
Herr Schwalm, Sie sind 66 Jahre alt und waren bis zum Beginn der Altersrente zehn Jahre lang berufsunfähig. Als Zimmerermeister und Restaurator konnten Sie nicht mehr arbeiten. Sie hatten zwei Berufsunfähigkeitspolicen, beide Versicherer wollten nicht zahlen. Es ging um Rentenleistungen in Höhe von knapp 250 000 Euro. Was ist passiert?
Ich habe mehr als 25 Jahre lang in meinem Beruf gearbeitet, mit Spezialisierung auf Fachwerksanierung, Kirchtürme und Dachstühle. Die Arbeit war körperlich anstrengend. Ich hatte viel mit altem Eichenholz zu tun, das oft mit giftigen Mitteln imprägniert ist. Bei der Verarbeitung wird Holzstaub – hochgradiger Feinstaub – frei. Im Jahr 2005 erkrankte ich schwer, diagnostiziert wurden eine chronische Atemwegserkrankung, eine Allergie und einiges mehr.
Wie reagierten die Versicherer auf den Rentenantrag?
Sowohl bei der Allianz Lebensversicherung AG als auch bei der Aachener und Münchener Lebensversicherung AG hatte ich für meine Altersvorsorge eine Lebensversicherung abgeschlossen. Beide waren mit einer Berufsunfähigkeits-Zusatzpolice kombiniert. Beide Versicherer lehnten die Anträge ab – aus unterschiedlichen Gründen.
Wie sind Sie gegen die Ablehnung vorgegangen?
Ich habe einen Rechtsanwalt, Till Pense aus Frankfurt am Main, beauftragt, die Ablehnung zu prüfen. Er riet zur Klage gegen beide Versicherer. Da ich beim Versicherer LVM rechtsschutzversichert war, ging ich davon aus, dass der Versicherer einspringt. Das war aber nur teilweise der Fall. Für die Klage gegen die Allianz erhielt ich Deckungszusage, nicht aber für die Klage gegen die Aachen-Münchener. Ich habe also zuerst den Rechtsschutzversicherer verklagt – erfolgreich.
Worum ging es im Streit mit der Allianz?
Es ging um eine Rente von rund 2 000 Euro monatlich. Der Versicherer argumentierte, ich sei nicht zu mindestens 50 Prozent berufsunfähig. Die ärztlichen Gutachten würden das nicht ausreichend belegen. Außerdem könne ich meinen Beruf noch ausüben, wenn ich als Selbstständiger meinen Betrieb umorganisierte und einen anderen Tätigkeitsschwerpunkt wählte. In der Vorstellung des Versicherers sollte ich als Gutachter arbeiten. Dabei wurde übersehen, dass auch ein Gutachter erheblichem Staub und verpilzten Hölzern ausgesetzt ist. Außerdem muss er schwer zugängliche Stellen untersuchen. Das Gericht hat dann Sachverständige angehört. Den Prozess habe ich gewonnen (Landgericht Frankfurt am Main, Az. 2/23 O 206/07).
Warum verweigerte die Aachen-Münchener die Leistung?
Der Versicherer warf mir vor, bei Vertragsabschluss im Dezember 1991 im Antrag Gesundheitsfragen falsch beantwortet zu haben. Bei der Frage „Leiden oder litten Sie an Krankheiten, Störungen oder Beschwerden?“ hatte ich „Nein“ angekreuzt. Zum Beweis legte der Versicherer einen Arztbrief meines Hausarztes vom August 1991 vor, in dem erhöhte Leberwerte mit dem Verdacht auf Leberschädigung dokumentiert waren.
Davon wusste ich jedoch nichts. Das Gericht hat den Arzt dann vorgeladen. Er konnte darlegen, dass es sich damals um eine Routineuntersuchung handelte, die ein paar Monate später wiederholt wurde.
Da sich der Verdacht nicht bestätigte, hat der Arzt mit mir auch zum damaligen Zeitpunkt nicht über eine Vorerkrankung gesprochen (siehe „Streitpunkt: Vorvertragliche Anzeigepflicht“).
Der Versicherer deutete dann an, über die Frage der Berufsunfähigkeit weiter Beweis zu erheben. Das Gericht riet zu einem Vergleich mit dem Versicherer. Dem Vorschlag bin ich gefolgt. Wir einigten uns auf den Betrag von 45 000 Euro.
Streitpunkt: Vorvertragliche Anzeigepflicht.
Bei Vertragsschluss muss ein Antragsteller Angaben über seinen Gesundheitszustand machen und alle weiteren Fragen des Versicherers, etwa nach Hobbys oder Körpergewicht, wahrheitsgemäß und vollständig beantworten.
Stellt ein Versicherter einen Leistungsantrag, holt sich der Versicherer mit Einverständnis des Kunden in Form von Schweigepflichtentbindungen Auskünfte ein, zum Beispiel von Krankenversicherungen, Ärzten, Krankenhäusern und Reha-Kliniken. Er vergleicht sie mit dem Antrag vor Vertragsabschluss. Bemerkt der Versicherer Widersprüche, weil zum Beispiel der Versicherte eine Erkrankung nicht angegeben hat, kann er vom Vertrag wegen „vorvertraglicher Anzeigepflichtverletzung“ zurücktreten und schlimmstenfalls den Vertrag wegen „arglistiger Täuschung“ anfechten. Hat der Versicherte den Versicherer bei den Angaben im Antrag getäuscht, steht er am Ende ohne Leistung und ohne Vertrag da. Seine Beiträge sind verloren.
Gerichtsurteile zeigen: Bei Gesundheitsfragen kommt es aus unterschiedlichen Gründen zu fehlerhaften oder unvollständigen Angaben im Formular, ohne dass den Versicherten immer ein Verschulden trifft. Vielleicht wusste er nichts von seiner Erkrankung, weil der Arzt bloß einen Verdacht in die Akte eingetragen hat. Oder er hat sich an Beschwerden aus dem abgefragten Zeitraum nicht erinnert und vorschnell verneint. Manche verkennen, dass „belanglose“ Beschwerden für den Versicherer relevant sein können.
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Geld zu sparen und/oder anzulegen ist es überhaupt nicht unrealistisch, was Sie vorschlagen. Kurz meine eigenen Erfahrungen zu diesem Thema: Ich hatte früher bei einem bekannten Versicherer für zehn oder zwölf Jahre einen BU-Versicherungsvertrag zu damals noch sehr günstigen Konditionen abgeschlossen. Nach Beendigung dieses Vertrages habe ich darüber nachgedacht, quasi im Anschluß, eine weitere BUV abzuschließen. Die Angebote, die ich daraufhin, auch von anderen Versicherern, erhielt, waren aus meiner Sicht völlig inakzeptabel. Inzwischen bin ich halbwegs gesund im Ruhestandsalter angelangt und müsste mich _eigentlich_ bei eben diesen Versicherern dafür bedanken, dass ich das ersparte Geld anderweitig verwenden konnte, nämlich (u.a.) für eine preisgünstige Unfallversicherung und eine preisgünstige Risikolebensversicherung. Das Glück ohne wesentliche Beeinträchtigungen den Ruhestand zu erreichen, hat selbstverständlich nicht Jeder, das muss man der Gerechtigkeit halber schon zugeben.
Ich würde das alles ganz pragmatisch sehen: Bevor man sich bei Eintritt des Versicherungsfalles durch diverse Instanzen klagen muss, aufgrund der bekannten Zahlungsmoral diverser Versicherer, spare ich mir rechtzeitig den Betrag X für den Fall der Berufsunfähigkeit selbst an. So muss ich mir nicht beim Vorliegen aller Vorrausetzungen, noch in absurder Weise vor Gericht meinen Versicherungsschutz einklagen. Diese Vorgehensweise hat 2 Vorteile: 1.) Der Versicherer schont seine Kundengelder für die Abwehr von berechtigten Forderungen zum Wohle der Versicherungsgemeinschaft. 2. Der Verbraucher muss nicht nervenaufreibend vor Gericht seinen Anspruch nachweisen. Somit sind beide Seiten zufrieden: Der Versicherer verliert kein Geld, weil er nichts einnimmt! Der Normalverbraucher gibt keine Versicherungsbeiträge aus und kann das Geld auf die hohe Kante legen. Zudem gibt es kein Konfliktpotential mehr und beide sind zufrieden...Absurd, aber wahr...
Ich würde sogar noch weiter gehen. Ich würde die Gesundheitsfragen beantworten und dann der Versicherung die Möglichkeit geben die Informationen die gefragt sind direkt von der Krankenkasse verifizieren zu lassen. Dann gibt es hinterher kein "das haben sie so aber nicht genau angegeben, wir zahlen nicht". Das wäre das optimum. Dann würde ich auch abschließen. Aber so bin ich dem GoodWill der Versicherungen ausgefliefert.
Zitat: "Idealerweise besteht schon eine Rechtsschutzversicherung, bevor jemand eine Berufsunfähigkeitspolice abschließt. Es kann sonst sein, dass bei einem Streit über eine „vorvertragliche Anzeigepflichtverletzung“ (Wer berät zur Berufsunfähigkeitsrente?) der Rechtsschutzversicherer – je nach Bedingungen – nicht einspringt."
Bleibt zu hoffen, dass "der nette Rechtsschutzversicherer des Vertrauens" im Fall des Falles keinen Rückzieher macht, sonst wäre der Versicherte sogar der doppelt Geprellte :-7
BU-Versicherungen sind fast immer relativ teuer, sofern sie ausreichende Versicherungssummen haben sollen, darüber sollte man unbedingt _vor_ deren Abschluß nachdenken. Scheinbar gibt es häufiger Fälle, in denen Versicherer versuchen, sich der Leistungspflicht zu entziehen. Sehr wichtig der Hinweis, dass Antragsvordrucke unbedingt sorgfältig und wahrheitsgemäß ausgefüllt werden müssen, um einem Versicherer keinen Anlaß zu geben, womöglich Jahre später die Leistung zu verweigern.
Dieser ganze Mist mit den privaten Versicherungen für solch existenziell wichtige Dinge darf nicht in der Privatwirtschaft liegen. Da hat die Lobby wieder ganze Arbeit geleistet. Lieber die Rentenbeiträge erhöhen und damit dieses Risiko wieder mit abfedern.