Fast jeder zehnte Mensch in Deutschland ist schwerbehindert. Und jeder von ihnen hat ein Recht auf Hilfe. Doch Betroffene erhalten diese nicht automatisch: Sie müssen zunächst einen Schwerbehindertenausweis beantragen. Er kann ihnen den Alltag erleichtern.
Wer hat Anspruch auf den Ausweis?
Laut Sozialgesetzbuch gelten Menschen als behindert, die körperlich, geistig oder seelisch beeinträchtigt und dauerhaft, das heißt länger als sechs Monate, in ihrem Alltag eingeschränkt sind. Als schwerbehindert gelten Personen mit einem Behinderungsgrad von mindestens 50, die in Deutschland wohnen oder arbeiten. Sie können den Schwerbehindertenausweis beantragen. Das gilt unabhängig davon, ob die Behinderung angeboren oder durch Unfall oder Krankheit verursacht ist. Auch chronische und psychische Erkrankungen wie etwa Depressionen können unter Umständen als Schwerbehinderung anerkannt werden.
Der Grad der Behinderung
Wie „schwer“ eine Behinderung ist, gibt der Grad der Behinderung an, kurz GdB. Er wird in Zehnerschritten gestaffelt und kann zwischen 20 und 100 variieren. Eine Krebserkrankung kann zum Beispiel einen GdB von 50 bewirken und damit zu einem Schwerbehindertenausweis berechtigen. „Grundsätzlich geht es bei der Feststellung der Behinderung jedoch nicht darum, welche Erkrankung ein Mensch hat, sondern darum, wie stark er in seinem Alltag eingeschränkt ist“, erklärt Dorothee Czennia, Referentin der Abteilung Sozialpolitik beim VdK Deutschland. Wichtig: Hat ein Mensch verschiedene Behinderungen, werden diese bei Berechnung des GdB nicht einfach „addiert“.
Tipp: Unter bestimmten Voraussetzungen können auch berufstätige oder arbeitssuchende Personen mit einem GdB von mindestens 30 schwerbehinderten Menschen gleichgestellt werden. Um diese Gleichstellung zu erlangen, sollten sich Betroffene an die Agentur für Arbeit im jeweiligen Wohnort wenden.
Der Weg zum Ausweis: Antrag beim Versorgungsamt stellen
Zunächst muss das örtliche Versorgungsamt die Behinderung anerkennen. Dazu ist ein Antrag erforderlich. Das Amt kontaktiert die darin genannten Ärzte, um sich die gemachten Angaben bestätigen zu lassen. Hierfür zieht es unter anderem ärztliche Gutachten und Berichte von Rehabilitations- oder Kureinrichtungen ein. Das Versorgungsamt entscheidet dann meist aufgrund der schriftlichen Befunde über den Grad der Behinderung. Antragssteller müssen ihren Arzt deshalb von der Schweigepflicht entbinden. Nur wenn die Aktenlage unklar ist, veranlasst die Behörde eine persönliche Untersuchung durch einen medizinischen Gutachter.
Vorher mit dem Arzt sprechen
Dorothee Czennia rät, den Antrag schon im Vorfeld mit den behandelnden Ärzten zu besprechen. „Je genauer die Beeinträchtigungen und ihre Konsequenzen im Antrag beschrieben sind, desto eher wird dieser bewilligt.“ Wer einen positiven Bescheid bekommt, kann damit den Schwerbehindertenausweis beantragen. Der wird für höchstens fünf Jahre ausgestellt und lässt sich anschließend verlängern, sofern die Einschränkungen weiterhin bestehen. Hat sich die gesundheitliche Situation dagegen verbessert, wird der GdB gesenkt. Fällt er unter einen GdB von 50, müssen Betroffene den Ausweis zurückgeben.
Auf die Merkzeichen kommt es an
Es gibt gesetzlich geregelte Erleichterungen für schwerbehinderte Menschen in zahlreichen Bereichen. Sie genießen zum Beispiel Steuerfreibeträge, Mobilitätshilfen und – sofern sie berufstätig sind – mehr Urlaubstage und einen besseren Kündigungsschutz. Was der Ausweis individuell bringt, hängt in erster Linie jedoch von der Art der Behinderung ab, erklärt Ilja Seifert, Vorsitzender des Allgemeinen Behindertenverbands in Deutschland (ABiD). Denn: „Nicht jeder Schwerbehinderte hat Anspruch auf jede Erleichterung.“ Die meisten Vorrechte sind an sogenannte Merkzeichen gebunden. Diese sollten beim Ausfüllen des Schwerbehindertenausweises gleich mitbeantragt werden.
Freifahrten im Nahverkehr: Nicht ganz „frei“
Steht etwa ein „G“ für „gehbehindert“, „aG“ für „außergewöhnlich gehbehindert“ oder „Gl“ für „gehörlos“ im Ausweis, berechtigt dies zu Freifahrten im Nahverkehr. Wirklich kostenlos sind sie für diese Personengruppen allerdings nicht. Betroffene müssen zunächst beim Versorgungsamt eine Wertmarke erwerben. Diese kostet 72 Euro im Jahr oder 36 Euro für ein halbes Jahr. Für jemanden, der nur selten Bus oder Bahn fährt, lohnt sich die Wertmarke also nicht unbedingt. Nur blinde und hilflose Menschen – Merkzeichen „Bl“ und „H“ – erhalten die Wertmarke umsonst.
Hilfreich: der blaue Sonderparkausweis
Außergewöhnlich Gehbehinderte und Blinde können auch einen Sonderparkausweis bekommen. Mit ihm darf man unter anderem bis zu drei Stunden im eingeschränkten Halteverbot, in Lade- und Fußgängerzonen und auf gekennzeichneten Behindertenparkplätzen parken. Es reicht nicht aus, den Schwerbehindertenausweis oder einen Aufkleber mit Rollstuhlfahrer-Symbol hinter die Windschutzscheibe zu legen. Betroffene, die den Parkausweis benötigen, müssen ihn bei der Straßenverkehrsbehörde beantragen. Er ist gebührenfrei und EU-weit gültig. Seit 2009 haben übrigens auch Contergan-Geschädigte und Menschen mit vergleichbaren Behinderungen Anspruch auf den Ausweis.
Bei Problemen: Unterstützung holen
Dorothee Czennia vom VdK rät Betroffenen, sich schon im Vorfeld Hilfe zu holen. „Wir beraten und unterstützen unsere Mitglieder bereits bei der Antragstellung. Wird der Antrag abgelehnt, kann Widerspruch eingelegt und – bei entsprechenden Erfolgsaussichten – auch der Klageweg beschritten werden.“ Auch das übernimmt der VdK für seine Mitglieder. Aber auch andere Sozial- und Behindertenverbände wie etwa der ABiD helfen ihren Mitgliedern bei auftretenden Problemen und begleiten Betroffene teilweise beim Gang zum Versorgungsamt.