
ETF. Die börsengehandelten Indexfonds sollen Crashs verstärken, Machtverhältnisse verändern und die Preisbildung verhindern, warnen Kritiker. Was ist dran an diesen Behauptungen?
Wer sich für Fonds interessiert, kommt kaum noch an drei Buchstaben vorbei: ETF. Börsengehandelte Fonds sind eine Erfolgsgeschichte. Noch vor zehn Jahren waren sie hierzulande fast nur Profis bekannt. Mittlerweile investieren viele Privatanleger ihr Geld in die günstigen und bequemen Fonds, die meist einen Index nachbilden. Auch die Finanztest-Anlagestrategie (Pantoffel-Portfolio) fußt auf ETF. Doch es gibt auch viel Kritik an ETF. Was ist wahr und was nur Nörgelei?
Crashs sind unabhängig von ETF
Der Vorwurf: ETF können Crashs verstärken. Wenn bei einem Kurssturz viele ETF-Anleger auf einmal ihre Anteile verkauften, kämen schlagartig viele Aktien auf den Markt – was die Kurse weiter abstürzen lassen würde.
Die Fakten: Eines vorweg: „Es ist ein Irrglaube, dass ETF Aktien kaufen, wenn die Kurse steigen, und Aktien verkaufen, wenn die Kurse fallen“, stellt Arne Scheehl vom ETF-Anbieter Comstage klar. „ETF kaufen nur Aktien, wenn Anleger neues Geld einzahlen, und verkaufen nur, wenn Anleger ihre Anteile zurückgeben.“ Halten sich Käufe und Verkäufe die Waage, wirkt sich das nicht auf die Kurse aus. Verkaufen mehr Anleger, als kaufen wollen, verstärkt sich ein eventueller Abwärtstrend an der Börse. Das ist allerdings nicht nur bei ETF, sondern auch bei gemanagten Fonds der Fall.
IWF hat Herdentrieb untersucht
Die Frage ist, ob ETF dem Herdentrieb Vorschub leisten. Die Bundesbank schreibt, dass die „überwiegend passiv ausgestalteten Anlagestrategien prozyklisches Verhalten der Anleger“ befördern könnten, und zwar sowohl bei starkem Kursverfall als auch bei Kursanstiegen. Der Internationale Währungsfonds (IWF) ist der Frage nach dem Herdentrieb vor drei Jahren nachgegangen, hat aber keine Anzeichen dafür gefunden, dass ETF eine stärkere Wirkung auf Kursstürze haben als gemanagte Fonds. „Wir haben derzeit keine eindeutigen Hinweise darauf, dass es durch ETF zu einer erhöhten Kursreaktion oder Preisverzerrung bei Aktienkursen gekommen ist“, schreibt die deutsche Finanzaufsicht Bafin, die den Markt im Auge hat.
Der Ernstfall steht noch aus
Allerdings: Der Ernstfall, eine richtige Krise, steht noch aus. Bei der Finanzkrise rund um die Pleite der US-Bank Lehman war der ETF-Marktanteil sehr gering. Zehn Jahre später liegt er trotz wachsender Beliebtheit allerdings immer noch unter 10 Prozent des gesamten Fondsvermögens in Europa.
Preisfindung funktioniert
Der Vorwurf: ETF machen den Markt kaputt. Wenn keiner mehr aktiv handelt, ist die Preisfindung gestört, es gibt keine richtigen Kurse mehr. Die Kritik gipfelt in der Behauptung, ETF seien schlimmer als Marxismus.
Die Fakten: Es stimmt: Wenn irgendwann alle nur noch ETF kaufen würden, könnte der Markt nicht mehr richtig funktionieren. „Die Wahrscheinlichkeit, dass das passiert, ist null“, sagt Eric Wiegand, ETF-Spezialist der Fondsgesellschaft DWS.
Auf Dauer kann niemand den Markt schlagen
ETF folgen dem Gedanken, dass niemand dauerhaft den Markt schlagen kann, weil sich jede Information sofort in den Kursen widerspiegelt. Der Markt – das sind die Anleger, die kaufen und verkaufen. Vereinfacht gesagt: Je weniger Teilnehmer den Markt analysieren und aktiv handeln, desto weniger effizient geht es zu.
Unser Rat
Geldanlage. ETF sind eine bequeme und günstige Art, Geld in Fonds anzulegen. Mit den börsengehandelten Fonds schneiden Sie so ab wie der Markt, in den Sie investieren. Dagegen können Fonds, bei denen ein Fondsmanager die Wertpapiere aussucht, besser oder schlechter als der Markt laufen.
Risiken. Das bedeutendste Risiko von ETF stellen die an der Börse üblichen Kursschwankungen dar.
Erste Wahl. Wählen Sie möglichst breit gestreute Fonds. Wir zeichnen in jeder Fondsgruppe ETF, deren Index markttypisch ist, als „1. Wahl“ aus. Für den Weltaktienmarkt ist so ein Index zum Beispiel der MSCI World. ETF auf ausgefallene Indexkonstruktionen können höhere Risiken bergen.
Auch ETF sind Teil des Marktes
Eine gewisse Auswirkung auf die Preise ist nicht auszuschließen. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), die Notenbank der Notenbanken, hat amerikanische Aktien untersucht. Sie hat festgestellt, dass sich die Aktien, nachdem sie in den Index S&P 500 aufgenommen wurden, ähnlicher entwickelten als zuvor. Allerdings müssen nicht ETF Ursache für das Phänomen sein. Auch aktiv gemanagte Fonds legen oft ein besonderes Augenmerk auf die Werte, die in einem Index stecken und investieren hier verstärkt. Blackrock, Anbieter der iShares-ETF und der weltgrößte Vermögensverwalter, hat ausgerechnet, dass lediglich 5 Prozent des Aktienhandels in den USA auf Käufe und Verkäufe entfallen, die von ETF ausgelöst werden. Das heißt, dass für 95 Prozent des Börsenhandels andere Marktteilnehmer verantwortlich zeichnen.
Chance für aktive Fonds
Führt der Handel der passiven ETF jedoch tatsächlich eines Tages dazu, dass die Preise einzelner Aktien nicht mehr stimmen, lohnt sich aktives Management wieder. „Gerade dann, wenn alle indexindiziert investieren, ist die Chance für aktive Manager umso höher, vermeintlich unterbewertete Aktien zu finden“, sagt Sprecher Marc Bubeck von Blackrock. Aus Sicht der DWS passiert es jetzt schon: „Früher waren aktive Manager viel näher dran am Index“, sagt Wiegand. „Jetzt teilt es sich auf. Auf der einen Seite sind die, die den Markt abbilden, auf der anderen die, die ihre ganz eigenen Ideen umsetzen.“
Besser handelbar als Einzelpapiere
Der Vorwurf: ETF täuschen Handelbarkeit nur vor – gerade wenn sie in illiquide, das heißt in schlecht handelbare Papiere investieren.
Die Fakten: ETF können besser handelbar sein als die Wertpapiere, die sie kaufen. ETF, die in hoch verzinste Anleihen investieren, sind ein Beispiel dafür. Für Anleihen findet häufig kein regelmäßiger Handel statt – es kann passieren, dass man keine oder schlechte Preise bekommt. Hier haben es ETF-Anleger leichter. „Der ETF geht von Verkäufer A zu Käufer B, dabei muss keine einzige Anleihe gehandelt werden“, erläutert Wiegand.
Wenn es hart auf hart kommt, kann ein Fonds aber nicht liquider sein als die Werte, in die er investiert. Anleger kennen das von offenen Immobilienfonds, die im Normalfall besser handelbar sind als die Gebäude, in denen ihr Geld steckt. In der Finanzkrise, als zu viele Investoren auf einen Schlag ihr Geld abzogen, gerieten einige Fonds in die Bredouille.
Der Flashcrash 2015 und die Folgen
Auch ETF können in Krisen anders reagieren als üblich. Im August 2015 kam es an der Wall Street zu einem Kurseinbruch, einem Flashcrash bei Aktien. In der Folge brachen auch die Kurse der ETF ein, teils stärker als die des Aktienindex – was nicht sein dürfte, denn ETF zeichnen den Index ja nach. Als Ursache galten die Handelsregeln der US-Börsen. Zeitweise wurden Aktien, aber auch die ETF vom Handel ausgesetzt. Die Mechanismen, die dafür sorgen, dass ein ETF so viel wert ist wie sein Index, haben für ein paar Stunden versagt. „In Deutschland würde so etwas nicht passieren“, sagt Arne Scheehl. An jenem Tag im August 2015 gab es hier, wenn überhaupt, nur kleinere Irritationen. Anleger, die im Crash nicht panisch verkauft, sondern gewartet haben, verloren kein Geld.
Stopp-Kurse setzen? Lieber nicht!
Der Flashcrash zeigt übrigens auch, warum wir ETF-Anlegern keine Stop-Loss-Limits empfehlen. Dabei wird eine automatische Verkaufsorder ausgelöst, wenn der ETF einen bestimmten Kurs erreicht. Verkauft wird allerdings nicht zu diesem, sondern erst zum nächsten Kurs, der weit darunter liegen kann.
Swaps sind kein Teufelszeug
Der Vorwurf: ETF, die die Titel aus dem Index nicht kaufen, sondern ihn per Swap, also ein Tauschgeschäft, abbilden, sind gefährlich.
Die Fakten: Bei ETF mit Swaps sorgt der Swap dafür, dass sich der ETF so wie der Index entwickelt. Das ist oft günstiger und genauer als der Direktkauf der Indextitel.
Physisch replizierende Fonds kaufen zwar die Titel aus dem Index, verleihen aber einen Teil davon wieder – etwa an Hedgefonds, die damit auf fallende Kurse spekulieren. Das bringt zusätzliche Erträge. Swap- oder Leihpartner könnten ausfallen, die Anbieter müssen diese Risiken absichern. Dazu gibt es Regeln der Aufsichtsbehörden. Unterm Strich sind die Vor- und Nachteile von Swap-ETF vergleichbar mit denen physisch replizierender Fonds.
Tipp: In unserem großen Fondsvergleich finden Sie Bewertungen von 8 000 ETF und aktiv gemanagten Fonds.
Dieses Special ist erstmals am 11. September 2018 auf test.de erschienen. Die FAQ haben wir am 3. Dezember 2018 erweitert und aktualisiert.