
Geduld. Während der Stammzellenspende heißt es fünf Stunden lang: Ruhig liegen. © Stiftung Warentest
Lutz Wilde von der Stiftung Warentest hat Stammzellen gespendet. Er berichtet, was dabei geschieht. Im Prinzip kann jeder gesunde Mensch zwischen 18 und 61 Jahren Stammzellenspender werden.
Genetischer Zwilling gesucht
Juli 2017. Mein Telefon klingelt und die freundliche Stimme einer Frau Heck eröffnet mir: „Herr Wilde, Sie werden gebraucht.“ Ihr Job ist es, aus Menschen Stammzellenspender zu machen. Sie erinnert mich daran, dass ich registriert bin. Karin Heck arbeitet für die Stefan-Morsch-Stiftung in Birkenfeld, die älteste Stammzellspenderdatei Deutschlands. Tatsächlich – vor zehn Jahren habe ich diesen Wattestäbchen-Test gemacht. Karin Heck kennt seitdem meine Telefonnummer – und die Gewebemerkmale meiner Blutzellen. Nun ist es so weit. Ein Mensch mit Leukämie könnte meine Stammzellen im Kampf gegen diese Krebserkrankung gut gebrauchen. „Ihre Speichelprobe legt nahe, dass Sie und der mögliche Empfänger genetische Zwillinge sind und sein Körper Ihre Stammzellen annimmt.“
Spende kann letzte Hoffnung sein
Rund 7,7 Millionen Menschen sind in Deutschland als Stammzellenspender registriert. Stammzellen entstehen im Knochenmark und erzeugen die Blutbestandteile. Dieses blutbildende System kann erkranken, bösartige Blutzellen können sich unkontrolliert vermehren. Die Diagnose kann dann lauten: Leukämie. Häufig ist die Übertragung gesunder Stammzellen dann die letzte Hoffnung für Patienten.
Oft findet sich in der Familie kein passender Spender
Dafür müssen aber bestimmte Gewebemerkmale von Spender und Empfänger übereinstimmen. Oft ist dann von „genetischen Zwillingen“ die Rede. Das heißt nicht, dass sich Menschen in Aussehen oder Charakter ähneln, sondern nur: Ein entscheidender Bruchteil ihrer Erbinformationen stimmt überein. Je größer die Übereinstimmung, desto größer die Erfolgsaussichten. Findet sich in der Familie kein passender Spender, helfen Datenbanken weiter. Sie listen die aus einer Blut- oder Speichelprobe bestimmten Merkmale potenzieller Spender auf. Weit verbreitet ist die Speichelprobe. Doch dabei bleiben medizinische Fragen offen, die später durch eine Blutuntersuchung geklärt werden müssen.
So werden Sie Stammzellenspender
Wer? Jeder Gesunde zwischen 18 und 61 Jahren kann prinzipiell Stammzellen spenden. Je jünger, desto besser. Frauen, vor allem Mütter, sind nicht in jedem Fall geeignet. Frauen haben nur X-Chromosomen. Treffen ihre Immunzellen auf ein Y-Chromosom eines männlichen Empfängers, kann dieses als fremd erkannt werden. Das Blut von Müttern kann Antikörper gegen das „fremde“ Eiweiß ihres Kindes enthalten. Diese könnten die Zellen des Patienten angreifen.
Wo? Unter zkrd.de/de/adressen finden Sie alle Stammzellen-Spenderdateien in Deutschland. Es reicht, sich bei einer aufnehmen zu lassen. Die Daten werden anonymisiert an das Zentrale Knochenmarkspender-Register Deutschland weitergegeben. Damit sind Spender für Patienten weltweit auffindbar.
Wie? Die Stammzellen-Spenderdateien verschicken ein Wattestäbchen, mit dem Sie einen Abstrich Ihrer Mundschleimhaut nehmen. Diesen senden Sie samt einer Einverständniserklärung zurück. Eine Alternative ist eine Blutentnahme bei Ihrem Hausarzt.
„Darf ich Sie reservieren?“
„Da mache ich mit!“ Das steht nach dem Gespräch mit Karin Heck und einer Familienkonferenz fest. Wobei noch gar nicht sicher ist, dass meine Zellen wirklich passen. Beim Arzt lasse ich Blutproben nehmen. Sie werden in Labore verschickt. Nach einer Woche die ersten Ergebnisse: keine Hinweise auf Infektionen wie HIV oder Hepatitis. Sie wären für meinen Empfänger lebensbedrohlich. Ich bleibe als Spender im Rennen. Einige Wochen später dann das nächste Zwischenergebnis: „Jetzt wissen wir es genau. Ihre Gewebemerkmale stimmen mit denen des Empfängers überein! Darf ich Sie für ihn reservieren?“
Jetzt wirds ernst!
Karin Heck freut sich, genau wie ich. Trotzdem weist Sie darauf hin: „Sie können jederzeit aussteigen. Das hier ist freiwillig.“ Ein wichtiger Hinweis. Aber ich will am Ball bleiben. Auch wenn sich jetzt doch alles schon ernster anfühlt. Auslandsreisen und medizinische Eingriffe muss ich nun melden. Und ich erhalte Hinweise zu meinem Versicherungsschutz – falls etwas schiefläuft bei der Spendenprozedur. Die Milz beispielsweise könnte sich vergrößern.
Die meisten Patienten finden Spender
In der Regel geht nichts schief, so die Erfahrungen der 1986 gegründeten Stefan-Morsch-Stiftung. Die Risiken für Spender sind gering, die Chancen für Empfänger hoch: Laut Zentralem Knochenmarkspender-Register finden neun von zehn Patienten einen Spender. Wie dann die Heilungsaussichten sind, hängt auch von der Art der Bluterkrankung und dem Alter des Patienten ab. Etwa die Hälfte der Stammzellen-Empfänger sind fünf Jahre nach der Behandlung noch am Leben. Kinder haben eine wesentlich höhere Überlebenschance.
„Ein Rückzieher hat Konsequenzen“
Sechs Wochen nach dem ersten Anruf komme ich nun richtig auf den Prüfstand. Im Berliner Stammzellen-Zentrum fülle ich medizinische Fragebögen aus. Per Ultraschall werden meine inneren Organe begutachtet. Und ein „großes Blutbild“ soll zeigen, ob ich fit für die Spende bin. Meine zuständige Ärztin erklärt mir, dass ein Rückzieher zwar weiter erlaubt, aber nicht mehr lange ohne Konsequenzen ist. Bald läuft ein fein abgestimmter Zeitplan, in dem die Ärzte des Empfängers fest mit der Spende rechnen und Behandlungen – etwa eine Chemotherapie – einleiten. Sie soll die Krebszellen töten, zerstört aber auch die Stammzellen.
Fünfzehn Spritzen

Spritzen. Die Spender müssen sich das Mittel ins Bauchfett spritzen. Das ist unangenehm, schmerzt aber kaum. © Stiftung Warentest
Ich lerne: Läuft so eine Therapie einmal an und bleiben die Spenderzellen dann aus, kann der Empfänger den Strapazen wenig entgegensetzen und gerät in Lebensgefahr. Ich will nicht abspringen und übe, wie man sich Spritzen setzt. Sie sorgen dafür, dass ich meine Stammzellen aus dem Blut spenden kann. Damit das klappt, müssen sie aus dem Mark meines Hüftknochens ins Blut gelangen. Dafür bedarf es vieler Spritzen. Bei mir werden es fünfzehn sein.
Aus dem Blut oder Knochenmark

Vorbereiten. Um die Stammzellen ins Blut zu bringen, müssen sie vorher mit einem Präparat „mobilisiert“ werden. © Stiftung Warentest
Das Mittel in den Spritzen bewirkt, dass sich die Stammzellen im Knochenmark vermehren und ins Blut ausgeschwemmt werden. Dabei stellen sich meist Grippe-Symptome ein. Sie klingen am Ende der Spende ab. Der Vorteil des Verfahrens: Die Stammzellen lassen sich ambulant aus dem Blut entnehmen. Das nennt sich Apherese. Etwa 80 Prozent der Spenden laufen so ab. Ist die Entnahme aus dem Blut nicht möglich oder wünschen es sich Arzt oder Spender, werden bis zu eineinhalb Liter Blut-Knochenmark-Gemisch aus dem Beckenknochen entnommen. Der Spender muss sich nichts spritzen, bekommt eine Vollnarkose und kann Blutergüsse davontragen. Nach einer Nacht im Krankenhaus geht es meist schon nach Hause. Das entnommene Blut bildet sich schnell nach.
Nie aus dem Rückenmark
„Sehr häufig verwechseln Menschen Knochen- und Rückenmark“, sagt Marlene Luther, Ärztin an der Charité im Virchow Klinikum. „Tatsächlich werden Stammzellen nie aus dem Rückenmark gespendet.“ Es ist kein Teil des Blutsystems, sondern gehört zum Nervensystem.
Nicht zappeln, sonst piept es
Ende September. Es geht los. Ich setze mir täglich drei Spritzen. Wie angekündigt, stellen sich die Grippe-Symptome ein. Dann ist Spendentag. Ich erscheine früh im Stammzellen-Zentrum und muss kurz warten. Neben mir sitzt ein Herr, offensichtlich ein Leukämiepatient. Er hat keine Haare auf dem Kopf, dafür eine Kanüle am Hals. Wir unterhalten uns – und das zeigt Wirkung. Der Mann ist zwar nicht „mein“ Empfänger, aber auf einen Schlag bin ich dem Thema Leukämie viel, viel näher. Ich weiß nun nicht nur, sondern ich spüre auch: Es geht um Leben und Tod.
Schwester Ina startet den Apherese-Apparat

Spenden. Es beginnt. Schwester Ina startet den Apherese-Apparat. Er sammelt die Stammzellen aus dem Blut. © Stiftung Warentest
So eingestimmt geht es für fünf Stunden ins Bett. Schwester Ina setzt mir die Kanülen und startet den Apherese-Apparat. Durch ihn fließt nun mein Blut. Er scheidet die darin schwimmenden Stammzellen vom Rest, den ich zurückbekomme. Ich langweile mich. Der Beutel füllt sich. Langsam. Mehr geschieht nicht. Nur wenn ich nicht ruhig liege, kommt Leben in die Bude: Die Maschine piept – und Schwester Ina richtet die Kanüle. Am Ende zapft sie mir noch einen Beutel Plasma ab. „Zum Transport Ihrer Stammzellen.“

Kontrolle. Während der Spende wird ständig kontrolliert, ob die richtigen Zellen abgesammelt werden. © Stiftung Warentest

Apherese-Apparat. Das Blut des Spenders fließt durch ein Schlauchsystem. Eine Zentrifuge trennt das Blut in verschiedene Bestandteile. Die Stammzellen werden abgesammelt, der Rest fließt zurück in den Spender. © Stiftung Warentest
„Könnten Sie morgen wiederkommen?“
Schwester Ina sagt mir auch, dass meine Spende nicht reicht. Es wird viel benötigt: Mein Empfänger ist schwer, an die 90 Kilo. Ich hätte gewiss noch mehr Stammzellen im Blut, aber länger als fünf Stunden pro Tag dürfen Spender nicht an der Maschine hängen. Mitunter geht es dann in die nächste Runde. So wie bei mir. „Könnten Sie morgen wiederkommen?“
Nach der Spende gibts eine Extraportion Klopse
Ehrensache. Am Folgetag wiederholt sich alles. Dann laufe ich müde vom Stammzellen-Zentrum in die Klinikkantine. Mein Blut war sechs Mal in der Zentrifuge und ist wie ein Cocktail gemixt in mich zurückgelaufen. Meine Armbeugen schmerzen von den Kanülen. Immerhin: Die „Grippe“ ist weg. Anderen Menschen geht es wahrlich schlechter als mir. In der Kantine werde ich freundlich begrüßt. „Ein Spender!“ Ich bekomme eine Extraportion Klopse.
Stammzellen sind drei Tage haltbar
Nach einer Spende muss es schnell gehen: Nur drei Tage lang sind die Zellen gekühlt haltbar. Kuriere bringen sie in Kühltaschen zur transplantierenden Klinik – im Fall meines Empfängers in die USA. Die Übertragung der Zellen ist dann ganz einfach: Der Patient bekommt sie wie eine Blutkonserve als Infusion. Den Weg ins Knochenmark finden sie allein. „Meist wachsen die Zellen auch gut an“, berichtet Ärztin Luther.
Rückschritte sind möglich
Manchmal gibt es Probleme, etwa wenn der Körper die neuen Zellen doch als fremd erkennt und angreift. Auch im Erfolgsfall sind Rückschritte, etwa durch andere Erkrankungen, möglich. Zudem können sich kranke Blutzellen erneut ausbreiten, Spender werden dann erneut um Hilfe gebeten.
Später mal den Empfänger treffen?

Nach der Spende. Alles wieder fit! Mit dem neuen Lebensretter-Shirt geht es zum Joggen in den Wald. © Stiftung Warentest
Mitte Oktober. Ich fühle mich längst wieder fit. Zwar lagen einige meiner Blutwerte unmittelbar nach der Spende – anders als davor – nicht mehr in den „guten“ Grenzen. Aber das ist normal und ich werde bald erneut mein Blut untersuchen lassen. Jetzt bin ich vor allem gespannt, wie es dem Empfänger ergangen ist. Darüber werde ich informiert. Zwei Jahre nach der Spende könnte ich ihn sogar kennenlernen – sofern er das will. Eines steht fest: Wie ein Lebensretter fühle ich mich nicht. Auch wenn das auf meinem neuen Laufshirt steht. Aber: Wenn tatsächlich alles geklappt hat, bin ich wohl einer.
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Fehler im vorletzten Abschnitt: Der Körper kann nicht die Spenderzellen angreifen, sondern die Spenderzellen können den Körper als fremd erkennen und diesen angreifen. Auch Graft versus Host Disease genannt.
@Clave: Auf den Internetseiten der DKMS steht folgende Info zu dem Thema:
Werde ich zur Spende krankgeschrieben und wie reagieren die Arbeitgeber?
Die DKMS kontaktiert im Falle einer Stammzellspende Ihren Arbeitgeber. Sie erhalten zur Vorlage bei Ihrem Arbeitgeber eine Bescheinigung, in der wir den Arbeitgeber bitten, Sie für den Zeitraum der Voruntersuchung und der Entnahme freizustellen. Aus der langjährigen Erfahrung der DKMS zeigt sich, dass die Reaktion sehr positiv ist, wenn ein Mitarbeiter zu einer Stammzellspende gebeten wird. Bei der peripheren Stammzellentnahme sind Sie nur an den ein bis zwei Entnahmetagen arbeitsunfähig. Sollte wider Erwarten eine Krankschreibung notwendig werden, kann dies vom Hausarzt bescheinigt werden. Bei der Knochenmarkentnahme aus dem Beckenkamm dauert der Eingriff zwar nur etwa eine Stunde, Sie sind aber in der Regel drei Tage im Krankenhaus (Aufnahme- und Entlassungstag eingerechnet). In den meisten Fällen erfolgt anschließend als Vorsichtsmaßnahme eine Krankschreibung für einige Tage. (PF)
Mich würde interessieren, wer meine Lohnkosten trägt, wenn ich als gesetzlich krankenversicherter deswegen paar Tage auf Arbeit fehle.
@Lutz.Loebel: Alle Informationen zu den Ausschlusskriterien für eine Stammzellenspende finden Sie auf der Seite des DKMS unter: www.dkms.de/de/faq (PF)
Mich (und vielleicht nicht nur mich?) würde interessieren, wer *nicht* spenden kann, welche Kriterien zum Ausschluss führen. Die Umschreibung "jeder gesunde Mensch kann spenden" ist mir zu allgemein. So ist meines Wissens nach beispielsweise Diabetikern eine Spende nicht möglich, andere chronische Krankheitsbilder schließen sich an. Falls ich falsch liegen sollte: ein Grund mehr für mehr Aufklärung.