
Schmerzensgeld sollte taggenau berechnet werden, sagt das Oberlandesgericht Frankfurt.
Mehr Gerechtigkeit beim Schmerzensgeld: Das Oberlandesgericht Frankfurt wendet eine neue Berechnungsmethode an, bei der es auch auf Dauer und Schwere der Verletzung ankommt. Schwer Verletzte erhalten danach wohl mehr Geld als bisher. test.de erklärt das Urteil.
Bisher viel Willkür
Die Richter in Frankfurt kritisieren: Bisher setzen die Gerichte Schmerzensgelder ziemlich willkürlich fest; je nach Richter und Region unterscheiden die Urteile sich erheblich, obwohl die Gerichte sich an Tabellen orientieren, in denen Schmerzensgeld-Urteile nach Verletzungen sortiert aufgeführt sind. Stattdessen hält das Oberlandesgericht Frankfurt für richtig, das Schmerzensgeld anhand der genauen Dauer und der Schwere der Verletzung und weiterer Faktoren zu berechnen.
Berechnung für mehr Gerechtigkeit
Angemessene Grundlage für die Berechnung von Schmerzensgeldansprüchen aus Sicht der Oberlandesrichter in Hessen: Das durchschnittliche Bruttonationaleinkommen pro Kopf. Fürs Jahr 2017 sind das 3 374 Euro. Die Höhe des Schmerzensgelds soll nicht vom Einkommen oder vom Vermögen des Opfers abhängen. Für einen Tag Krankenhaus schlagen die Richter ein Schmerzensgeld von zehn Prozent des durchschnittlichen Bruttoeinkommens vor. Für sonstige Tage halten sie sieben Prozent, also 236 Euro, für angemessen. Ob es den vollen Tagessatz gibt, hängt davon ab, wie stark das Opfer jeweils noch leidet. Je weiter die Heilung fortschreitet, desto weniger Schmerzensgeld pro Tag gibt es noch.
Höheres Schmerzensgeld bei bleibenden Schäden
Die taggenaue Berechnung des Schmerzensgeldes werde dazu führen, dass es für leichtere Verletzungen weniger und für schwerere mehr Schmerzensgeld gibt, erwarten die Richter in Frankfurt. Sie halten das für angemessen. Ihr Beispiel: 40 000 und 45 000 Euro Schmerzensgeld sprachen die Oberlandesgerichte Hamm und München jungen Frauen zu, nachdem ihnen jeweils wegen schwerer Beinverletzungen der Unterschenkel amputiert werden musste. Bei einer Lebenserwartung von noch 40 Jahren macht das gerade mal 2,74 und 3,08 Euro pro Tag aus – viel zu wenig, meinen die Richter in Frankfurt.
Vorschlag eines Rechtsgelehrten
Das neue Grundsatzurteil aus Frankfurt geht auf Vorschläge von Hans-Peter Schwintowski zurück. Der Jura-Professor aus Berlin erlitt selbst schwere Verletzungen, als ihn vor vielen Jahren ein betrunkener Autofahrer anfuhr. Er fordert seit vielen Jahren eine Gesetzesänderung zugunsten von schwer verletzten Unfallopfern. Gemeinsam mit zwei Rechtsanwälten hat er Vorschläge zur Berechnung des Schmerzensgeld erarbeitet und diese in seinem Handbuch Schmerzensgeld erläutert. Es geht auch ohne Gesetzesänderung, glauben die Richter am Oberlandesgericht Frankfurt nach Lektüre des Werks. Die Schwintowski-Berechnungsmethode sei mit den Grundsätzen der Rechtsprechung bisher vereinbar. Die Richter ließen nicht einmal die Revision zum Bundesgerichtshof zu.
Auswirkungen unklar
Ob das Urteil aus Frankfurt Schule macht, ist unklar. Die Schwintowski-Methode bietet aus Sicht der test- und Finanztest-Juristen zwar die Chance auf gerechtere Schmerzensgelder. Unwägbarkeiten bleiben allerdings. So spielt eine große Rolle, wie gut es dem Opfer oder seinen Angehörigen gelingt, die Verletzungsfolgen darzustellen, und wie sich die Ärzte und Gutachter zu den Verletzungen und den Unfallfolgen äußern.
Tipps für Unfallopfer
Wenn Sie bei einem Verkehrsunfall Verletzungen erlitten haben, sollten Sie unbedingt sofort einen in vergleichbaren Fällen erfolgreichen Rechtsanwalt einschalten. Den muss bezahlen, wer die Verletzungen zu verantworten hat. Ohne Rechtsanwalt erhalten Sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht alles, was ihnen zusteht. Haftpflichtversicherer sind verpflichtet, ihre Kunden gegen unberechtigte Forderungen zu verteidigen. Sie dürfen deshalb nicht mehr zahlen, als nach Lage der Dinge gerichtlich durchsetzbar. Als Opfer müssen Sie daher ihre Ansprüche genau begründen und belegen. Das vollständig richtig zu machen, ist ohne Rechtsanwalt fast unmöglich.
Oberlandesgericht Frankfurt, Urteil vom 18.10.2018
Aktenzeichen: 22 U 97/16
Klägervertreterin: Rechtsanwältin Carina Klagges, Hanau
Newsletter: Bleiben Sie auf dem Laufenden
Mit den Newslettern der Stiftung Warentest haben Sie die neuesten Nachrichten für Verbraucher immer im Blick. Sie haben die Möglichkeit, Newsletter aus verschiedenen Themengebieten auszuwählen.