
Container. Solche Metallboxen bot die Firma P&R Anlegern als Investment an. © Getty Images
Nach der Pleite einer Anlagefirma verlangen Insolvenzverwalter oft Ausschüttungen zurück, die Anleger erhalten haben. Das dürfen sie nicht immer, wie der Fall P&R zeigt.
Klage des Insolvenzverwalters von P&R abgewiesen
Die erlösende Botschaft kam im März 2023. : Gert Schuster*, Anlagenbauer und Familienvater, darf sein Geld aus einem Investment in Container der insolventen Vertriebsgesellschaft P&R endgültig behalten. 33 518 Euro wollte P&R-Insolvenzverwalter Michael Jaffé von ihm zurückhaben. Ohne Erfolg. Erst hatte das Oberlandesgericht Karlsruhe Jaffés Klage im Januar 2022 abgewiesen. Mit Beschluss vom 26. Januar 2023 hat auch der Bundesgerichtshof Schuster sämtliche Zahlungen zugesprochen, die der Privatanleger noch kurz vor der Insolvenz von dem Container-Vertrieb erhalten hatte (Az. IX ZR 17/22). „Alles andere hätte mich auch sehr gewundert“, meint Schuster. Er ist einer von mehr als 50 000 Anlegenden, die bei P&R rund 3,5 Milliarden Euro investiert hatten, bevor der Containeranbieter im Jahr 2018 pleiteging. Die Laufzeit von Schusters Investment hatte nur wenige Wochen vor der Insolvenz geendet. „Glück gehabt“, dachte Schuster, er hatte alle Zahlungen vertragsgemäß erhalten.
Unser Rat
Investment. Meiden Sie Geldanlageprodukte wie Genussscheine, Stille Beteiligungen, Nachrangdarlehen oder Alternative Investmentfonds (AIF), bei denen Ausschüttungen gewinnabhängig sind oder das eingesetzte Kapital mithaftet. Bei solchen Investments können Insolvenzverwalter Zahlungen aus dem Investment anfechten und Nachforderungen stellen (Art des Investments entscheidend für Risiko der Rückforderung).
Verwalterschreiben. Fordert Sie der Insolvenzverwalter Ihrer Anlagefirma zu Rückzahlungen von Ausschüttungen oder Gewinnen auf? Wenden Sie sich an einen Fachanwalt für Kapitalanlagerecht. Dieser prüft, ob die Forderungen berechtigt sind. Für eine Erstberatung darf der Anwalt maximal 250 Euro in Rechnung stellen.
Zehntausende P&R-Anleger können aufatmen
Doch dann führte Insolvenzverwalter Michael Jaffé mehrere Pilotklagen gegen Anleger wie Schuster und ließ gerichtlich prüfen, ob Auszahlungen von P&R an sie rechtmäßig waren. Schusters Fall ist der erste, der vom BGH entschieden wurde. Dabei ist die Begründung des obersten Gerichts so ausführlich, dass die Insolvenzverwaltung sie auch in ihrer Pressemitteilung zu dem BGH-Beschluss als „Leitlinie“ ansieht, „wie vergleichbare Fälle zu behandeln sind“. Damit können jetzt zehntausende P&R-Anleger aufatmen. Sie hätten zusätzlich zu den rund drei Milliarden Euro, um die sie noch bangen, noch schätzungsweise zwei bis drei Milliarden Euro an den Insolvenzverwalter zurückbezahlen müssen.
Zahlungen bis vier Jahre vor der Insolvenz anfechtbar
Immer wieder erleben Sparende nach der Pleite ihrer Anlagefirma einen zweifachen Schock: Erst geht ihr Investmentobjekt in die Insolvenz, dann verlangt der Verwalter auch noch bereits ausgezahlte Ausschüttungen oder gar den Einsatz zurück. Die Verwalter fechten Auszahlungen an die Privatinvestoren gerichtlich an. Solche Verfahren laufen derzeit auch bei der insolventen Fubus-Gruppe, der Immobiliengesellschaft Eventus eG oder dem Datenspeicheranbieter EN Storage. Der Gedanke dabei: Das Geld soll allen Gläubigern zur Verfügung stehen, niemand hätte kurz vor der Insolvenz noch bevorzugt werden dürfen. Anfechtbar sind laut Insolvenzordnung Zahlungen bis vier Jahre vor der Insolvenz. Bei langjährigen geschlossenen Fonds wie Schiffsfonds können Verwalter die privaten Kapitalgeber sogar noch Jahrzehnte nach einer Ausschüttung belangen, um mit dem Geld dieser Kommanditisten Kredite der Banken zurückzuzahlen.
Auf die Art der Geldanlage kommt es an
Zum Streit kommt es häufig bei Genussrechten, Nachrangdarlehen, Stillen Beteiligungen oder Direktinvestments im staatlich nicht genügend überwachten Grauen Kapitalmarkt. Dabei gilt: Je mehr ein Investment einer Beteiligung mit Eigenkapitalcharakter ähnelt, umso wahrscheinlicher ist, dass der Insolvenzverwalter bereits Ausgezahltes zurückverlangen darf. Im Fall Wirecard lässt der Insolvenzverwalter sogar prüfen, ob die Aktionäre Dividenden zurückzahlen müssen (Risiko Dividendenrückforderung). Waren dagegen feste Laufzeiten – wie bei einer Anleihe oder einem Darlehen – gewinnunabhängige Zinsen und feste Rückzahlungen vereinbart, ist der Anleger auf der sicheren Seite. Zahlungen aus Finanzprodukten mit Fremdkapitalcharakter dürfen Insolvenzverwalter nicht antasten.
Oft ist unklar, in welche Kategorie Angebote fallen
Doch häufig passen Angebote des Grauen Kapitalmarkts auf den ersten Blick in keine Kategorie. Auch bei den Direktinvestments von P&R gab es Zweifel. Die Anleger kauften über P&R die Container und verleasten sie, ohne sie je zu Gesicht zu bekommen, sofort an P&R. Dafür erhielten sie vertraglich fest vereinbarte Leasingraten als Zins. Nach Ablauf des Vertrags bekamen die Zeichner ihr Geld mit Abschlag wieder, der gebrauchte Container ging zum fest vereinbarten Preis wieder in das Eigentum von P&R über. Der Haken dabei: Über Jahre war das Geschäft mit Containern so schleppend gelaufen, dass P&R die Ansprüche von Altanlegern aus frischem Anlegergeld bezahlt hat. Schuster hatte vielleicht gar keine Container besessen und damit auch nicht verleast. Damit habe es keine echte Gegenleistung für die Zahlungen von P&R an Schuster gegeben, so begründete der Verwalter seine Klage. Sein Vertrag sei vielmehr ein anfechtbares Scheingeschäft gewesen.
Für Oberlandesgericht ist Kaufvertrag mit P&R entscheidend
Doch das Oberlandesgericht Karlsruhe stellte auf den Kaufvertrag ab (Az. 3 U 18/20). Dieser sei unabhängig von der Containerübertragung zustande gekommen, mit festen Leasingraten und einem festen Rücknahmeangebot für den Container. Der vereinbarte Garantiemietzins nach Kaufvertrag sei „einer fest gewährten Darlehensverzinsung vergleichbar“, so das Gericht. Auch habe es Container im Bestand von P&R gegeben. Der Insolvenzverwalter müsse erst beweisen, dass keine davon Schuster gehörten.
Bislang günstige Urteile für Anleger
Sowohl der Zins von 4,82 Prozent als auch der Rückgabepreis seien angemessen gewesen. Die Oberlandesgerichte Stuttgart, München und Hamm haben ebenfalls überwiegend im Sinne der Anlegenden entschieden. Verwalter Jaffé aber wollte Klarheit von oberster Instanz und hat mehrere Fälle vor den Bundesgerichtshof gebracht. Der BGH hat im ersten Fall Schuster seinen Beschluss ungewöhnlich ausführlich begründet. Schusters Anwalt Alexander Pfisterer-Junkert von der Kanzlei Fischer Kühne ist überzeugt, dass für viele gleich gelagerte Fälle bei P&R nun Klarheit geschaffen worden sei.
Auf das Kleingedruckte kommt es an
Zittern müssen ebenso Anleger des insolventen Anbieters von stillen Beteiligungen der „Erste Oderfelder Beteiligungsgesellschaft“. Unter Namen wie „Lombard Classic“ oder „Lombard Plus“ hatte das Unternehmen für das Hamburger Pfandleihhaus Lombardium bei über 3 000 Privatinvestoren 120 Millionen Euro eingesammelt. „Ganz was Tolles, und sicher wie ein Sparbuch“ sei das, habe ihm der Vermittler gesagt, erzählt Anleger Bernd Kulow*, „das können Sie ruhig zeichnen.“ 2011 investierte der heute 72-Jährige 10 000 Euro. Das Kleingedruckte habe er bei Zeichnung wegen seiner schlechten Augen ohnehin nicht richtig lesen können.
Insolvenzverwalter korrigiert die Bilanzen
Von wegen Sparbuch – er hatte mit seiner Unterschrift eine Stille Beteiligung gezeichnet. Das heißt: Schreibt das Unternehmen Verluste, gibt es keine Ausschüttungen und die Verluste schmälern gar die Einlage des Anlegers. Die „Erste Oderfelder“ gaukelte den Investoren vor, mit ihrem Geld werde die Beleihung von wertvollen Gemälden, Schmuck oder Uhren finanziert. Doch diese, seit 2016 insolvent, hatte das Geld zum Teil zweckentfremdet oder die Pfandgegenstände waren wertlos. Insolvenzverwalter Rüdiger Scheffler will von Kulow jetzt 8 600 Euro zurückhaben. Darin enthalten sind 816 Euro Ausschüttungen und 7 784 Euro aus seiner Einlage. Nachträglich hatte der Insolvenzverwalter alle Jahresabschlüsse korrigieren lassen. Demnach gab es ab 2013 nur Verluste.
Welcher Jahresabschluss ist maßgeblich?
Doch einige Gerichte lassen auch in diesem Fall betroffene Anlegerinnen und Anleger hoffen. Das Landgericht Stuttgart etwa beruft sich in einem Beschluss von Januar 2022 auf den „Lombard Classic“-Vertrag, den auch Kulow zeichnete. Danach war für die Ausschüttungen der zu dem Zeitpunkt festgestellte Jahresabschluss maßgeblich – unabhängig davon, ob die Unternehmenszahlen nun korrekt waren oder nicht. Es spiele, so der Spruch, keine Rolle, dass sich die positiven Jahresergebnisse im Nachhinein als falsch herausstellten. „Wie höhere Instanzen das sehen, ist allerdings noch völlig offen“, warnt Anwalt Axel Rathgeber von der Münchener Kanzlei Mattil, der Kulow vertritt.
Bei fester Zinsvereinbarung dürfen Anleger Geld behalten
Wie rasch die Chancen schwinden können, erfahren derzeit Genussrechtsinhaber des 2014 insolvent gegangenen Aufkäufers von Lebensversicherungen Future Business (Fubus) und seiner Töchter Infinus und Prosavus. 25 000 Fubus-Anleger verloren mit der Pleite 700 Millionen Euro. Die Mehrzahl hatte Glück im Unglück: Sie hatten überwiegend Orderschuldverschreibungen mit festen Zinsen und Laufzeiten gezeichnet, also Produkte mit Anleihecharakter. Hier war klar, dass Anleger alles Geld behalten durften, das schon geflossen war.
Pech mit Genussrechten der Fubus-Gruppe
Doch mehrere Tausend Zeichnende von Genussrechten hatten Pech. Ähnlich wie bei stillen Beteiligungen sind auch bei diesen Papieren Ausschüttungen nicht fest vereinbart, sondern sie hängen vom Jahresergebnis ab. Der Insolvenzverwalter verklagte rund 2 900 Anlegende auf Rückgabe aller Ausschüttungen. Und das, obwohl Wirtschaftsprüfer der Fubus-Gruppe über Jahre Gewinne attestiert hatten. Mit Hinweis auf diese Testate erstritt die auf Gesellschaftsrecht spezialisierte Kanzlei Flick Gocke Schaumburg aus Bonn, die rund 400 Anleger vertritt, zunächst bei fünf Oberlandesgerichten positive Urteile.
Bundesgerichtshof dämpft Hoffnungen der Geschädigten
Aber dann sah der Bundesgerichtshof (BGH) die Sache ganz anders. Er verwies einen Fall an das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz mit dem Argument zurück, dass die wahre wirtschaftliche Lage von Prosavus defizitär war und die Jahresabschlüsse fehlerhaft waren (BGH, Az. IX ZR 26/20). Gebrauchte Versicherungen, Provisionsforderungen, Goldbestände – alles war trotz Wirtschaftsprüfertestat in den Bilanzen zu hoch bewertet. Wenn der Geschäftsführer von den geschönten Jahreszahlen wusste und ihm damit klar war, dass es für die Ausschüttungen keine Grundlage gab, müssen die Anlegerinnen und Anleger sie an den Verwalter zurückzahlen, urteilte der BGH. Das OLG Koblenz prüft den Fall nun erneut.
Selbst Juristen tun sich mit den hochkomplexen Fällen schwer
Was wusste das Management? Waren die Jahresabschlüsse korrekt und was genau stand in den Verträgen? Selbst Juristen tun sich häufig schwer. „Die Fälle sind meist hochkomplex“, sagt Anwalt Andreas Heinrich. Er rät, sich auf keinen Fall von bedrohlichen, seitenlangen Schreiben des Insolvenzverwalters einschüchtern zu lassen, sondern erst einmal Rat einzuholen.
Rückforderungen bei geschlossenen Fonds lange möglich
Schlechte Karten haben meist Zeichner Alternativer Investmentfonds (AIF – früher geschlossene Fonds). Die Zeichner sind Kommanditisten, ihre Einlage hat reinen Eigenkapitalcharakter. Seit den 1990er-Jahren haben Hunderttausende Anleger allein etwa 30 Milliarden Euro in Schiffsfonds gesteckt, oft auch aus steuerlichen Gründen. Besonders nach der Finanzkrise 2007 gingen viele Schiffsfonds pleite. Insolvenzverwalter dürfen laut Handelsgesetzbuch (HGB) sämtliche Ausschüttungen seit Fondszeichnung zurückverlangen, die nicht auf echten Gewinnen beruhten.
Insolvenzverwalter darf aussuchen, wen er anschreibt
Installateur Bernd Mosbach* etwa hat um die Jahrtausendwende mehrere Schiffsfonds gezeichnet. Einige liefen gut, andere sind in Schieflage geraten. Doch nur beim Containerschiff „Stadt Köln“, dem Rendite-Fonds 63 von König & Cie., gab es Nachforderungen. 25 000 Euro hatte Mosbach einbezahlt. Nun verlangt Insolvenzverwalter Tjark Thies noch weitere 4 500 Euro. „Dem Verwalter steht frei, wen er anschreibt“, erläutert Mosbachs Anwalt Ralph Veil von der Münchener Kanzlei Mattil. Er darf nur nicht mehr Geld zurückfordern, als Bankschulden offen sind. Mal bittet ein Verwalter Kommanditisten, die hohe Summen investiert haben, zuerst zur Kasse, mal beschränkt er sich auf Investoren einer Region. Die anderen kommen ungeschoren davon.
Rechtssprechung bei Schiffsfonds weniger anlegerfreundlich
Die Rechtsprechung habe sich bei Schiffsfonds seit etwa zwei Jahren zu Ungunsten der Anlegenden geändert, räumt Veil ein. Doch in etwa 20 Prozent der Fälle könne er die Zahlungsforderung abwehren oder sehr gute Vergleiche erzielen. Bei Mosbach könnte der Verwalter mit seiner Forderung zu spät gekommen sein: Verwalter dürfen bei geschlossenen Fonds zwar zeitlich weit zurückgelegene Ausschüttungen zurückfordern, sie selbst müssen ihre Forderungen ab Eintritt der Insolvenz jedoch innerhalb bestimmter Fristen stellen. Das Amtsgericht Hamburg-Altona sieht Mosbachs Fall daher als verjährt an. Jetzt geht es in die nächste Instanz. Mosbach bangt weiter: „Es langt ja schon, wenn 25 000 Euro weg sind. Da möchte man nicht auch noch Ausschüttungen zurückzahlen.“
Verweis auf Entreicherung kann letzter Ausweg sein
Letzter Ausweg für einige Anlegende: Haben sie ihre Ausschüttung bereits unwiederbringlich ausgegeben, etwa für eine Kreuzfahrt, die sie sich sonst nicht hätten leisten können, oder die Ausschüttung gleich wieder in ein gestrandetes Investment gesteckt, müssen sie nichts zurückzahlen. Laut Bürgerlichem Gesetzbuch sind sie „entreichert“, sprich, das Geld ist weg und kann deshalb auch nicht zurückgezahlt werden.
*Name von der Redaktion geändert
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