Schulpsychologin Helga Ulbricht: Kindern den Druck nehmen
Die Schulpsychologin Dr. Helga Ulbricht leitet die Staatliche Schulberatungsstelle für München und berät dort seit fast 20 Jahren Eltern unter anderem zum Thema Einschulung. Im Gespräch mit test.de erklärt sie, woran Eltern erkennen, ob ihr Kind schon so weit ist, und wie der Start in den neuen Lebensabschnitt gelingt.
Auf die Erzieher im Kindergarten hören
Woran erkennen Eltern, dass ihr Kind bereit ist für die Schule?
Das Alter des Kindes ist natürlich ein Anhaltspunkt. Es sagt aber nicht endgültig etwas darüber aus, ob es auch schulfähig ist. Wenn ein Kind allerdings beginnt über Schule zu sprechen, ein eigenes Interesse dafür entwickelt oder auch sagt, es möchte in die Schule gehen, ist das ein wichtiges Signal. Dehnt sich die kindliche Neugier auf immer größere Themengebiete aus und wächst auch die Zeitspanne, in der sich die Kinder mit einer Sache am Stück beschäftigen können, sind das gute Voraussetzungen für die Einschulung. Die Erzieher im Kindergarten können bei der Einschätzung der Schulfähigkeit helfen.
Inwiefern?
Gerade wenn Eltern nur ein Kind haben, erleben sie es oft in der Einzelsituation, ohne Vergleichsmöglichkeiten. Sie können nicht beobachten, wie es in der Gruppe mit anderen spielt, was es dort tatsächlich schon kann – und was noch nicht. Die Kindergärtner können das Kind Tag für Tag begleiten und den Eltern eine Rückmeldung über die Entwicklung geben. Diese Informationen sollten Eltern ernst nehmen. Gibt es Schwachstellen, möchte man das als Eltern oft nicht hören. Es ist aber sehr hilfreich, bei der Abwägung, ob das Kind bereit für die Schule ist, auch Schwächen zu berücksichtigen. Werden diese übersehen und nicht rechtzeitig ausgeglichen, kann das in einen missglückten Schulstart münden. Es gibt für einen Erstklässler nichts Schlimmeres, denn die ersten Schulwochen legen schließlich den Grundstein für die Einstellung zur Schule.
Interessen berücksichtigen, Schwächen ernstnehmen
Wie gehen Eltern mit solchen Schwächen um?
Zunächst einmal: Jedes Kind hat Stärken und Schwächen. Und: Nicht alles sind wirklich entwicklungsbedingte Schwächen, sondern auch dem individuellen Interesse geschuldet. Manch ein Kind malt lieber als sich mit Zahlen zu befassen und ist deshalb darin besser oder andersherum. Das ist später im Erwachsenenalter nicht anders. Ist das Kind nicht sportlich interessiert, macht es oft wenig Sinn, es im Leichtathletikverein anzumelden und zu hoffen, dass es ein Spitzenläufer wird. Interessen können sich aber auch durch neue Angebote entwickeln. Schulisch relevante Bereiche müssen geduldig unterstützt werden. Ist die Abweichung zu Gleichaltrigen sehr ausgeprägt und äußert auch der Kindergarten Bedenken bezüglich der Schulfähigkeit, sollten Eltern genauer hinsehen.
Wann denn zum Beispiel?
Etwa wenn die meisten Kinder der Kindergartengruppe schon Strichmännchen malen und das eigene Kind noch immer undefinierbare Figuren krakelt. Vielleicht sollte sich in diesem Fall eine Ergotherapeutin um die Verbesserung der Feinmotorik kümmern. Ein zweites Beispiel: Alle Kinder haben mal gute oder schlechte Tage, sind mal schneller wütend oder traurig. Fällt das Kind jedoch dauerhaft durch starke emotionale Schwankungen auf, ist das auch ein Warnsignal. Dann können Erziehungsberatungsstellen oder der Kinderarzt weiterhelfen und testen, ob wirklich ein emotionales Entwicklungsproblem vorliegt. [Anmerkung der Redaktion: Hilfreich ist hier die Website des Fachverbands für Erziehungs- und Familienberatung BKE.]
Wenn der Schuleingangstest ansteht
Sollten Eltern mit ihren Kindern auch für die Schuleingangstests üben?
Aus Erfahrung kann ich sagen, dass es nicht sinnvoll ist, gezielt Tests aus den Einschulungsüberprüfungen zu trainieren. In der Untersuchung geht es ja darum, festzustellen, wo es noch Probleme und Entwicklungsbedarf gibt, um diese Bereiche dann fördern zu können. Das gezielte Üben verfälscht die Ergebnisse. Das Kind kann die Aufgaben des Tests zwar momentan lösen, besitzt aber unter Umständen nicht die dahinter liegenden Fähigkeiten und scheitert vielleicht an späteren Herausforderungen, die das gleiche Know-how verlangen.
Wie bereiten Eltern ihre Kinder am besten auf die Untersuchung vor?
Die Kinder kennen ja die Untersuchung beim Kinderarzt, damit können Sie es vergleichen. Nur wird nicht der Körper untersucht, sondern das, was die Kinder schon wissen und können. Wichtig ist es, die Aufregung zu nehmen, die Tests nicht als Prüfung zu bezeichnen und in einen positiven Rahmen zu betten. Die Eltern könnten ihrem Kind erklären: „Wir schauen uns die Schule und den Test mal an. Du musst auch nicht alles können. Egal wie es wird, wir gehen anschließend ein Eis essen“. Sie sollten auch den Kindern den Leistungsdruck nehmen: „Wenn bei dem Schultest herauskommt, dass du noch nicht soweit bist, ist das nicht schlimm. Dann hast du noch ein Jahr mehr Zeit, im Kindergarten zu üben.“
Kinder miteinbeziehen
Welche Rolle sollten die Kinder in all den Entscheidungen spielen?
Die wichtigste. Viele Eltern wollen ihrem Kind auf keinem Fall zu viel zumuten und besprechen mit ihm deshalb nicht, was gerade passiert. Die Untersuchungen finden aber mit und an dem Kind statt, die Entscheidung wird also nicht ohne die Hauptperson getroffen. Eltern sollten ihr Kind daher immer mit einbeziehen und ihm den Ablauf kindgerecht erklären. Ein Beispiel: „Du möchtest in die Schule, wir unterstützen dich dabei, aber die Entscheidung, ob du jetzt schon mit der Schule beginnen kannst, trifft die Schule. Die überprüft, ob du schon ein Schulkind bist oder im Kindergarten noch einige Dinge lernen musst.“ Diese Information ist wichtig, sonst denken die Kinder, dass sie am Einschreibungstag für die Schule verbindlich angemeldet werden. Wenn anschließend der Schuleignungstest ergibt, dass sie besser noch die Vorschule im Kindergarten besuchen sollten, sind sie enttäuscht.
Haben Sie noch einen letzten Tipp für Eltern: Wie gelingt der Start in die Schule?
Nehmen Sie die Einschulung ernst, er ist ein wichtiger Schritt im Leben ihres Kindes. Aber: Seien Sie nicht allzu aufgeregt. Freuen Sie sich vor allem mit dem Kind auf all das, was das neue Wissen, die neuen Freundschaften und der Lebensraum Schule ausmachen – auch wenn Sie sich aus eigener Erfahrung daran erinnern, welche Probleme in der Schulzeit auftreten können. Wenn ein Kind neugierig und freudig in die Schule geht, ist das ein perfekter Start.