Rentenreform Wer profitiert und wer handeln muss

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Kinder­erziehung und ein langes Arbeits­leben zählen künftig mehr für die Rente. Mehr als 9 Millionen Mütter und hundert­tausende Männer profitieren davon.

Rentenreform - Wer profitiert und wer handeln muss

Fünf Mütter an einem Tisch. Nur zwei von ihnen haben einen Anspruch auf eine eigene Rente: Bärbel Münker (2. von links) und Angelika Tiburtius-Agbor (rechts). Jutta Schneider, Kunigunde Schild und Irmgard Schauzu haben zwar Kinder erzogen, aber das allein reicht bei ihnen nicht für die neue Mütterrente.

Mütter sind sie alle – die fünf Freundinnen zwischen 65 und 76 Jahren. Doch Anspruch auf die neue Mütterrente, die im Juli einge­führt werden soll, haben nur zwei der boden­ständig-resoluten Frauen aus Kreuztal im Sieger­land: Angelika Tiburtius-Agbor und Bärbel Münker.

Beide Frauen haben Kinder, beide haben sozial­versicherungs­pflichtig gearbeitet und Beiträge in die gesetzliche Renten­versicherung gezahlt. Deshalb bekommen beide eine eigene Rente, die ab Juli spür­bar steigen wird, weil Kinder­erziehungs­zeit dann mehr für die Rente zählt. Münker zum Beispiel wird künftig für ihre zwei Kinder 57 Euro mehr Rente im Monat bekommen.

Mütterrente und Rente mit 63

Bärbel Münker und Angelika Tiburtius-Agbor sind zwei von rund 9,45 Millionen Frauen, die eine Alters­rente beziehen und vor 1992 Kinder bekommen haben. Sie alle erhalten ab Juli mehr Rente. Dazu kommen all die Mütter, die durch die Neube­rechnung der Kinder­erziehungs­zeit erst­mals Anspruch auf gesetzliche Rente haben.

Die Mütterrente ist ein Teil der Rentenreform der Bundes­regierung. Die Reform gibt außerdem Lang­zeit­versicherten die Möglich­keit, sich mit 63 Jahren ohne Renten­einbuße zur Ruhe zu setzen. Sie verbessert die Erwerbs­minderungs­rente (Tabelle Rente mit 63 Jahren nur für vor 1953 Geborene) und stellt mehr Geld für Reha-Maßnahmen der gesetzlichen Renten­versicherung bereit.

Von der Rente mit 63 profitieren vor allem Männer, weil sie sehr viel häufiger als Frauen die nötigen 45 Versicherungs­jahre zusammenbe­kommen. Allein in diesem Jahr werden rund 200 000 Menschen die neue Regelung nutzen, zwei Drittel davon Männer, teilt die Bundes­regierung auf eine parlamentarische Anfrage der bünd­nisgrünen Bundes­tags­fraktion mit.

Auch von der Mütter-Rente werden einige Männer profitieren, denn Geschiedene können den Versorgungs­ausgleich neu berechnen lassen, wenn sich Ansprüche der Exfrau aus Zeiten der Ehe verändert haben.

Erziehungs­zeit allein reicht oft nicht

Jutta Schneider, Kunigunde Schild und Irmgard Schauzu haben zwar Kinder erzogen, doch ihre Erziehungs­zeit allein reicht nicht für eine eigene Rente. Dafür ist eine Mindest­versicherungs­zeit von fünf Jahren nötig. Die bekommen die Frauen nicht zusammen. Sie haben nie oder nicht lange genug sozial­versicherungs­pflichtig gearbeitet.

Kinder­erziehung wird mit zweierlei Maß gemessen – schon bisher und auch in Zukunft: Entscheidend ist, ob ein Kind nach 1991 oder früher geboren wurde.

Frauen, die nach 1991 ein Kind auf die Welt gebracht haben, bekommen drei Jahre Erziehungs­zeit gutgeschrieben. Für früher geborene Kinder gibt es, wie im Fall der fünf Kreuz­taler Mütter, bisher nur ein Jahr. Diese Ungleichbe­hand­lung soll das neue Gesetz mildern. Ab Juli sollen diesen Müttern zwei Jahre Erziehungs­zeit ange­rechnet werden. Das ist immer noch ein Jahr weniger als für Geburten nach 1991.

Jutta Schneider beispiels­weise bekäme für ihr einziges Kind zwei Jahre gutgeschrieben. Drei Jahre fehlen der 69-Jährigen dann immer noch für einen Renten­anspruch.

Mehr Rente pro Kind

„Die Mütterrente ist eine Mogel­packung“, kritisiert Tiburtius-Agbor. „Viele Mütter gehen leer aus.“ Das hat sie auch in einem Brief an Bundes­arbeits­ministerin Andrea Nahles geschrieben und dafür 140 Unter­schriften gesammelt. Doch die meisten Mütter werden profitieren.

Ein Jahr Erziehungs­zeit zählt für die Rente stets so viel wie ein Jahr Arbeit mit Durch­schnitts­verdienst (Jahres­einkommen 34 857 Euro). Dafür gibt es einen Entgelt­punkt.

Die Zahl der Entgelt­punkte entscheidet über die Höhe der Rente. Der Wert eines Punktes steigt ab Juli leicht. Dann gibt es für jeden Punkt 28,61 Euro Monats­rente im Westen und 26,39 Euro im Osten.

Zwei Kinder bringen 114 Euro Rente

Frauen wie Bärbel Münker wird ab Juli für jedes Kind ein Renten­punkt mehr ange­rechnet. Bisher erhält die 65-Jährige für ihre Söhne Andreas und Boris 56 Euro im Monat (28 Euro pro Kind). Zusammen mit der Rente aus ihrer acht­jährigen Tätig­keit als Verkäuferin in einem Textilgeschäft kommt Münker auf rund 140 Euro Rente im Monat.

Ab Juli bringen die beiden Söhne ihrer Mutter gut 114 Euro Rente statt bisher 56 Euro. Die Rente für ihre Kinder­erziehungs­zeit macht dann mehr als die Hälfte ihrer Gesamt­rente von rund 197 Euro aus.

Münkers Mann hat 49 Jahre als angestellter Bäcker gearbeitet. „Mit unseren beiden Renten kommen wir gut aus“, sagt sie.

Mütter ohne Rente sollten nach­zahlen

Auch Kunigunde Schild beklagt sich nicht. Wie die meisten Frauen, die vor 1992 Kinder geboren haben, ist sie einigermaßen abge­sichert. Seit dem Tod ihres Mannes lebt sie von rund 1 000 Euro Witwenrente.

Schild war nur kurz berufs­tätig und nie selbst renten­versichert. Eine eigene Rente bekommt sie deshalb nicht. „Wie fast alle Mädchen damals habe ich jung geheiratet, mit 21 Jahren“, sagt sie. Allein mit der Kinder­erziehungs­zeit für ihre zwei 1962 und 1967 geborenen Kinder kommt sie nicht auf die fünf Jahre Mindest­versicherungs­zeit (auch Warte­zeit genannt).

Ein Jahr fehlt noch. Dafür könnte Schild Beiträge an die Renten­versicherung nach­zahlen. Und das sollte sie auch tun. Wenn die 72-Jährige für das eine Jahr nur den Mindest­beitrag von 1 020,60 Euro nach­zahlt, sichert sie sich eine lebens­lange Monats­rente von 119 Euro. Davon entfallen 114 Euro auf die Erziehungs­zeiten. Im Jahr käme Schild also auf 1 428 Euro. Nach neun Monaten hätte sie ihren Beitrag schon heraus.

Noch größer wäre der Vorteil für Mütter, die noch nicht lange im Ruhe­stand sind oder kurz davor stehen. Im Durch­schnitt beziehen Frauen gut 21 Jahre lang Rente.

Versorgungs­ausgleich prüfen

Auch Väter können durch das Rentenplus für Kinder­erziehung profitieren. Entweder weil sie Erziehungs­zeiten vorweisen (das können nur 2 Prozent aller Väter) oder weil sie geschieden sind. Es kann passieren, dass ein geschiedener Vater künftig weniger an seine Exfrau zahlen muss, weil diese jetzt mehr Rente bekommt. Bisher gibt es aber keine Zahlen, wie viele Fälle das betrifft und wie hoch die Beträge sein werden.

Der Versorgungs­ausgleich im Rahmen einer Scheidung dient dazu, die Unterschiede in den Ansprüchen auszugleichen, die beide Partner während einer Ehe erworben haben. Ergibt sich später eine Veränderung, können Geschiedene beim Familien­gericht ein Abänderungs­verfahren beantragen.

Ein solches Verfahren ist jedoch nur zulässig, wenn die Veränderung „wesentlich“ ist. Sie muss Mindest­beträge über­steigen, deren Höhe vom jeweiligen Einzel­fall abhängig ist. Da dabei alle Ansprüche neu bewertet werden, sollten sich die Männer vorher von einem Rentenberater oder Anwalt beraten lassen.

Lohn für ein langes Arbeits­leben

Rentenreform - Wer profitiert und wer handeln muss

Ein klarer Fall für Männer ist die Rente mit 63. Wer 45 Versicherungs­jahre vorweist, darf sich ab Juli mit 63 Jahren ohne Renten­einbußen in den Ruhe­stand verabschieden. Zu den 45 Jahren zählen auch Zeiten mit Arbeits­losengeld I. Zeiten mit Arbeits­losengeld II oder Arbeits­losen­hilfe bleiben außen vor.

Bisher müssen Versicherte für jeden Monat, den sie vor der Regel­alters­grenze in Rente gehen, eine Kürzung von 0,3 Prozent in Kauf nehmen. Die Regel­alters­grenze wird seit 2012 von damals noch 65 Jahren stufen­weise auf 67 Jahre ange­hoben. Jetzt können Arbeitnehmer mit 45 Versicherungs­jahren ohne Abschlag bei der Rente schon früher aufhören.

Doch auch die Alters­grenze für die abschlagfreie Rente steigt stufen­weise Tabelle. Voll von der Rente mit 63 profitieren nur andert­halb Jahr­gänge: die zwischen Juli 1951 und Dezember 1952 Geborenen.

Auto­lackierer seit 49 Jahren

Wolfgang Flügel ist 1950 geboren. Der 64-Jährige arbeitet seit 49 Jahren unterbrochen in derselben Firma: der Brandenburgischen Auto­mobil GmbH in Potsdam. Er hat eine Lehre als Auto­lackierer gemacht und in diesem Beruf arbeitet er heute noch.

„Früher haben wir uns Wattebäusche in die Nase gesteckt und Perlonstrümpfe über den Kopf gezogen als Schutz gegen die Farbdämpfe und Farb­spritzer“, sagt er. Heute tragen er und seine Kollegen moderne Schutz­kleidung. Doch der Job sei „ganz schön an- strengend“. Flügel will nun so schnell wie möglich Rente. Er hätte schon im vergangenen Jahr mit 63 Jahren in den Ruhe­stand gehen können. Doch dann hätte er lebens­lang 8,4 Prozent weniger Rente bekommen, das kam für ihn nicht infrage. Jetzt will er gleich im Juli seine Rente beantragen. Er nutzt die Rente mit 63 dann mit 64.

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Profilbild Stiftung_Warentest am 02.07.2014 um 13:49 Uhr
unvollständige URL

@technischeuni: Vielen Dank für den Hinweis. Welchen Link meinen Sie? Die Links zur Site der Deutschen Rentenversicherung kann ich anklicken und weisen mich korrekt weiter. Das fehlende "de" in der Bezeichnung korrigeiren wir. (maa)

technischeuni am 29.06.2014 um 21:59 Uhr
URL

In dem Artikel fehlen die generischen Länderkürzel (".de") in den Hyperlinks, sodass diese ins "Leere" laufen.

HD-CB am 27.06.2014 um 20:31 Uhr
hwiedmer schrieb am 27.06.2014 um 19:45 Uhr:

Sehr geehrte Frau und/oder Herr Wiedmer,
warum schreiben Sie eine solche Meldung wider besseren Wissen? Ihre Gedanken zum Thema Gerechtigkeit sind für mich nicht nachvollziehbar.
Ich bin in der SBZ geboren, in der DDR aufgewachsen und habe auch meine 2 Kinder in der DDR geboren. Meine Kinder sind nicht in einer Krippe betreut worden, weil ich und mein Mann es nicht wollten. Meine Kinder sind bis zu ihrem 3 Lebensjahr von mir und teilweise meiner Mutter betreut zu Hause aufgewachsen.
Ich bin kein Sonderfall aus der DDR.
MfG M. Dörschel

hwiedmer am 27.06.2014 um 19:45 Uhr
Ausgleich für Frauen die Kindern vor 1992 geb. ...

Dabei geht es doch hauptsächlich um die Erziehungsleistung dieser Frauen und um eine gerechte Anpassung.
Ich finde dies sehr gerecht und gut, dass wir uns dies leisten können.
Noch gerechter wäre allerdings, wenn die betroffen Mütter ehemals von Ostdeutschland dabei ausgeschlossen wären, denn die hatten ihre Kinder ja alle in der Tageskrippe und haben dadurch durchweg eine deutlich höhere Rente als die Westdeutschen Frauen. Dadurch würde dieser Unterschied gerechter und etwas ausgeglichen.
Bem.: Diese doppelte Richtigstellung würde auch noch einiges an Kosten einsparen!
Freundliche Grüße
H. Wiedmer

patrick.pawelke am 20.06.2014 um 13:15 Uhr

Kommentar vom Autor gelöscht.