Serie Löcher im Schutz, Teil 6 Lücken in der privaten Krankenversicherung

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Makler, Arzt, Versicherungsunternehmen – und mittendrin der Versicherte. Wenn es zum Streit kommt, ist er die längste Zeit „Erste-Klasse-Patient“ gewesen.

Gabriele Ende ist falsch beraten worden. Ein Versicherungsmakler riet der Physikerin, ihre private Krankenversicherung zu wechseln, weil sie bei einem anderen Unternehmen angeblich besser und günstiger versichert sein könnte.

Die Frau verlor durch ihren Wechsel von der Universa zur Axa nicht nur die bis dahin angesparten Altersrückstellungen bei ihrem bisherigen Versicherer. Viel schlimmer: Ihr achtjähriger Sohn stand plötzlich ohne Versicherungsschutz da.

Gabriele Ende hatte im Versicherungsantrag nicht angegeben, dass ihr Sohn auf Anraten der Lehrerin wegen Verhaltensauffälligkeiten von einem Kinderpsychiater untersucht worden war. Als die Axa davon erfuhr, weil sie eine Ergotherapie bezahlen sollte, trat das Unternehmen fünf Monate nach Vertragsbeginn vom Vertrag zurück: Die Versicherte habe die vorvertraglichen Anzeigepflichten verletzt.

„Die Versichertencard darf ab sofort nicht mehr verwendet werden“, schrieb das Unternehmen an seine Kundin und versetzte die Mutter in Angst: „Ich habe mir oft vorgestellt, mein Sohn wird von einem Auto überfahren und verletzt. Was dann, wenn er ohne Krankenversicherungsschutz ist?“

Den psychologischen Test ihres Sohnes habe sie „nicht absichtlich verschwiegen“, sagt sie. „Ich kam gar nicht auf die Idee, dass dies nötig sein würde.“ Selbst der Arzt habe sich im Nachhinein darüber gewundert. Und der Makler, der den Versicherungswechsel arrangierte, hatte sie nicht auf die Anzeigepflicht hingewiesen.

Nach der Untersuchung hatte der Arzt eine Aufmerksamkeits- und Aktivitätsstörung (ADHS) ausgeschlossen; er diagnostizierte nur eine Rechtschreibschwäche und grafomotorische Schwierigkeiten. Der Junge wurde mit einer Ergotherapie behandelt.

Als die Mutter bei der Axa nachfragte, ob die Kosten übernommen werden, trat das Unternehmen vom Vertrag zurück. Die Axa habe sich nicht dafür interessiert, „ob überhaupt eine psychiatrische Diagnose gestellt wurde“, klagt Ende. Das Unternehmen habe ihr auch keinen Tarif angeboten, in dem psychiatrische Behandlungen ausgeschlossen sind.

Auf Nachfrage von Finanztest antwortete die Axa: „Bleibt im Antrag bei den Gesundheitsfragen ein bestehender Verdacht auf ADHS unerwähnt, so sind die Voraussetzungen für eine Antragsannahme seitens der Axa nicht gegeben.“ Endes alte Gesellschaft, die Universa, nahm ihren Sohn dann auch nicht mehr auf.

Weniger Leistung als bei der AOK

Gabriele Ende und ihr Kind hat es beim Versicherungswechsel übel erwischt. Doch selbst wenn ein Schüler schon lange privat versichert ist und dann eine Behandlung braucht, stehen die Eltern manchmal schlechter da als in der gesetzlichen Krankenkasse.

Für Ergotherapie zahlt die Axa in manchen Tarifen nur 75 Prozent der Kosten. Benötigen Kinder oder Jugendliche eine Psychotherapie, gibt es in zwei Tarifen überhaupt keine Erstattung. In allen anderen Tarifen werden die ersten 30 Sitzungen zu 100 Prozent erstattet, ab der 31. Sitzung gibt es noch 80 Prozent der Kosten, in einem Tarif gar nichts mehr. Gesetzliche Krankenkassen wie Barmer GEK und AOK machen diese Einschränkung nicht.

Da die Axa vom Vertrag für ihren Sohn zurückgetreten war, blieb die Physikerin ganz auf den Kosten für Untersuchung und Ergotherapie sitzen. Doch das war noch ihr geringstes Problem. Sie benötigte dringend Versicherungsschutz für ihren Sohn.

„Der Versicherungsmakler, der mir den Wechsel zur Axa empfohlen hatte, war nicht in der Lage, eine andere Versicherung aufzutun“, sagt sie. Ihren Sohn allein wollte kein Unternehmen versichern. Für ihren eigenen Vertrag gewährte die Axa ihrer Kundin eine 14-tägige Sonderkündigungsfrist. Hätte Ende es in dieser Zeit nicht geschafft, einen neuen Versicherer für sich und ihren Sohn zu finden, wäre ihr eigener Vertrag weitergelaufen.

Ihren Sohn alleine hätte sie dann höchstens im Basistarif – mit geringeren Leistungen – versichern können. Von dieser Möglichkeit wusste sie damals aber nichts; weder der Makler noch eines der von ihr befragten Versicherungsunternehmen wies sie darauf hin.

Mithilfe eines anderen Maklers fand sie am letzten Tag der 14-Tage-Frist ein Unternehmen, das sie und ihren Sohn versicherte. „Teurer als vor dem ersten Wechsel, obwohl für meinen Sohn die Kosten für eine psychiatrische Behandlung ausgeschlossen ist und ich keine Chefarztbehandlung im Krankenhaus habe. Denn dies hätte noch mehr Beitrag gekostet“, sagt Ende.

Streit um Rechnungen

Im Gestrüpp von Annahmevoraussetzungen, Tarifklauseln und Versicherungsbedingungen verheddern sich viele Privatversicherte. Stress mit Versicherungsunternehmen, die im Streit um Arztrechnungen immer neue Unterlagen und Stellungnahmen verlangen, zermürbt Patienten und ihre Ärzte.

Diese Erfahrung machte auch Ines Binder. 2005 wurde bei ihr ein Tumor festgestellt. In der Folge bekam sie weitere Krankheiten. Binder ließ sich von einer auf Naturmedizin spezialisierten Ärztin behandeln, ihr Gesundheitszustand besserte sich. Doch auf vielen Arzt- und Laborrechnungen blieb die 43-Jährige sitzen. „Mehrere tausend Euro habe ich in den letzten Jahren aus eigener Tasche bezahlt“, sagt sie.

So übernahm ihr Krankenversicherer Universa von einer Laborrechnung über 358,09 Euro gerade mal 8,70 Euro. Zur Begründung erklärte uns die Universa, die Ärztin habe „trotz mehrmaligen Aufforderns keine verwertbaren Auskünfte“ über die medizinische Notwendigkeit der Laboruntersuchung erteilt. Die Ärztin wurde deshalb von dem Unternehmen aufgefordert, den Differenzbetrag zwischen 358,09 Euro und 8,70 Euro „auf das Konto Ihres Patienten“ zu überweisen.

Also: Das Labor will von der Patientin Geld für eine Untersuchung, die Patientin bezahlt die Rechnung, der Versicherer will nur einen Minimalbetrag erstatten und fordert den Arzt auf, der Patientin das von ihr an das Labor bezahlte Geld zurückzuzahlen. Für einen kranken Menschen, der Hilfe sucht, ist das zu viel. „Ich blicke nicht mehr durch“, stöhnt Ines Binder.

„Wenn medizinisch nicht notwendige und nicht sinnvolle Leistungen beauftragt werden, ist dies im Verantwortungsbereich des auftraggebenden Arztes“, teilt die Universa mit. Doch im Streit um die Rechnungen sind die Patienten in einer misslichen Lage. Denn die Auseinandersetzung belastet das Arzt-Patienten-Verhältnis. „Meine Ärztin hat so viel Arbeit mit der Krankenversicherung. Ich fühle mich deshalb unwohl“, sagt Ines Binder.

Auch Oliver Stenzel, Sprecher des Verbandes der Privaten Krankenversicherung, verweist auf das Arzt-Patienten-Verhältnis. „Der Ball liegt bei Arzt und Patient“, sagt er. Was das im Klartext bedeutet, wenn der Versicherte die Arztrechnung nicht bezahlt? Auch darauf hat Stenzel die Antwort: „Wenn der Arzt ein Mahnverfahren einleitet, muss der Versicherte dies auf seine Kappe nehmen“.

Versicherer kürzen systematisch

Die Versicherer versuchen systematisch, ihre Leistungen zu begrenzen. Mit computergestützten Systemen durchsuchen sie Rechnungen nach Posten, die sie streichen können. Durch solches „Leistungsmanagement“ spart die Allianz Krankenversicherung jedes Jahr rund 126 Millionen Euro. Das Unternehmen gibt an, dass etwa jede zwölfte Rechnung beanstandet werde. Die DKV hält sogar jede zehnte Rechnung für fehlerhaft.

Die Universa antwortet auf die Frage nach der Zahl der beanstandeten Rechnungen ausweichend: „Wir suchen bei unterschiedlichen Meinungen immer das beratende Gespräch mit unseren Kunden und leisten vielfach kulant.“

Ines Binder sieht das anders: „Mein größtes Problem während meiner Krankheit war meine Krankenversicherung.“ Inzwischen hat die Universa versöhnliche Töne angeschlagen: „Auf Antrag von Frau Binder haben wir die Kostenübernahme für weitere therapeutische Maßnahmen bereits zugesagt.“ Wir werden sehen.

Serie Löcher im Schutz
Bereits erschienen:
– Private Haftpflicht 9/2009
– Private Unfallversicherung 10/2009
– Wohngebäude und Hausrat 11/2009
– Rechtsschutzversicherung 1/2010
– Reiseschutz 2/2010

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