Ziehen Rentner in Europa um, bleiben sie in ihrer Krankenkasse. Doch die neue Heimat bestimmt nun ihre Versorgung.
Vor fast 13 Jahren ist Werner Warscheid aus Erlangen mit seiner Frau in eine Seniorenresidenz auf Mallorca umgezogen. Damals war er 70 Jahre alt. Die beiden sind nicht die einzigen Auswanderer fortgeschrittenen Alters. In Spanien verbringen rund 15 000 deutsche Rentner ihren Lebensabend.
Mit dem Umzug haben sich die Warscheids auch für das Kranken- und Pflegesystem in Spanien entschieden. Denn wer ins europäische Ausland zieht, bleibt zwar Mitglied seiner deutschen Krankenkasse. Er hat aber nur noch Anspruch auf die Krankenleistungen, die das System im neuen Heimatland vorsieht. Davon hängt ab, was er alles selbst zahlen muss.
Warscheid bleibt in seiner deutschen Krankenkasse, der BKK Siemens, versichert. Gleichzeitig ist er seit seinem Umzug auch Mitglied in der spanischen Einheitskrankenversicherung, der Seguridad Social.
Der inzwischen verwitwete 83-Jährige überweist seine Beiträge nach Deutschland, geht aber in Spanien zum Arzt. Die deutsche Krankenkasse bezahlt der spanischen Versicherung einen Pauschalbetrag für die Versorgung von Warscheid.
Finanztest hat sich die Kranken- und Pflegeleistungen der vier europäischen Staaten angesehen, in denen die meisten deutschen Rentner leben. Das sind die Schweiz, Österreich, Spanien und Frankreich. Die Daten für unseren Vergleich stammen von Anfang 2009.
Die Leistungen des österreichischen Krankenversicherungssystems ähneln den deutschen am meisten. In der Schweiz und in Frankreich müssen Versicherte viele Behandlungskosten selbst tragen. Spanien ist für Rentner finanziell am günstigsten – nur den Zahnarzt müssen sie fast immer aus der eigenen Tasche bezahlen.
Für Auswanderer mit einer privaten Krankenversicherung in Deutschland gelten andere Regeln. Sie genießen oft weltweiten Schutz und erfahren bei ihrem Unternehmen, welche Leistungen sie damit im Ausland bekommen.
Zuzahlungen sind üblich
Kerngesund sind die wenigsten Rentner, wenn sie in ein anderes Land aufbrechen. Medizin gehört zu ihrem Alltag.
Karlheinz Weyerhorst muss zum Beispiel täglich 18 Tabletten einnehmen. Der Mann aus Essen wohnt wie Warscheid in der Seniorenresidenz „Es Castellot“ im Südwesten Mallorcas. Seine Arznei bekommt er in Spanien kostenfrei. Rentner sind dort von Zuzahlungen zu Medikamenten befreit.
In Österreich müsste er für jedes Medikament eine Pauschale von 4,90 Euro zahlen, jedoch maximal 37 Packungen im Jahr.
Auch die französische Versicherung bittet ihre Kunden bei vielen Medikamenten zur Kasse. Je nach Fall zahlen sie zwischen 0 und 85 Prozent des Preises selber.
In der Schweiz werden Arzneien mit der „Franchise“ verrechnet, einem Festbetrag, den jeder selbst tragen muss: Die Auswanderer zahlen jährlich neben dem deutschen Beitrag die ersten 300 Schweizer Franken (zirka 198 Euro) für Arzneien, Hilfsmittel und Behandlungen aus eigener Tasche.
Sind die Kosten höher, übernimmt die Kasse 90 Prozent. Für Medikamente gibt es 80 Prozent Zuschuss, wenn es teure Originalmittel sind, für die günstigeren Alternativen zahlt die Kasse 90 Prozent.
Der Eigenanteil beträgt maximal weitere 700 Schweizer Franken (462 Euro). Die Patienten zahlen also bis zu 1 000 Schweizer Franken (661 Euro) pro Jahr selbst. Die Kosten für den Zahnarzt kommen obendrauf.
Arztkosten vorstrecken
In der Seniorenresidenz von Weyerhorst und Warscheid arbeitet ein Arzt. Den können die Bewohner kostenlos aufsuchen, genauso wie andere Ärzte in Spanien außerhalb der Residenz.
In Frankreich müssen die Patienten beim Arzt 1 Euro pauschal bezahlen und die weiteren Behandlungskosten vorstrecken. Anschließend können sie ihre Krankenkasse um Zuschüsse bitten. Für ambulante Behandlungen übernimmt die französische Versicherung in der Regel 70 Prozent der Kosten, die restlichen 30 Prozent muss der Versicherte selbst berappen.
Zähne und Hörgeräte kosten extra
Die spanische Krankenversicherung zahlt Weyerhorst und Warscheid viel, den Zahnarzt jedoch nicht. Die Seguridad Social käme für eine Zahnbehandlung nur auf, wenn sie durch eine Berufskrankheit oder einen Arbeitsunfall nötig wird.
In der Schweiz gibt es nur in schweren Fällen finanzielle Unterstützung. Österreich dagegen sieht Zuschüsse zwischen 50 und 75 Prozent vor. In Frankreich zählen Zahnbehandlungen zur ambulanten Leistung, die Kasse trägt 70 Prozent.
Auch Zuschüsse zu Hilfsmitteln begrenzen die Kassen. Hörgeräte, Brillen oder Gehhilfen bezahlt die spanische Kasse nur in Ausnahmefällen. Für orthopädische Prothesen ist ein Zuschuss vorgesehen.
Weyerhorst hatte Glück im Unglück. Vor einigen Jahren benötigte er eine Hüftoperation. Die Seguridad Social übernahm nicht nur die Kosten für den Eingriff und den Krankenhausaufenthalt, sondern auch die für die neue künstliche Hüfte.
Von vornherein etwas großzügiger ist die französische Kasse. Nach vorheriger Genehmigung erhalten Versicherte in Frankreich für Hilfsmittel 65 Prozent Zuschuss, bei Prothesen sogar die vollen Kosten.
Wer in Österreich eine Brille braucht, zahlt 10 Prozent selber, mindestens aber 80,40 Euro. Bei anderen Hilfsmitteln sind es bei einem Eigenanteil von 10 Prozent mindestens 26,80 Euro.
3 000 Euro für eine Operation
Auch Werner Warscheid lag in Spanien schon im Krankenhaus. Vor knapp acht Jahren hatte er akute Herzprobleme. Binnen anderthalb Tagen erhielt er drei Bypässe, alles ohne zusätzliche Kosten.
Vergleichsweise günstig kommen die Patienten auch in österreichischen Krankenhäusern weg. Die Krankenversicherung dort belässt es bei einer Eigenbeteiligung von 10 Euro pro Tag.
In Frankreich kann eine Behandlung wie die von Warscheid für die Versicherten dagegen sehr teuer werden: Sie müssen 20 Prozent eigene Beteiligung zahlen. Rechnet man für die Bypassoperation etwa 15 000 Euro Kosten, hätte Warscheid in Frankreich allein 3 000 Euro für den Eingriff bezahlen müssen. Hinzu kommt eine Pauschale von 16 Euro pro Tag.
In der Schweiz greift die Festbetragsregelung. Zusätzlich sind 10 Schweizer Franken am Tag fällig, etwa 6,61 Euro. Mehr als 1 000 Franken können es aber nicht werden.
Zur Operation ins Ausland
Wenn Warscheid nach Deutschland reist, ist er dort regulär versichert. Ob er seine Familie in Erlangen besucht oder wie im Jahr 2009 zu einer Operation nach Berlin fliegt, ist dabei unerheblich.
Würde er für einen Urlaub in ein anderes europäisches Land reisen, wäre er ebenfalls versichert. Er benötigt nur die Europäische Krankenkassenkarte (EHIC).
Reist er extra zu einer Behandlung in seine alte Heimat, bezahlt die deutsche Krankenkasse alle Operationen in Deutschland, wenn sie zu ihren normalen Leistungen zählen. Die ausländische Kasse muss nicht dafür zahlen, wenn sie die Behandlung in ihrem Land selbst anbietet.
Zieht es Warscheid jedoch in ein Land außerhalb Europas, mit dem Deutschland kein Sozialversicherungsabkommen hat, ist er durch die deutsche Kasse nicht versichert. In diesem Fall kann er die spanische Kasse um Versicherung der Reise bitten. Sonst muss er selber bezahlen.
Nur das deutsche Pflegegeld darf mit
Als Karlheinz Weyerhorst vor zwölf Jahren mit seiner inzwischen verstorbenen Frau nach Spanien zog, haben die beiden schon über die Pflege im Alter nachgedacht. Der 79-jährige Witwer will in Spanien bleiben. Sollte er irgendwann ein Pflegefall werden, erhält er Pflegegeld aus Deutschland. Alles Weitere ist unsicher. Das spanische Pflegesystem steckt in den Kinderschuhen.
Fest steht zurzeit nur: Pflegeleistungen bekommen ausschließlich spanische Staatsangehörige, die dort bereits fünf Jahre gelebt haben. Vorgesehen sind Zuschüsse zu häuslicher, teilstationärer oder stationärer Pflege.
Für Ausländer soll es Sonderregelungen geben, die sich von Region zu Region unterscheiden können. Weyerhorst wird in der für ihn zuständigen Regionalstelle der spanischen Versicherung nachfragen müssen.
Weiter als Spanien ist die Schweiz. Dort haben Deutsche die Wahl zwischen den schweizerischen Leistungen und dem Pflegegeld aus Deutschland. In Frankreich wählen sie zwischen dem deutschen Pflegegeld und der „persönlichen Pflegebeihilfe“ der Franzosen. Das kann eine monatliche Auszahlung sein oder auch eine Teilübernahme von Heimkosten.
In Österreich zahlen Pflegebedürftige die Kosten für einen Heimplatz vom Einkommen und vom Pflegegeld. Erst wenn Beträge offen bleiben, übernimmt der Staat.
Das Pflegegeld aus Deutschland können die Auswanderer in all diese Länder mitnehmen. „Dies gilt unabhängig davon, ob sie zu Hause oder in einer stationären Unterbringung gepflegt werden“, erklärt Ann Marini vom Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen.
Das Geld ist aber nur die Minimalleistung, die in Deutschland für die Pflege durch Angehörige zu Hause gewährt wird. Sehr viel mehr bezahlt die Pflegeversicherung hierzulande für die Pflege durch Profis oder für ein Heim. Diese sogenannten Sachleistungen geben die Auswanderer mit ihrem Umzug auf.
Gibt es in der neuen Heimat kein staatliches Pflegesystem, hat der Versicherte keinen Anspruch auf weitere Leistungen, auch wenn er in Deutschland dafür Pflegebeiträge zahlt. Dieser Umstand wurde im Juli 2009 vom Europäischen Gerichtshof bestätigt.
Rente kommt immer mit
Ihre gesetzliche Rente haben Werner Warscheid und Karlheinz Weyerhorst einfach nach Spanien mitgenommen. Sie mussten ihren Umzug lediglich drei Monate vorher bei der Rentenversicherung anmelden.
Das gleiche gilt für die betriebliche Rente. Einziger Unterschied: Die gesetzliche Rente wird in der neuen Heimat versteuert, die betriebliche in Deutschland.
Beide Männer haben zudem ihre Häuser in Deutschland als Rücklage verkauft. Weyerhorst erhält zusätzlich eine Witwerrente.
Jederzeit wieder zurück
Die Auswanderer können es sich auch jederzeit wieder anders überlegen und in ihre alte Heimat zurückkehren. Sie müssten sich nur bei der Krankenkasse in Spanien abmelden und bei der deutschen Kasse zurückmelden. Und ihre Renten könnten sie auch wieder mitnehmen.
-
- Nach einem Jahr Pause steigen die Beitragsbemessungsgrenzen 2023 wieder. Gutverdienende zahlen rund 50 Euro mehr im Monat für ihre Krankenversicherung.
-
- Entlastungen zum Ausgleich der Inflationsfolgen dürften 2023 für die Menschen spürbarer werden. Für die Sozialversicherungen werden aber viele mehr bezahlen.
-
- Hier erfahren Selbstständige, wie viel Beitrag sie für die gesetzliche Krankenversicherung zahlen müssen und was sie bei Zahlungsproblemen tun können.
Diskutieren Sie mit
Nur registrierte Nutzer können Kommentare verfassen. Bitte melden Sie sich an. Individuelle Fragen richten Sie bitte an den Leserservice.