
Fachmann. Daniel Overdiek ist Leiter der Rechtsabteilung Bayern beim gemeinnützigen Sozialverband VdK Bayern e.V. © Thorsten Jochim
Im Interview erklärt VdK-Mitarbeiter Daniel Overdiek, welche Probleme in der Praxis auftauchen können, wenn Versicherte die Altersrente für Schwerbehinderte beantragen. Der Sozialverband VdK hilft seinen bundesweit 2,2 Millionen Mitgliedern bei sozialrechtlichen Streitigkeiten.
Schwerbehinderte Menschen können zwei Jahre früher ihre Altersrente beziehen, ohne dass Abschläge anfallen. Gibt es Beschäftigte, die den Schwerbehindertenausweis gezielt erst kurz vor der Rente beantragen?
Ja, das kommt immer wieder vor, dauert aber oft seine Zeit. Besser ist es, sobald entsprechende Erkrankungen bestehen, Berichte der behandelnden Ärzte zu sammeln und einen Antrag auf Schwerbehindertenausweis beim zuständigen Versorgungsamt zu stellen.
Muss für den Rentenantrag der Schwerbehindertenausweis vorliegen? Oder können Versicherte ihn auch nachreichen?
Die Altersrente für schwerbehinderte Menschen kann auch schon beantragt werden, wenn der Schwerbehindertenstatus noch nicht vorliegt. Sobald die Entscheidung des Versorgungsamts getroffen wurde, kann der Schwerbehindertenausweis nachgereicht werden. Wichtig ist aber, dass der Schwerbehindertenstatus am Tag des Rentenbeginns vorliegt.
Wie lange dauert es, bis das Versorgungsamt oder die Kommune einen Schwerbehindertenausweis ausstellt?
Das kann mehrere Monate dauern, je nachdem, wie viele Erkrankungen vorliegen und wie schnell das jeweilige Versorgungsamt arbeitet. In Bayern benötigt das dafür zuständige Zentrum Bayern Familie und Soziales im Schnitt rund drei Monate. Darauf kann man sich aber nicht unbedingt verlassen, es kann auch länger dauern.
Warum dauert es so lange und was kann ich tun, damit die Bewilligung möglichst problemlos abläuft?
Entscheidend sind die Befundberichte und Aussagen der behandelnden Ärzte. Es ist wichtig, mit ihnen vorher zu sprechen, damit sie diese auch plausibel formulieren. Versicherte sollten auch darauf achten, alle bestehenden Erkrankungen anzugeben und sich auch nicht nur auf medizinische Aspekte beziehen. Auch soziale Auswirkungen darlegen, etwa wie stark Schmerzen den Alltag konkret einschränken. Einreichen sollte sie dann auch andere Unterlagen, die Beeinträchtigungen belegen, wie einen Reha-Entlassungsbericht oder Gutachten der Kranken- oder Pflegekasse. Reichen Versicherte bei der Antragstellung keine ärztlichen Berichte ein, werden die im Schwerbehindertenantrag angegebenen Ärzte vom Versorgungsamt mit konkreten Fragen angeschrieben. Das kann den Prozess in die Länge ziehen.
Viele Menschen mit Behinderungen sind mehrfach beeinträchtigt. Sie leiden etwa unter Herz-Kreislauf- und Rücken-Problemen. Worauf müssen die achten?
Für einen Anspruch auf die Altersrente für schwerbehinderte Menschen ist ein Grad der Behinderung von 50 Voraussetzung. Wichtig ist deshalb immer, dass alle Ärzte und Erkrankungen im Antrag angegeben werden. Liegen mehrere Erkrankungen vor, wird ein sogenannter Gesamt-GdB gebildet, das heißt, die Behinderungen werden erst einzeln bewertet und anschließend spielt es noch eine Rolle, ob sich die einzelnen Behinderungen stark oder weniger stark aufeinander auswirken.
Vergibt das Versorgungsamt dann zwei unterschiedliche GdBs, also Grade der Behinderung?
Ja. Zum Beispiel GdB 30 für das Rückenleiden und GdB 20 für die Herz-Kreislauf-Erkrankung. Die GdBs werden aber nicht einfach addiert, sondern die Bewertung des Gesamt-GdB ist ziemlich kompliziert und für die Betroffenen oft schwer durchschaubar. Die Versorgungsämter gehen vom größten Einzel-GdB aus und schauen dann, ob und wie sich durch die zweite Beeinträchtigung das Ausmaß der Behinderung vergrößert, also der GdB steigt. Es gibt auch Fälle, in denen es beim größten Einzel-GdB bleibt und die zweite Beeinträchtigung für die Einstufung keine Rolle spielt.
Können Sie ein Beispiel geben?
Wenn mehrere Sinnesorgane, zum Beispiel Hörsinn und Sehsinn, beeinträchtigt sind, wirkt sich das sehr ungünstig aufeinander aus und die Bewertung des Gesamt-GdB wird tendenziell höher sein als in Fällen, in denen zum Beispiel Herzkreislauf- und Rückenprobleme eher unabhängig nebeneinander stehen.
Das hört sich kompliziert an. Und dann fällt die Rente auch noch niedriger aus als die Regelaltersrente. Schreckt das Versicherte nicht ab?
Nein. Unsere Erfahrung zeigt, dass Menschen mit Schwerbehinderung den früheren Rentenstart gerne in Anspruch nehmen. Aufgrund ihrer Behinderung fühlen sie sich meist nicht mehr so leistungsfähig. Aber es stimmt schon, selbst Menschen, die bereits einen GdB von 50 haben, bereitet das Kriterium oft Sorgen.
Warum?
Der GdB ist nicht in Stein gemeißelt. Die Versorgungsämter können ihn unter Nachprüfungsvorbehalt festlegen. Er wird, wenn Aussicht auf Besserung besteht – etwa bei einer Krebserkrankung – nach mehreren Jahren neu beurteilt. Ist er bei der Nachprüfung niedriger als 50, kommt die Altersrente für schwerbehinderte Menschen nicht mehr infrage. Das erschwert Menschen mit Behinderung die Rentenplanung.
Was raten Sie?
Nerven behalten. So lange kein neuer Bescheid mit niedrigerem GdB vorliegt, ist alles in Ordnung – selbst dann, wenn die Befristung im Schwerbehindertenausweis überschritten ist. Der kann einfach verlängert werden. Was zählt, ist ein neuer Bescheid.
Und wenn der neue Bescheid mit niedrigerem GdB dann doch vor Rentenbeginn kommt?
Menschen, die sich nicht in der Lage fühlen, bis zur Regelaltersgrenze zu arbeiten, sollten den neuen Bescheid anfechten. Sie haben nach Zustellung in der Regel einen Monat Zeit, Widerspruch dagegen einzulegen.
Und wenn der Widerspruch abgelehnt wird?
Ein Widerspruchsverfahren kann schnell drei bis vier Monate oder länger dauern. Danach kommt unter Umständen noch eine Klage vor dem Sozialgericht infrage. Bis zur endgültigen Entscheidung können auch Jahre vergehen. Bis dahin ist der neue Bescheid nicht bestandskräftig. Das heißt, es gilt weiterhin der alte Bescheid mit dem alten GdB.
Man geht also mit dem alten Bescheid in Rente?
Wenn man die Altersgrenze vor Ende des Verfahrens erreicht – ja.
Und wenn am Ende der Prozess verloren geht? Muss der Kläger dann doch wieder arbeiten?
Nein. Ist man einmal in Rente, bleibt es dabei, auch wenn die Klage nach Renteneintritt verloren geht.
Aber kann so ein Gerichtsprozess nicht sehr teuer werden?
Bei Verfahren vor dem Sozialgericht hält sich das Kostenrisiko in Grenzen. Es werden keine Gerichtsgebühren oder Auslagen erhoben. Auch Kosten, die der Behörde während des Prozesses entstehen, muss der Kläger nicht tragen. Lässt man sich von einem Sozialverband vertreten, fallen allerdings Gebühren an, welche von der Gegenseite nur erstattet werden, wenn der Kläger den Rechtsstreit gewinnt. Die Gebühren halten sich aber ohnehin in Grenzen. Ausgaben für ein Gegengutachten, das man selbst bei Gericht beantragt hat, sind oft nicht erstattungsfähig.
Was tun, wenn am niedrigen GdB nicht zu rütteln ist, das Arbeiten aber immer schwerer fällt?
Eventuell kommt eine Erwerbsminderungsrente infrage. Ihr liegen andere Kriterien zugrunde. Auch die Prüfinstanz ist eine andere. Beratungsärzte der Rentenversicherung überprüfen hier unter anderem, ob der Versicherte nur noch weniger als sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann.
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@Fischiman: Eine Teilaltersrente ist auch mit einer Schwerbehinderung möglich, wenn die Voraussetzungen gegeben sind. Einschränkungen gibt es beim Hinzuverdienst lediglich beim Bezug einer Erwerbsminderungsrente. Bitte lassen Sie sich vorab bei der Rentenversicherung beraten. www.deutsche-rentenversicherung.de/DRV/DE/Muttertexte/service/beratung/beratungsstellen_in_ihrer_naehe.html
Kann ich mit einer behinderung von 50prozemz auch eine teilrente beantragen
Wenig bekannt scheint zu sein, das, seit einer Gesetzesänderung, überraschenderweise die Erwebsminderungs-Rente u.U. höher sein kann als die vorgezogene Altersrente.
Vereinfacht gesagt fehlen der vorgezogenen Altersrente ja die letzten Beitragsjahre. Bei der Erwebsminderungs-Rente wird aber so getan, als ob man bis zur "offiiziellen" Rente eingezahlt hätte.
Mal durchrechnen lassen und schauen ob man nicht eigentlich zukrank zum Arbeiten ist, wenn man jeden Tag die Zähne zusammenbeißen muß.
(Details dazu anderen Artikel hier)
Kommentar vom Autor gelöscht.
"Menschen mit Schwerbehinderung können früher in Rente gehen. "
sollte
"... Altersrente beziehen.".
werden...
Es gibt keinen "Automatismus: Rente beziehen = Arbeitsvertrag beendet"
Das erfordert einzelvertragliche arbeitsrechliche Verträge!
Man muß natürlich daran denken, dass einem so Entgelt-Punkte entgehen, es einen Einkommensdeckel und Hinzuverdienst-Grenze gibt und die Rente voll versteuert wird(je nach Alter). In Grunde kann es sich nur rechnen, wenn man sowieso seine Arbeitszeit reduzieren wollte, auch wenn wg. Corona die Hinzuverdienst-Grenze nicht so stark wirkt.
Relevant für den "Hinzuverdienst" sind nur die Monate, in denen Rente bezogen werden konnte. Der Freibetrag gilt aber immer komplette Summe, auch wenn man nur im Dezember Rente bezogen.
BTW:
Man kann Rente auch rückwirkend beantragen, aber dann werden auch nur die Entgelt-Punkte von dem Startpunkt verwendet, die "Neuen" sind aber nicht verloren. Son zu beginn der Regelsalterrente wird das nochmal neu gerechnet.