Die Rentenkasse tut einiges, um Mütter und Väter zu unterstützen. Sich allein darauf zu verlassen, ist aber oft keine gute Idee. Finanztest erklärt, welche Möglichkeiten Eltern haben.
Arbeit und Kinder – zwei Vollzeit-Jobs
Kleine Kinder und gleichzeitig Karriere? Sun-Mie Dobbert-Choi hat eine klare Meinung: „Familie funktioniert nicht, wenn man immer nur gestresst ist und überhaupt keine Zeit füreinander hat“, sagt die 36-jährige Berlinerin. „Glauben Sie mir, meine drei Kinder sind mehr Arbeit als ein Vollzeitjob. Ich bin nicht verrückt und mache zwei“, fügt sie hinzu. Ein gutes Jahr nach Pharmaziestudium und praktischem Jahr bekam sie 2006 ihr erstes Kind. Nummer zwei und drei folgten im Abstand von jeweils drei Jahren. Dazwischen: Minijobs und Teilzeitarbeit. Zurzeit arbeitet die dreifache Mutter 15 Stunden in der Woche für ein Unternehmen, das klinische Studien durchführt.
Job bringt mehr Rente als Kinder
Teilzeitarbeit ist gut für die Familie, für die eigene Rente ist sie schlecht. Laut Wissenschaftszentrum für Sozialforschung Berlin (WZB) bekamen Frauen 2014 im Schnitt 43 Prozent weniger Rente als Männer. Ob dies bei künftigen Rentnerinnen viel besser aussehen wird, ist fraglich. Auch im Jahr 2012 arbeiteten 69 Prozent der erwerbstätigen Mütter auf Teilzeitbasis, bei den erwerbstätigen Vätern waren es nur 5 Prozent. Das Nachrichtenmagazin Spiegel glaubt sogar, ein Revival des tot geglaubten Lebensmodells „Hausfrau“ unter den jüngeren Müttern auszumachen.
Familienarbeit ist ein volkswirtschaftlich wichtiger Faktor
Das Problem für Mütter und Väter: In Deutschland hängt die gesetzliche Rente vor allem von der Höhe des Einkommens aus bezahlter Erwerbstätigkeit ab. Mit unbezahlter Familienarbeit, von der Frauen nach wie vor den Löwenanteil übernehmen, können sie nur begrenzt Rentenanwartschaften aufbauen. Dabei ist Familien-, Haus- und Pflegearbeit ökonomisch ein wichtiger Faktor. Das zeigen Daten vom Bundesamt für Statistik: Im Jahr 2013 entsprach ihr gesamtwirtschaftlicher Wert einem Betrag von 826 Milliarden Euro. Er lag höher als die Summe der Nettogehälter aller Arbeitnehmer, die auf 780 Milliarden Euro kam.
Weniger Geld nach langer Auszeit
Arbeitet Dobbert-Choi nach dem Ende der Elternzeit im Juli weiterhin nur 15 Stunden pro Woche, kommt sie bei ihrem Gehalt derzeit auf 0,43 Rentenpunkte im Jahr. Bei einer Vollzeitstelle käme sie auf 1,14 Punkte. Unter den gleichen Annahmen hätte sie nach zehn Jahren Teilzeit rund 7 Rentenpunkte weniger als mit einer Vollzeitstelle. Nach heutigen Werten heißt das: Bereits nach zehn Jahren ist ihre Rentenanwartschaft um 209 Euro im Monat niedriger. Unter Umständen würde die Rentenkasse ihre Ansprüche zu Rentenbeginn zwar etwas aufwerten (Zeiten für die Rente, „Berücksichtigungszeiten“). Aber auch das würde die Lücke im Vergleich zu einer Vollzeitbeschäftigung lange nicht schließen. Teilzeit und Auszeiten verbauen außerdem noch immer Aufstiegschancen und wirken sich negativ aufs Gehalt aus. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat errechnet, dass Mütter, die länger als die vorgesehene Elternzeit vom Job pausieren, im ersten Jahr nach Wiedereinstieg im Schnitt 16,4 Prozent weniger verdienen als kinderlose Frauen. Acht bis zehn Jahre danach verdienen die Mütter immer noch 4,5 Prozent weniger.
Rentenplus für Eltern vom Bund
Um familienbedingte Verluste bei der Rente abzufedern, hat der Gesetzgeber Leistungen wie Erziehungs-, Anrechnungs- oder Berücksichtigungszeiten bei der gesetzlichen Rente vorgesehen (Zeiten für die Rente). Die wichtigste Leistung sind die Kindererziehungszeiten. Drei Jahre lang nach der Geburt des Kindes übernimmt der Bund Rentenbeiträge für Mutter oder Vater – je nachdem, wer das Kind überwiegend erzieht. Deren spätere Rente erhöht sich so, ohne dass sie selbst in die Rentenkasse einzahlen. Da dies vor allem Frauen betrifft, sprechen wir im Weiteren von Müttern.
So funktioniert die Anrechnung
- Jede Mutter bekommt für Kinder, die sie ab 1992 geboren hat, drei Jahre Kindererziehungszeiten angerechnet.
- Pro Jahr erhält sie einen Entgeltpunkt auf ihr Rentenkonto. Ein Entgeltpunkt stellt sie dabei so, als hätte sie im Jahr durchschnittlich verdient und Beiträge dafür an die Rentenkasse gezahlt.
- Mütter, die ihre Kinder vor 1992 geboren haben, bekommen nur zwei Jahre Kindererziehungszeit pro Kind.
- Derzeit entspricht ein Rentenpunkt 29,21 Euro Monatsrente im Westen und 27,05 Euro im Osten.
- Die gesetzliche Rentenkasse schreibt allen Müttern Erziehungszeiten gut, auch wenn sie nicht gesetzlich versichert sind.
Dobbert-Choi war als Angestellte in einer Apotheke über das berufsständische Apothekerversorgungswerk versichert. Da dort keine Kindererziehungszeiten berücksichtigt werden, bekommt sie diese von der gesetzlichen Rentenkasse. Nicht erwerbstätige Mütter bekommen sie ebenfalls.
Mehr Punkte für Mütter mit Job
Mütter, die in der Erziehungszeit rentenversicherungspflichtig arbeiten, können Entgeltpunkte für Erwerbsarbeit und Kindererziehung bekommen.
Beispiel: Eine Mutter bleibt im ersten Jahr nach der Geburt zu Hause. Im zweiten und dritten Jahr arbeitet sie Teilzeit und verdient die Hälfte des Durchschnittseinkommens von derzeit 36 267 Euro im Jahr, also rund 18 134 Euro. Während der Erziehungszeit kommt sie so auf vier Rentenpunkte:
- im ersten Jahr einen Entgeltpunkt für die Kindererziehung,
- im zweiten Jahr und im dritten Jahr einen Punkt für die Kindererziehung und jeweils einen halben für ihre Erwerbsarbeit.
Allerdings gibt es eine Obergrenze. Mehr als gut zwei Entgeltpunkte können Versicherte pro Jahr nicht erhalten. Bei Müttern, die in der Erziehungszeit mehr als das Doppelte des Durchschnittseinkommens verdienen, wirken sich die Kinder deshalb nicht rentensteigernd aus.
Maßnahmen reichen nicht
Trotz der familienspezifischen Leistungen steht es um die eigenständige Altersversorgung familienorientierter Mütter nicht gut. Sind die Altersrenten westdeutscher Rentnerinnen ohne Kinder schon niedrig, liegen die Renten von Müttern noch einmal darunter. Laut Angaben der Deutschen Rentenversicherung lag Ende 2014 die Rente kinderloser Frauen durchschnittlich bei 648 Euro im Monat; die von Frauen mit einem Kind bei 600 Euro, mit zwei Kindern bei 538 Euro und mit drei Kindern bei 506 Euro. Im Osten gibt es wegen einer höheren Erwerbsbeteiligung von Müttern unter den Rentnerinnen von heute dagegen keine nennenswerten Unterschiede.
Jedes Kind bringt 160 000 Euro
Professor Martin Werding vom Lehrstuhl für Sozialpolitik und öffentliche Finanzen an der Ruhr-Universität in Bochum kommt in einer Studie für die Bertelsmann-Stiftung zu dem Schluss, dass das deutsche Rentensystem Eltern benachteiligt. Werding sagt: „Eltern bedienen zwei Generationenverträge gleichzeitig: Neben ihren eigenen Rentenversicherungsbeiträgen, die an die heutigen Rentner ausgezahlt werden, leisten sie einen zusätzlichen generativen Beitrag durch ihre Kinder und damit für den Erhalt dieses Systems. Trotzdem richten sich die individuellen Rentenansprüche überwiegend nach den finanziellen Beiträgen, die in der Erwerbsphase geleistet wurden und viel zu wenig danach, ob Kinder erzogen und betreut wurden.“
Doppeltes Renten-Handicap
Nach Werdings Berechnungen bringt jedes Kind dem Rentenversicherungssystem knapp 160 000 Euro mehr, als es kostet. Die gewerkschaftsnahe Hans-Böckler-Stiftung betont in einer Untersuchung zur Rentenlücke zwischen Männern und Frauen, dass Erziehungszeiten und eine größere Erwerbsbeteiligung von Frauen zwar bei einer besseren Altersversorgung helfen. Kürzungen bei der gesetzlichen Rente und die Verlagerung auf betriebliche und private Altersvorsorge liefen dem aber entgegen. Dobbert-Choi bleibt derzeit mit ihrem doppelten Renten-Handicap als Frau und Mutter vorerst nur eins: gutes Planen und selbst vorsorgen (Checkliste).
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