
Ein paar schlechte Nächte sind noch kein Grund zur Sorge. Wer mehr als vier Wochen schlecht schläft, sollte sich Hilfe beim Arzt holen.
Sehr viele Menschen schlafen schlecht ein oder liegen nachts wach. Die meisten von ihnen können selbst für Abhilfe sorgen – oft ganz ohne Arznei.
Drei Wochen lang ging es Susanne Menzel* richtig gut. Die 35-Jährige reiste durch Italien. Arbeitsstress und Trennungsschmerz drifteten immer weiter von ihr weg. Zurück in ihrem Wohnort Frankfurt am Main waren alle Alltagssorgen wieder unverändert da – und raubten ihr den Schlaf. Menzel schlummerte zwar ein, doch mitten in der Nacht wachte sie auf und kam ins Grübeln. Was für ein Leben will ich eigentlich führen? Die Frage ließ sie nicht mehr los. Es dauerte Stunden, bis sie wieder schlafen konnte. Mit jeder dieser Nächte fühlte sie sich tagsüber müder und schwächer: „Ich war fix und fertig und hatte Angst, bei der Arbeit Fehler zu machen.“
Jeder Vierte schläft schlecht ein
Etwa jeder vierte Deutsche berichtet davon, mindestens einmal pro Woche nicht ohne Probleme einzuschlafen. Mehr als vier von zehn Erwachsenen schlafen in mindestens einer Nacht pro Woche nicht durch. Das zeigte 2013 eine Studie des Robert-Koch-Instituts zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland (DEGS).
Schlafmangel kann zermürben. Er raubt die Kraft für den Tag. Menschen, die ihren Schlaf nicht als lang und erholsam genug empfinden, büßen nach eigener Einschätzung an Leistung ein, sind leicht reizbar, können sich schwer konzentrieren. Anstoß für unruhige Nächte geben oft belastende Situationen am Tag – wie etwa Hektik, Konflikte, Geldsorgen oder eine Trennung.
Einmal ist keinmal
Ein paar schlechte Nächte sind kein Grund zur Sorge. „Unter Stress und Veränderungen nicht gut schlafen zu können, ist keine Erkrankung, sondern normal“, sagt Dieter Riemann, Professor für Klinische Psychologie und Leiter der schlafmedizinischen Station am Universitätsklinikum Freiburg. Lösen sich die Sorgen und Probleme oder hat man sich in die neue Situation eingelebt, kommt bei den meisten auch die Nachtruhe zurück.
Kritisch wird es, wenn schlechter Schlaf sich verselbstständigt. Warnzeichen: Die Störungen bleiben, wenn der Anlass schon Geschichte ist. Halten sie länger als vier Wochen an, sprechen Mediziner und Psychologen von Insomnie – auf Deutsch: Schlaflosigkeit.
Rund sechs Prozent aller Menschen in Deutschland leiden unter behandlungsbedürftiger Schlaflosigkeit. Sabine Menzel stand vermutlich kurz davor. Die gute Nachricht für alle, die sich nach erholsamem Schlummer sehnen: Schlafprobleme lassen sich meist ohne Medikamente in den Griff bekommen – selbst dann noch, wenn sie schon chronisch sind. Wichtig ist, dass Betroffene die Lage richtig erkennen und aktiv angehen.
Bei anhaltender Störung zum Arzt
Wann immer der Verdacht auf eine Schlafstörung besteht, sind der Hausarzt sowie Allgemein- oder Fachärzte mit einer Zusatzausbildung in Schlafmedizin oder Somnologie gute Ansprechpartner. Sie ergründen die Ursache, die durchaus auch eine organische Erkrankung wie etwa eine Hormonstörung sein kann. Und sie nennen Maßnahmen, die jeder umsetzen kann und das Ein- und Durchschlafen oft sehr erleichtern (Vom Aufstehen bis zum Zubettgehen).
In Eigenregie zum erholsamen Schlaf
„Mitunter sind es ganz simple Dinge, die den Schlaf stören“, sagt Dieter Riemann. „Ein schnarchender Ehepartner, zu warme Decken oder nachtaktive Haustiere im Schlafzimmer. All das verdirbt die Nacht.“ Oft sei das Menschen aber nicht bewusst. Sie müssten erst genauer hingucken, um den Zusammenhang zu erkennen.
Schlafzimmer ist kein Arbeitszimmer
Oft ist das Schlafzimmer alles andere als ein Ort der Ruhe. Viele nutzten es als Arbeitszimmer, stellen einen Schreibtisch ans Bettende, lassen Akten auf dem Nachttisch liegen. Viele liegen im Bett wach, weil sie ihre Gedanken nicht abstellen können. Sie grübeln über den Job, über Alltagssorgen oder Lebensfragen. „Das Bett ist dafür aber der falsche Ort“, sagt Riemann.
Andere schlafen im Bett nicht nur, sondern gucken dort auch fern, telefonieren, spielen am Handy. „Auch das kann den Schlaf stören“, sagt Riemann. „Denn Körper und Geist werden durch die Aktivitäten aufgeputscht – an einem Ort, wo wir Ruhe finden sollten.“ Unser Gehirn verbinde das Bett dann mit Aufregung, Spannung und Spiel. Dabei verlerne es, das Nachtlager mit Schlaf und Entspannung zu verknüpfen.

Wer bestimmte Regeln beachtet, holt sich die Ruhe oft zurück.
Protokoll führen öffnet die Augen
Schlafmediziner raten Patienten, die unfreiwillig wach liegen, zu prüfen, was sie um den Schlaf bringen könnte. Dabei kann ein Schlaftagebuch helfen. In dieses tragen Betroffene ein, wann sie ins Bett gehen, was sie tagsüber gemacht, gegessen, wie lange sie geschlafen haben und wie gut. „Diese Bestandsaufnahme öffnet mitunter den Blick für ungünstige Muster“, sagt Riemann. Im Protokoll entdeckten manche aber auch, dass sie durchaus mal gut schlafen. Weitere mögliche Erkenntnisse: Nach Tagen mit Sport und viel frischer Luft schlafen viele besser, nach einer halben Flasche Rotwein am Abend schlechter.
Jeder wacht zwischendurch auf
Nicht alles, was Menschen für eine Schlafstörung halten, ist auch eine. So ist es normal, wenn Menschen nachts wach werden. Jeder erwacht im Schlaf etwa alle anderthalb Stunden, jede Nacht. Die meisten merken es nur nicht. Ein Mythos ist auch, dass acht Stunden Schlaf pro Nacht nötig seien.
„Menschen müssen nicht immer eine bestimmte Stundenzahl Schlaf erlangen, um sich am Tag gut zu fühlen und zu funktionieren“, sagt Dieter Riemann. Im Durchschnitt schliefen die Deutschen zwischen sechs und sieben Stunden pro Nacht. Manche bräuchten acht Stunden, anderen genügten fünf. „Das schwankt aber auch beim Einzelnen, sogar von Tag zu Tag“, erläutert der Psychologe.
Es dürfe auch mal weniger sein, sagt Marie-Luise Hansen, ärztliche Leiterin des Kompetenzzentrums Schlafmedizin des Universitätsklinikums Charité in Berlin. „Ein paar kürzere Nächte sind gesundheitlich ungefährlich.“ Wer einige Tage Schlafmangel erleide, sei höchstens anfälliger für Schnupfen oder andere Erkältungssymptome. Hansen rät daher zu Gelassenheit, wenn mal eine Nacht kürzer wird.
Was Medikamente bringen
Gelassenheit lässt sich nicht verordnen, Schlafregeln sind nicht immer leicht umzusetzen. Viele verlieren nach zig durchwachten Nächten die Geduld. Wie auch Susanne Menzel. „Ich war dermaßen k.o., dass ich dachte, ich brauche schnell eine Veränderung, sonst breche ich zusammen“, erinnert sie sich. Nach zwei Wochen Mangel an Nachtruhe kaufte sie ein rezeptfreies Schlafmittel. Ab der zweiten Nacht mit Pillen schlief Menzel wieder durch.
Die Arzneimittelexperten der Stiftung Warentest stufen verschiedene Schlafmittel als geeignet ein. Einige gibt es rezeptfrei in der Apotheke (Rezeptfreie Mittel), stärkere Substanzen auf Rezept (Schlafmittel auf Rezept). Für alle gilt: Sie können kurzfristig helfen, damit der Körper sich erholen kann. Sie sollten jedoch die letzte Option sein. „Sie behandeln nur die Symptome, nicht die Ursache. Werden die Mittel abgesetzt, besteht die Schlaflosigkeit mitunter fort“, sagt Hansen. Zudem machten Schlafmittel schnell abhängig. Sie sollten nicht länger als zwei Wochen eingenommen werden und möglichst in Absprache mit einem Arzt.
Eine Ausnahme sind Baldrianpräparate. Sie rufen kaum Nebenwirkungen hervor und können deshalb einen Versuch wert sein. Die Arzneimittelexperten der Stiftung Warentest halten sie für eingeschränkt geeignet, da sich die therapeutische Wirksamkeit von Baldrianextrakt anhand der bisherigen Forschungsergebnisse noch nicht abschließend beurteilen lässt.
Müdigkeit kann Nebenwirkung sein
Für alle anderen Schlafmittel gilt: Sie bergen ernste Risiken. Der Körper kann sich bei längerer Anwendung an sie gewöhnen und Patienten müssen dann teilweise größere Mengen einnehmen, damit sie wirken. „Typische Nebenwirkungen wie Konzentrationsstörungen oder Müdigkeit am Folgetag nehmen dann ebenfalls zu“, warnt Hansen. Gerade im Autoverkehr oder am Arbeitsplatz sei das problematisch. Es falle den Menschen zudem immer schwerer auf die Pillen zu verzichten. Denn sie denken: Ohne sie komme ich nicht zur Ruhe.
Auch Susanne Menzel wusste um die Risiken der Schlafmittel: „Ich wollte sie nur kurz nehmen, um wieder zu Kräften zu kommen.“ Glücklicher Zufall: Kurz nachdem sie begonnen hatte, Schlafmittel zu nehmen, hatte sie ein hilfreiches Gespräch mit einem Freund. „Er hatte einen anderen Blickwinkel auf meine Probleme. Das hat Lösungsideen bei mir angestoßen und half, dass ich wieder ruhiger schlafe.“ Nach fünf Tagen setzte sie die Pillen ab. Inzwischen hat sie einen neuen Freund, ihre Arbeit macht ihr wieder Spaß. In den Nächten schläft sie wie früher – unbeschwert.
* Name von der Redaktion geändert.