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Glasstückchen im Fruchtaufstrich, Plastikteile im Schokoriegel, Salmonellen in Eiern und Babynahrung − regelmäßig berichtet die Stiftung Warentest über Rückrufaktionen bei Lebensmitteln. Welche Probleme treten am häufigsten auf? Und wie funktioniert das Warnsystem von Unternehmen und Behörden eigentlich genau? test.de erklärt die Regeln rund um den Rückruf.
Kunststoff im Marsriegel – kleines Teilchen, große Aktion
Es war eine der größten Rücknahmeaktionen der Lebensmittelindustrie in den vergangenen Jahren: Anfang 2016 hatte eine Frau ein Kunststoffteilchen in ihrem Marsriegel entdeckt. Daraufhin rief der Hersteller Mars Chocolate in Deutschland und 54 weiteren Ländern Millionen seiner Süßigkeiten aus dem Handel zurück. Verbraucher, die eine der betroffenen Schokoladen gekauft hatten, konnten sie an das Unternehmen schicken und sollten Ersatz bekommen. Die deutsche Hotline und die Internetseite von Mars Chocolate waren in der Folge tagelang so gut wie nicht erreichbar. Noch Monate später gingen wegen des Rückrufs täglich Anrufe bei Mars ein.
Keime im Sojadrink, Listerien im Käse
In ihrem Ausmaß zwar wohl einzigartig, ist die Rückrufaktion von Mars Chocolate letztlich aber nur eine von vielen. test.de hat in den vergangenen drei Jahren mehr als 50-mal über Lebensmittel berichtet, die aus dem Handel genommen wurden. Mal war ein Allergen nicht exakt auf der Packung benannt, mal fanden sich Scherben im Fruchtaufstrich, gesundheitskritische E-Coli-Bakterien in Tiefkühlpetersilie, Salmonellen in Mandeln oder Listerien in der Wurst. Vor allem wenn es um Schadstoffe und Keime geht, ist es wichtig, die Verbraucher schnell zu warnen. „Falls beispielsweise Listerien in erhöhten Konzentrationen in Lebensmitteln gefunden werden, ist eine schneller Rückruf der Produkte aus dem Handel und vom Verbraucher wichtig, um Erkrankungen zu vermeiden“, sagt Hendrik Wilking vom Robert Koch-Institut.
Gefahr durch Infektionskrankheiten
Listerien beispielsweise können krank machen, sie können eine Listeriose auslösen. Diese Infektionskrankheit kann bei gesunden Menschen zu einer kurzen fieberhaften Durchfallerkrankung führen, die nach zwei bis drei Tagen von selbst wieder zurückgeht. „Bei älteren oder abwehrgeschwächten Patienten kann es zu Blutstrominfektionen und Entzündungen der Hirnhäute oder des Gehirns kommen“, warnt Hendrik Wilking. Schwangere könnten unter Fieber oder grippeähnlichen Beschwerden leiden, in einzelnen Fällen könne es Fehl-, Früh-, oder Totgeburten geben, oder ein Kind komme geschädigt zur Welt. Mehr zu Listerien in der Meldung Listerien in Lebensmitteln; wie sich Hobbyköche beim Zubereiten von Speisen vor weiteren Keimen schützen, lesen Sie in unserem Special Keime in Lebensmitteln.
Hersteller gesetzlich zur Warnung verpflichtet
Häufig sind es die Hersteller selbst, die während einer innerbetrieblichen Kontrolle Keime, Schadstoffe oder Fremdkörper in ihren Produkten entdecken. Manchmal stoßen auch Mitarbeiter der Lebensmittelüberwachung bei unangekündigten Besuchen in Produktionsstätten oder Märkten auf mangelhafte Waren. Selten sind es – wie im Fall der Marsriegel – auch Kunden, die einen verdächtigen Fund melden. Hersteller und Händler sind gesetzlich verpflichtet, Kunden und Ämter über fehlerhafte Produkte zu unterrichten.
Öffentliche Information via Internet, Medien oder Aushang
Die Lebensmittelunternehmer müssen die Rücknahme der gesundheitsgefährdenden Produkte vom Markt selbst veranlassen. Die jeweils zuständigen Behörden in den Bundesländern überwachen die Maßnahmen des Unternehmers. Wenn nicht auszuschließen ist, dass das Produkt bereits beim Kunden im Vorratsschrank steht, müssen mögliche Käufer mittels eines öffentlichen Rückrufs informiert werden – etwa im Radio, in Zeitungen, im Internet oder direkt durch einen Aushang in den Geschäften. Im Sinne des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches (LFGB) ist die Öffentlichkeit zu warnen oder zu informieren, wenn etwa „der hinreichende Verdacht besteht, dass ein Lebensmittel ein Risiko für die Gesundheit von Menschen mit sich bringen kann“ oder „ein zum Verzehr ungeeignetes, insbesondere ekelerregendes Lebensmittel in nicht unerheblicher Menge oder über einen längeren Zeitraum in den Verkehr gelangt (ist)“.
Online-Portal lebensmittelwarnung.de bündelt Produktwarnungen
Seit Oktober 2011 gibt es ein Onlineportal, das solche Informationen von Unternehmen und Behörden aus ganz Deutschland bündelt und so mehr Transparenz schaffen will: die Seite lebensmittelwarnung.de, betrieben vom Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) und den Behörden der Bundesländer. Auf lebensmittelwarnung.de werden die Rückrufe der Unternehmen für die Verbraucher zusammengestellt. Derzeit listet das Portal mehr als 130 Rückrufe auf, die bis Juli 2016 zurückdatieren. Von der Seite entfernt werden die Meldungen in der Regel vier Wochen nach Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums der betroffenen Produkte. Als häufigster Grund für den Rückruf eines Produkts wurden Fremdkörper genannt, gefolgt von Keimen, Schadstoffen und fehlerhaften Deklarationen. Die Gesamtzahl der Rückrufe ist über die Jahre leicht angestiegen.
Auf Kosmetika und Bedarfsgegenstände erweitert
Informierte lebensmittelwarnung.de anfangs nur über Lebensmittel, warnt es seit Februar 2019 auch vor gesundheitsgefährdenden Kosmetika und Bedarfsgegenständen. Zu Letzteren zählen Produkte, die zwar nicht zu den Lebensmitteln gehören, für deren amtliche Überwachung aber dennoch die Lebensmittelbehörden zuständig sind – etwa Kleidung, Schmuck, Spielzeug, Putzmittel und Geschirr. Eine erneute Erweiterung auf andere Produktgruppen ist dem BVL zufolge derzeit nicht vorgesehen. Die auf dem Internetportal veröffentlichten Rückrufe und Ergebnisse amtlicher Kontrollen sind ein Verbraucherservice. Das Portal erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit und Aktualität. Das heißt: Ob, wann und wie die zuständigen Behörden oder die Unternehmen Informationen an lebensmittelwarnung.de weitergeben, ist ihre Sache. Das BVL gibt dazu keine Standards vor. Es hängt also oft auch von den Unternehmen ab, wie schnell und gründlich sie die Öffentlichkeit über einen Rückruf in Kenntnis setzen. Die Landesbehörden stellen Rückrufmeldungen und andere Infos – auch die von Herstellern und Händlern – auch auf ihren eigenen Internetseiten online.
Kritik von Verbraucherschützern
Die Verbraucherzentrale Hamburg (vzhh) hält lebensmittelwarnung.de für eine sehr gute Einrichtung. Die Abteilungsleiterin Ernährung und Lebensmittel der vzhh, Silke Schwartau, fordert aber: „Die Warnungen müssen vor der Veröffentlichung auf lebensmittelwarnung.de von einem verantwortlichen Experten auf ihre fachliche Richtigkeit und eine verständliche und einheitliche Darstellung hin geprüft werden.“ Das BVL solle dafür eine zentrale Stelle einrichten. Keinesfalls dürften Meldungen von Firmen unkontrolliert auf das Portal gestellt werden. Schwartau sieht auch den Handel in der Pflicht, Produktwarnungen über alle Kanäle zu veröffentlichen und dabei ein einheitliches, leicht wiedererkennbares Design zu nutzen. „Eine solche Warnung sollte direkt am Eingang eines Marktes sowie am Regal angebracht sein und auch im Prospekt und auf der Internetseite des Händlers auftauchen.“ Die Verbraucherzentrale Hamburg hatte vor einigen Jahren 50 Warntexte auf dem Portal ausgewertet. Lediglich in zehn seien die Risiken gut beschrieben worden, so die damalige Kritik.
Überarbeitung des Rückruf-Portals geplant
Die zentrale Zusammenstellung von Rückrufen auf lebensmittelwarnung.de habe bereits dazu beigetragen, die Qualität der Rückrufschreiben zu vereinheitlichen, so die Einschätzung des BVL. Der Koalitionsvertrag sehe zudem die Überarbeitung des Portals vor, es soll verbraucherfreundlicher werden. Das Bundesamt steht hierzu unter anderem mit den Bundesländern in Austausch.
Sorge um Sicherheit von Kosmetika
Der Verbrauchermonitor des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) von Anfang 2019 macht die zentrale Rolle deutlich, die die Menschen hierzulande Institutionen wie dem BVL beimessen, wenn es um gesundheitlichen Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit geht: Die jüngste Befragung von mehr als 1 000 Deutschen ergab, dass sich etliche Verbraucher von staatlicher Seite die Bereitstellung objektiver und verlässlicher Informationen wünschen. Dabei hält ein Großteil die in Deutschland angebotenen Lebensmittel grundsätzlich für sicher. Die Sicherheit von Textilien, Spielzeug und Kosmetika sehen jedoch mehr Befragte skeptisch. Auf lebensmittelwarnung.de finden sich bislang verhältnismäßig wenige Produkte aus diesen Gruppen. Lediglich zu drei kosmetischen Mitteln und 17 Bedarfsgegenständen hat das Portal seit Februar 2019 Warnungen veröffentlicht, gut 100 waren es hingegen im gleichen Zeitraum zu Lebensmitteln.
Stichprobenartige Nachkontrollen
Was passiert nach der Veröffentlichung eines Rückrufes? Um sicherzugehen, dass der Bekanntmachung auch Taten folgen, kontrollieren die zuständigen Behörden stichprobenartig, ob die Waren tatsächlich aus dem Verkehr gezogen wurden. Ist das nicht der Fall, drohen Herstellern und Händlern Bußgelder. Einen festgelegten Bußgeldkatalog gibt es nicht, das Gesetz erlaubt Flexibilität. Die Forderungen können aber in Einzelfällen saftig sein. Und wo landen die zurückgezogenen Lebensmittel? Auch dafür gibt es keine konkreten Vorgaben. Mars Chocolate hat nach eigenen Angaben die von den Konsumenten zugeschickten Süßigkeiten zu Biogas verarbeitet. Da bekommt der einstige Werbeslogan des Konzerns, „Mars bringt verbrauchte Energie sofort zurück“, eine ganz neue Bedeutung.
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Dieses Special ist erstmals am 5. Mai 2016 auf test.de erschienen. Es wurde seitdem mehrfach aktualisiert, zuletzt am 3. September 2019.
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In einem Glas Rotwurst aus einer großen Fleischfabrik in Norddeutschland fand ich ein fingernagelgroßes Stück Metall, wohl möglich von einem Messer.
Weil es sich nicht um Endstück eines Messer handeln konnte, habe ich alles versucht andere Konsumenten vor Schaden zu schützen.
Die betriebliche Qualitätssicherung versagte am Anfang vollständig und ich habe über Verbraucherschutz und verschiedene Gesundheitsämter einen erneuten Kontakt mit der betrieblichen Qualitätssicherung erhalten und die Aufforderung der Aufsichtsbehörde bekommen der innerbetrieblichen Abteilung den Fremdkörper zur Verfügung zu stellen.
Für mich war das sehr befremdlich und hatte mich gefragt, ob ich mir den TÜV - Stempel, ohne Besuch der Institution, selber auf´s Nummernschild kleben darf.
Nach insgesamt gut zwei Wochen kam dann die Nachricht der Firma, dass sie keine Gefährdung von Kunden sehen, sie hätten alles geprüft. Für mich alles sehr enttäuschend und ich fragte mich wie es mit dem Verbraucherschutz ste
Der 12. Februar 2019 war für mich eine "schwarzer Tag". Meine Frau hatte bei einem Großbäckerei-Filialisten in der Filiale Ruppichteroth ein dunkles Kornbrot gekauft. Nur aß davon am Abend zwei Scheiben und am nächsten Morgen ebenfalls 2 Scheiben. Das Essen am Mittag und am Abend war ebenfalls überschaubar. In der Nacht kam es zu staken Bauchschmerzen, die auch den gesamten Tag anhielten. Am nächsten Tag brachte mich meine Frau zur Ärztin. Da weder mit dem Ultraschall was auszumachen war, noch Geräusche im Bauchraum zu hören waren, wurde ich als Notfall ins Krankenhaus überwiesen. Eine Not-OP brachte die Ursache zum Vorschein, ein Holzsplitter hatte den Dünndarm durchbohrt. 30 cm Darm weg. Eine Entschuldigung gab es nicht vom Großbäcker, ein Schmerzensgeld erst recht nicht. Nicht alles, was verdorben ist oder ungenießbar wird auch öffentlich.
Vielleicht vorher mal die Infos auf Aktualität prüfen. Der WKD war einmal eine Einrichtung in Baden-Württemberg. In anderen Bundesländern gab es diese Behörde mit diesem Namen gar nicht. Und selbst in BW ist die Behörde abgeschafft:
https://de.wikipedia.org/wiki/Wirtschaftskontrolldienst
@Akira-san: Wenn Sie ein Lebensmittel beanstanden, sollten sie sich mit Ihrer Reklamation zuerst an den Händler, bei dem Sie das Lebensmittel gekauft haben, oder direkt an den Hersteller wenden.
Schwere Mängel können dem Lebensmittelüberwachungsamt gemeldet werden. Über das zuständige Amt geben die örtliche Stadtverwaltung, beziehungsweise das örtliche Landratsamt Auskunft.
Rückrufe werden vom Hersteller veranlasst oder von den Lebensmittelüberwachungsbehörden der Länder, die einen Rückruf bzw. eine Rücknahme anordnen können.
Geht es um Täuschungen in der Kennzeichnung und Aufmachung von Lebensmitteln, so können sich Verbraucher an das Internetportal www.lebensmittelklarheit.de der Verbraucherzentralen wenden. Die eingehenden Vorwürfe werden geprüft und den Lebensmittelanbietern Gelegenheit zur Stellungnahme geben. Die Antworten der Hersteller werden dann im Internet veröffentlicht. Dieses Internetportal wird im Rahmen der Initiative "Klarheit und Wahrheit" des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft gefördert. (bp)
Hallo Akira-san,
Zuerst würde ich die mangelhaften Lebensmittel bei der Polizei melden,welche
die Information dann an den WKD (Wirtschaftskontrolldienst),.welcher auch
unter dem Dach der Polizei arbeitet,- weitergibt. Vom WKD aus werden dann die weiteren Schritte eingeleitet.-Hersteller verständigt,Aufruf in Funk und Fernsehen eingeleitet.-
So würde ich das machen,aber vielleicht macht Ihnen die STIWA einen anderen Vorschlag.
Viele Grüße: BÄRENHOF32