
Konflikte spielten im beruflichen Werdegang von Birgit Gantz-Rathmann schon früh eine Rolle. Heute können sich 240 000 Mitarbeiter der Deutschen Bahn im Fall eines Streits an die Ombudsfrau wenden.
Eine Packung Taschentücher darf auf dem Schreibtisch von Birgit Gantz-Rathmann nie fehlen. Wer ihr Büro im 12. Stock des gläsernen Büroturms am Potsdamer Platz in Berlin betritt, fühlt sich vom Chef missverstanden, von den Kollegen gemobbt oder bei der Karriereplanung übergangen. „Da fließen hin und wieder auch Tränen“, sagt Birgit Gantz-Rathmann. Seit fünf Jahren ist die Juristin Ombudsfrau bei der Deutschen Bahn und damit Ansprechpartnerin für Mitarbeiter mit Konflikten.
Rund 400 Fälle bearbeitet Birgit Gantz-Rathmann im Jahr: „Die eine Hälfte lässt sich beim ersten Austausch klären. Die andere ist mit vielen Gesprächen und Treffen verbunden.“ Vom Zugbegleiter bis zum Manager – jeder der 240 000 Bahnmitarbeiter kann sich an sie wenden, per Mail, Telefon oder persönlich. Vertraulichkeit garantiert.
„Im ersten Gespräch lasse ich mir zunächst den Konflikt schildern und frage nach den Erwartungen an mich“, erzählt sie. Erst auf Bitten des Ratsuchenden wird Birgit Gantz-Rathmann aktiv und stellt Nachforschungen an. „Manchmal ist es schon mit Zuhören getan, weil jemand sich plötzlich selbst zu helfen weiß“, sagt sie. Vor allem Führungskräfte, die im Team einen Konflikt kommen sehen, wollen sich häufig einfach mit ihr austauschen. „Doch natürlich gibt es auch schwierige Fälle“, sagt die gebürtige Flensburgerin, der man ihre norddeutsche Herkunft noch immer anhört. „Da müssen alle Beteiligten an einen Tisch.“
Viele fühlen sich im Stich gelassen
Birgit Gantz-Rathmann stieg 1997 als Personalvorstand bei der Deutschen Bahn Cargo ins Unternehmen ein. Fünf Jahre später leitete sie den Bereich Soziales im Konzern. Als 2004 die Ombudsstelle eingerichtet wurde – eigentlich als Anlaufstelle für Beschäftigte, die innerhalb des Unternehmens versetzt werden sollten –, übernahm sie diese Aufgabe zusätzlich. „Die Resonanz war überwältigend“, erinnert sich Gantz-Rathmann. Überraschenderweise kamen weniger die von Versetzung Betroffenen als Mitarbeiter mit ihren alltäglichen Konflikten am Arbeitsplatz. Schichtarbeiter, die sich über familienfeindliche Dienstpläne der Disponenten ärgerten, Mütter, die sich beim Wiedereinstieg in den Job von den Kollegen im Stich gelassen fühlten, Nachwuchskräfte, die von ihrem Chef mehr Unterstützung beim „Karrieremachen“ erwartet hatten. Bis heute sind dies die häufigsten Konflikte, die sie als Ombudsfrau löst.
Verständnis für die andere Seite
Eines weiß Birgit Gantz-Rathmann heute genau: „Schwarz und Weiß sind selten, wenn es um Konflikte geht. Meist gibt es ganz viele Farben. Man muss nur lernen, sie zu sehen.“ Da ist zum Beispiel der Mitarbeiter, der sich seit Wochen darüber wundert, dass sein Chef ihn nicht mehr grüßt und kaum noch ein Wort mit ihm wechselt. Er nimmt das Ganze sehr persönlich, traut sich aber nicht, die Sache anzusprechen. Als Gantz-Rathmann auf seine Bitte nachfragt, fällt der Vorgesetzte aus allen Wolken. „Mit einem stressigem Projekt und einer schwerkranken Ehefrau hat er seine Gedankenlosigkeit erklärt und sich entschuldigt“, erzählt sie. „Aber auch der Mitarbeiter konnte im Nachhinein das Verhalten seines Chefs nachvollziehen.“ Der neue Blick auf die Dinge hat das Farbenspiel verändert.
Birgit Gantz-Rathmann wirbt für neue Sichtweisen, empfiehlt, „sich in die Schuhe des anderen zu stellen“, spiegelt Verhalten zurück und rät dazu, Probleme offen anzusprechen. „Konflikte entstehen häufig, weil die Menschen aufgehört haben, miteinander zu reden“, sagt sie. Gerade in Krisen leide die Kommunikation, wenn der Stress in den Führungsetagen zunehme und die Verunsicherung bei den Mitarbeitern groß sei.
Im Werdegang der heute 60-Jährigen spielten Konflikte schon früh eine Rolle. Auf das Jura-Studium folgten acht Jahre als Arbeitsrichterin in Hamburg und Nordrhein-Westfalen. Weil sie unzufrieden damit war, dass die Parteien im Gericht das verkündete Urteil oft für ungerecht hielten, ging sie in die Politik. „Wenn die Leute das Recht nicht als gerecht empfinden, muss man die Gesetze so machen, dass sie verstanden werden“, erklärt sie ihre Entscheidung von damals. Sie wurde geschäftsführende Assistentin für Sozialpolitik bei der SPD-Bundestagsfraktion, später Staatssekretärin im Sozialministerium Hannover. „In dieser Zeit habe ich erkannt, dass unser Rechtssystem kaum besser zu regeln ist und man stattdessen die Konflikte anders angehen muss“, sagt sie. Deshalb wechselte sie mit Ende 40 zur Deutschen Bahn. Dort setzt Birgit Gantz-Rathmann heute zunehmend auf die Mediation. Im Unterschied zur moderierten Konfliktlösung, bei der sie Vorschläge macht, entwickeln die Parteien da selbst Ideen, um ihren Streit beizulegen. Eine Art Hilfe zur Selbsthilfe also. „Das führt zu viel tragfähigeren Lösungen“, so die Juristin. Das Know-how in Sachen Mediation eignete sie sich in einem berufsbegleitenden Studium an der Universität Viadrina in Frankfurt/Oder an.
Gantz-Rathmann bleibt bei ihrer Arbeit stets im Hintergrund. „Die Position lebt davon, andere zu befähigen, Konflikte wieder in die eigenen Hände zu nehmen“, sagt sie. „Die Erfolge reklamiere ich nicht für mich, sondern gönne sie denen, die sie sich erarbeitet haben – den streitenden Parteien.“
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