einzuleiten.
Klare und freiverantwortliche Entscheidung der Frauen
Das Gericht entschied, dass der Facharzt nicht verpflichtet gewesen war, Hilfe zu holen, denn die Frauen hatten sich freiverantwortlich für ihren Tod entschieden (BGH, Az. 5 StR 132/18).
Ärzte sehen sich in ihrer Berufsausübung eingeschränkt
In beiden Fällen prüfte das Gericht nicht, ob sich die Ärzte nach dem im Jahr 2015 eingeführten Paragrafen 217 Strafgesetzbuch (StGB) strafbar gemacht haben. Dieser Paragraf kam nicht zur Anwendung, da er erst nach den Tatvorwürfen ins Gesetzbuch kam. Nach Paragraf 217 StGB ist die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung strafbar. Damit ist auch jegliche von Vereinen organisierte Sterbehilfe eindeutig untersagt. Geschäftsmäßig handelt, wer Sterbehilfe wiederholt und über den Einzelfall hinaus organisiert anbietet. Das Gesetz ist umstritten, denn Ärzte sehen sich durch das Verbot in ihrer Berufsausübung eingeschränkt. Mehrere Mediziner haben Verfassungsbeschwerden eingelegt. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts steht noch aus.