
Auch nach einem Rückruf haften Unternehmen für Fehler. Selbst dann, wenn sie kein Verschulden trifft. test.de erklärt, welche gesetzlichen Regelungen für Produkthaftung und Produktsicherheit gelten.
Wann Unternehmen Produkte zurückrufen
Ein Fledermauskostüm mit Strangulationsgefahr, ein falsches Mindesthaltbarkeitsdatum auf Makrelenfilets, ein brüchiges Lüfterrad in einem Schwingschleifer: Das sind Rückrufe, über die wir in test und auf test.de berichtet haben.
Rückrufe starten Anbieter, wenn sich in eines oder mehrere ihrer Produkte womöglich gefährliche Fehler eingeschlichen haben. Zum Beispiel vergangenes Jahr bei Ikea: Beschädigte Kabel konnten dazu führen, dass der Fuß von Leuchten des Modells Gothem unter Strom steht. Oder als im März auf Nutella-Gläsern einer Sondergröße der für Allergiker wichtige Hinweis fehlte: „Enthält Haselnüsse und Soja.“
Beispiele für Rückrufe:
Ikea ruft Fledermaus-Cape zurück: Strangulationsgefahr
Rückruf bei Aldi Süd: Falsches Mindesthaltbarkeitsdatum auf Makrelenfilets
Bosch: Rückruf Schwingschleifer
Rückruf Ikea Leuchtenfüße: Gothem unter Strom
Rückruf Nutella: Großes Glas ohne Allergiker-Hinweis
Rückrufe als Reaktion auf unsere Tests
Nicht selten führen unsere Tests zu Rückrufen. So bat Käthe Kruse Kunden, den Plüschdrachen „Kuno“ zurück in die Läden zu bringen oder abholen zu lassen, nachdem wir in seinen Flügeln eine verbotene Chemikalie nachgewiesen hatten. Stellt die betroffene Firma in einem solchen Fall ein neues Produkt oder ein Ersatzprodukt zur Verfügung, muss der Käufer das annehmen. Er kann dann nicht stattdessen vom Kauf zurücktreten und sein Geld zurückverlangen.
Jede Warnung ernstnehmen
Nicht bei jedem Rückruf droht Nutzern eine konkrete Gefahr. Aus Angst vor Imageschäden und Schadenersatzforderungen starten die meisten Hersteller Rückrufe lieber einmal zu viel als einmal zu wenig. Verbraucher sollten trotzdem jede Warnung ernst nehmen. Denn zuweilen bergen verkeimte Lebensmittel und mit Mängeln verkaufte Geräte tödliche Risiken.
Tipp: Weitere Informationen zum Thema Lebensmittelrückrufe finden Sie in unserer Meldung Rückruf von Lebensmitteln: So gehen Unternehmen und Behörden vor.
Im Einzelfall tödliches Risiko
Mehr als 50 Menschen starben 2011 an einer mutmaßlich über Sprossen von Bockshornkleesamen aus Ägypten verbreiteten Infektion durch Ehec-Bakterien. Listerien-Keime aus Fisch und eingelegtem Fisch sowie eine überhöhte Konzentration des natürlichen Gifts Curcurbitacine in Zucchini gelten als Ursache für weitere Todesfälle in den letzten Jahren. In den USA starben bis zu 124 Insassen von Autos, weil fehlerhafte Zündschlösser die Wagen samt Servolenkung und Bremskraftverstärker während der Fahrt unversehens abschalteten.
Null Toleranz laut Gesetz
Kein Produkt darf „bei bestimmungsgemäßer oder vorhersehbarer Verwendung die Sicherheit und Gesundheit von Personen“ gefährden. So steht es im Produktsicherheitsgesetz, ohne jede Einschränkung. Zahlreiche technische Normen, Verordnungen, Richtlinien und Gesetze regeln Details. Von Rechts wegen sind Verbraucher abgesichert. Erleiden sie wegen eines fehlerhaften Produkts einen Schaden, muss der Hersteller sie entschädigen.
Opfer müssen keine Schuld nachweisen
Ein Verschulden müssen Opfer eines Produktfehlers nicht nachweisen. Feststehen muss nur, dass der Fehler zum Schaden geführt hat. Kann der wahre Hersteller nicht ermittelt werden oder hat er seinen Sitz außerhalb der EU, haftet der Importeur oder der Verkäufer. Erkrankt oder verletzt sich ein Verbraucher, stehen ihm voller Ersatz des Schadens und ein angemessenes Schmerzensgeld zu. Sachschäden muss das Opfer bis zur Höhe von 500 Euro aber selbst tragen.
Rückruf befreit Hersteller nicht von der Haftung
Mit einer Rückrufaktion befreit sich der Hersteller nicht von der Haftung. Nur wenn es ihm im Einzelfall gelingt, ein Verschulden des Betroffenen nachzuweisen, kommt er an Schadenersatzforderungen ganz oder teilweise vorbei. Mit einer Produktwarnung verringert das Unternehmen sein Risiko: Steht fest, dass das Opfer den Rückruf kannte, und hat es das Produkt trotz Warnung weiter genutzt, wird es allenfalls für einen Teil seines Schadens Ersatz verlangen können.
Nachweis oft schwierig
Opfer von mit Bakterien oder problematischen Chemikalien verseuchten Produkten bekommen trotz der grundsätzlich verbraucherfreundlichen Rechtslage oft keinen Schadenersatz. Sie müssten nachweisen, dass ihre Erkrankung auf einem Produktfehler beruht, und das ist oft schwierig. So ging ein Junge leer aus, der sich vor fünf Jahren als Neunjähriger mit gefährlichen Ehec-Bakterien infiziert hatte und fast gestorben wäre. Mutmaßliche Infektionsquelle war das von einer Fleischerei gelieferte Schulessen. Drei Mitschüler waren ebenfalls im Krankenhaus gelandet. Dennoch wies das Landgericht Paderborn die Klage ab (Az. 4 O 482/11). Die Fleischerei hatte eine ganze Reihe weiterer Einrichtungen mit dem gleichen Essen beliefert, und dort war niemand erkrankt. Offenbar seien die Bakterien erst nach der Auslieferung ins Essen gekommen, meinten die Richter. Das habe die Fleischerei nicht zu verantworten.
Erkrankungen treten oft erst nach Ablauf der Produkthaftung auf
Nahezu aussichtslos ist der Versuch, durch Asbestfasern, Weichmacher oder ähnliche Stoffe verursachte Erkrankungen einer Ware zuzuordnen und den Hersteller in die Verantwortung zu nehmen. Selbst wenn es gelingt, hilft es Opfern oft nicht. Die Produkthaftung endet spätestens zehn Jahre nach der Lieferung; die Erkrankungen treten oft erst später auf.
Fleißige Lebensmittelüberwacher
Für Sicherheit sollen die Behörden sorgen. Allein die für die Lebensmittelüberwachung im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen zuständigen Kreise und Städte untersuchten 92 386 Proben im Jahr 2014. Von den Proben beanstandeten sie 9 774, darunter 1 005 wegen mikrobiologischer Verunreinigungen und 7 221 wegen Fehlern bei Kennzeichnung und Aufmachung. Werden Gefahren bekannt, zeigen sich die betroffenen Unternehmen in aller Regel einsichtig und rufen die Ware von sich aus zurück, sagt Ulrich Arzberger, Sprecher im baden-württembergischen Verbraucherministerium. Nur selten müssen die Behörden das förmlich anordnen, berichtet er.
Unterlassener Rückruf kann teuer werden
Unterbleibt der Rückruf, kann es für Hersteller teuer werden. Das Amtsgericht Heilbronn verhängte gegen den Discounter Lidl eine Buße von 1,5 Millionen Euro, nachdem das Unternehmen Ende 2010 mit Listerien belasteten Käse nicht schnell genug aus dem Verkehr gezogen hatte.