
Babynahrung. Krankmachende Cronobacter-Bakterien in einem Milchpulver entdeckte der Hersteller Milupa im Juli 2012.
Metallteilchen in Pizza, Keime in Babynahrung – immer wieder rufen Hersteller Produkte zurück. Doch das Warnsystem hat Schwächen.
Zwei Kunden machten den Lebensmittelhersteller Wagner auf eine gefährliche Zutat aufmerksam: auf Metallteilchen in der Pizza. Eilig rief das Unternehmen kurz vor Weihnachten rund neun Millionen Tiefkühlpizzen aus dem Handel zurück. Bis zu zwei Zentimeter lange Kabelteile einer Mehltransportmaschine waren während der Produktion in den Teig gelangt. Wagner informierte die Medien. Die Rückrufmeldung sollte Pizzaesser in ganz Deutschland erreichen.
Am Abend war sie auch auf der Internetseite „Lebensmittelwarnung.de“ zu lesen. Seit Oktober 2011 betreibt das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) das Onlineportal. 128 Warenrückrufe hat es bis Anfang Januar dieses Jahres veröffentlicht. Bis zu 5 500 Mal am Tag werde die Seite inzwischen aufgerufen, sagt Nina Banspach, Sprecherin des BVL. „Mehr als drei Millionen Klicks haben wir im ersten Jahr des Bestehens gezählt.“
Dass an Rückrufen großes Interesse besteht, zeigt sich auch auf der Internetseite der Stiftung Warentest. Auf www.test.de veröffentlichen wir solche Warnungen regelmäßig. Gut 19 100 Leser informierten sich so etwa über einen Bergkäse, den Aldi (Nord und Süd) aus dem Verkauf nahm. Er war von Listerien befallen. 19 700 Interessierte riefen unsere Meldung zu verkeimten Oliven- und Tomatencremes eines französischen Herstellers auf.
Internetseite bündelt Rückrufe
Laut Gesetz ist es Sache der für Verbraucherschutz und Lebensmittelkontrollen zuständigen Behörden der Bundesländer, die Öffentlichkeit vor gesundheitsgefährdenden Lebensmitteln zu warnen. Doch auch die Hersteller und Händler selbst sind nach einer EU-Verordnung verpflichtet, Kunden und Behörden so schnell wie möglich zu informieren, wenn sie von Mängeln bei einem Lebensmittel erfahren. Dass sie Produkte tatsächlich aus dem Verkauf nehmen, kontrollieren die Behörden stichprobenartig. Im Zweifelsfall drohen Herstellern und Händlern Bußgelder, wenn sie sich nicht an die Vorgaben halten.
„Lebensmittelwarnung.de“ bündelt dabei erstmals Rückrufe aus allen 16 Bundesländern. Meist sind es Fleisch, Eier und Milch sowie Erzeugnisse daraus wie Wurst und Käse, vor denen über die Plattform gewarnt wurde. „Der häufigste Grund waren mikrobiologische Verunreinigungen“, sagt Nina Banspach. Dazu zählen etwa Salmonellen in gemahlenen Nüssen. Aber auch Belastungen mit Dioxinen und polychlorierten Biphenylen – chemische Verbindungen, die giftig und zum Teil krebserregend sind – waren Ursachen für Rückrufaktionen, genau wie gefährliche Verpackungsfehler, etwa Glassplitter in Konserven, oder Kennzeichnungsmängel. In einer Käsecreme wurden beispielsweise Senf und Sellerie verarbeitet, in der Zutatenliste stand davon aber nichts – das ist schlecht für Allergiker. Grenzwertüberschreitungen, unzulässige Inhaltsstoffe und Fremdkörper wie Metall in der Pizza kamen dagegen nicht oft vor.
Praktisch, aber nicht perfekt
Selten stoßen erst die Kunden auf Zutaten wie die Kabelteilchen in der Pizza und wenden sich deshalb an den Hersteller. Weitaus häufiger sind es Routineuntersuchungen der Kontrollbehörden oder Lebensmittelunternehmen selbst, die zu Rückrufaktionen führen. (Lesen Sie hierzu auch „Lebensmittelkontrolle: Arbeitsalltag eines Kontrolleurs“ aus test 6/2012.) Bereits der begründete Verdacht, dass ein Produkt Menschen schaden, sie krankmachen oder verletzen könnte, reicht aus. Gut für den Kunden: Mit „Lebensmittelwarnung.de“ gibt es nun eine zentrale Plattform für die Rückrufe der Unternehmen und Behörden. Hinweise von Herstellern zu finden, ist so einfacher geworden, die Warnungen erreichen eine breitere Öffentlichkeit. Perfekt ist das System aber auch damit noch nicht.
Gesetze lassen Spielraum
Denn: „Ob und wie die Behörden im Einzelfall informieren, bleibt ihre Entscheidung“, sagt Nina Banspach. Zu Inhalt oder Form der Warnung gibt das BVL keine Standards vor. So fällt die Qualität der Warnungen äußerst unterschiedlich aus – sowohl auf der Seite „Lebensmittelwarnung.de“, als auch bei Herstellern und Händlern.
Vor Rückständen des Wirkstoffs Malachitgrün in Tiefkühl-Regenbogenforellen warnte beispielsweise Rewe. Was die Verbraucher weder auf der BVL-Seite noch auf der Rewe-Webseite erfuhren: Es handelt sich dabei um ein bei der Herstellung tierischer Lebensmittel verbotenes Arzneimittel gegen Parasiten, Pilzbefall und bakterielle Infektionen. Laut Bundesinstitut für Risikobewertung steht es im Verdacht, das Erbgut zu schädigen und Krebs auszulösen.
Deutlich ausführlicher informierte hingegen der niedersächsische Backwarenhersteller Aerzner: Er hatte mit Hepatitis-A-Viren befallene Erdbeeren in Tiefkühldesserts verarbeitet. Nach einem Produktfoto und einer ersten Warnmeldung veröffentlichte der Anbieter auf seinen Internetseiten sogar aktualisierte Labortestergebnisse und beschrieb mögliche Symptome einer Hepatitis-A-Infektion.
Bei Recherchen für aktuelle Rückrufmeldungen auf www.test.de stellen auch die Redakteure der Stiftung Warentest immer wieder fest, dass Unternehmen auch auf konkrete Nachfrage meist nur wenige Angaben zu zurückgerufenen Produkten machen. Dabei betrachtet die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE) ein gutes Qualitäts- und Krisenmanagement als äußerst wichtig. Sie bietet Lebensmittelherstellern unter anderem regelmäßig Seminare zum Umgang mit Krisensituationen und Warenrückrufen an.
Auf Aktualität kommt es an
Zur verbraucherfreundlichen Reaktion in solchen Krisensituationen gehört es natürlich auch, die Kunden so schnell wie möglich zu informieren. Auch hier gibt es Unterschiede: Während es bei der Pizza nur ein paar Stunden dauerte, bis die Rückrufmeldung von Wagner auf der Internetseite des BVL erschien, sind bei anderen Produkten Tage, im Einzelfall Wochen vergangen. Für die Aktualität der Seite sieht sich das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit nicht verantwortlich. Die Landesbehörden stellen ihre Informationen oder das, was ihnen Hersteller und Händler melden, selbst online.
Lebensmittel nicht generell unsicher
Im Sinne des vorbeugenden Verbraucherschutzes werden meist ganze Produktchargen aus dem Verkauf genommen, oft mit einem bestimmten Mindesthaltbarkeitsdatum. Das ist eine Vorsichtsmaßnahme, denn jede Packung einer Charge ist in der Regel nicht betroffen.
Dass es immer wieder Rückrufe gibt, heißt auch nicht, dass es um den deutschen Lebensmittelmarkt schlecht bestellt ist. Das zeigen unter anderem auch unsere eigenen Tests von Speisen und Getränken: So haben Keime in den vergangenen Jahren immer seltener ein Problem dargestellt. Seit 2007 haben 83 Prozent der Biolebensmittel und 88 Prozent der konventionellen in der mikrobiologischen Qualität mindestens gut abgeschnitten. Tendenziell sinkt auch die Pestizidbelastung.
Testergebnisse der Stiftung Warentest haben aber schon zu Verkaufsstopps geführt: Im Frühjahr 2011 etwa wiesen wir in Bio-Spiralnudeln der Marken enerBio von Rossmann und Alnatura deutlich erhöhte Konzentrationen eines Schimmelpilzgiftes nach. Vor Veröffentlichung der Ergebnisse informierten wir die Hersteller. Rossmann nahm die betroffenen Nudeln sofort aus dem Handel, machte dies öffentlich. Alnatura reagierte zögerlicher. Vereinzelt verkaufte der Anbieter die belasteten Chargen zunächst weiter. Erst nach eigenen Untersuchungen nahm er restliche Packungen still aus den Regalen (siehe Test von Spiralnudeln aus test 4/2011).
Das Portal soll weiter wachsen
In diesem Jahr will das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit das Onlineportal „Lebensmittelwarnung.de“ erweitern: Auch Meldungen über gesundheitsgefährdende Kosmetika, Spielzeuge oder Reinigungsmittel sollen dort erscheinen. Außerdem wird es endlich einen Newsletter für Verbraucher geben. Wer sich anmeldet, erfährt per Mail, wenn mit Pizza oder Käse etwas nicht stimmt.
Was Hygienemängel in Lebensmittelbetrieben angeht, ist es weiter schwierig, Informationen zu erhalten. Aufsehen erregte der Fall der Bayerischen Großbäckerei Müller-Brot. Mehrfach entdeckten Kontrolleure dort Ungeziefer, schließen musste sie erst nach zweieinhalb Jahren. Kunden blieben lange unwissend. Zwar gilt seit dem 1. September das neue Verbraucherinformationsgesetz. Danach müssen Verbraucher aber selbst nachfragen. Und erst wenn einem Unternehmen aufgrund eines Verstoßes ein Bußgeld von mindestens 350 Euro droht, muss die Landesbehörde aktiv den Namen veröffentlichen – eine Informationsplattform wie etwa „Lebensmittelwarnung.de“ gibt es dafür aber nicht.