
Ute Zerbst-Herenz und Wolfram Zerbst. Statt ihre Traumreise auf See zu genießen, mussten sie von Bord – und am Ende gerichtlich gegen ihre Versicherung vorgehen. Die Freude an Kreuzfahrten haben sie aber nicht verloren. © Thies Raetzke
„Zerplatzte Reiseträume“ lautete der Titel unseres jüngsten Tests von Reiserücktrittsversicherungen (Finanztest 3/2018). Sein Tenor: Gerade bei früh gebuchten und teuren Reisen sollten Reisende auf Versicherungsschutz achten. Nach der Veröffentlichung meldete sich unser Leser Wolfram Zerbst bei uns. Sein Fall zeigt, wie wichtig der Schutz im Ernstfall ist. Zerbst hatte einem Herzinfarkt auf einer Kreuzfahrt und bekam 70 000 Euro vom Versicherer zurück – einen Teil klagte er ein.
Reiseversicherungspaket ohne Selbstbeteiligung bei der ERV
Wolfram Zerbst und seine Frau Ute Zerbst-Herenz hatten 2012 eine zweiwöchige Kreuzfahrt auf der Aidacara entlang der südamerikanischen Ostküste gebucht. Das Ehepaar aus Hamburg – seit Jahrzehnten Abonnenten der Zeitschriften Finanztest und test – ging auf Nummer sicher: Noch im Reisebüro wählten sie den „Rundumsorglos-Jahresschutz“, ein Reiseversicherungspaket ohne Selbstbeteiligung bei der ERV. Mit im Vertrag enthalten: eine Auslandsreisekranken- und eine Reiseabbruchversicherung. Letztere soll Kosten erstatten, die etwa bei einem Reiseabbruch entstehen. Was die Zerbsts damals nicht ahnten: Beide Versicherungen würden sie bald in Anspruch nehmen müssen.
Unser Rat
- Reiseversicherungen.
- Bei der Urlaubsplanung sollten auch Versicherungen nicht zu kurz kommen. Sonst kann es, etwa im Krankheitsfall, schnell mal teuer werden. Die Reisekrankenversicherung ist die wichtigste Versicherung, wenn Sie außerhalb Deutschlands verreisen. Sie schützt davor, im Urlaub auf Behandlungskosten sitzenzubleiben. Eine Reiserücktritts- inklusive Reiseabbruchversicherung lohnt sich gerade bei teuren und sehr früh gebuchten Reisen.
- Kommunikation mit Versicherer.
- Können Sie eine gebuchte Reise nicht antreten, sprechen Sie zuerst mit der Stornoberatung Ihres Versicherers (siehe auch unser Special Reiserücktrittsversicherung). Auch für den Fall, dass Sie eine Reise unfreiwillig abbrechen oder länger als geplant am Urlaubsort bleiben müssen, nehmen Sie so schnell wie möglich Kontakt mit der Versicherung auf. Weigert die sich zu leisten, bleibt Ihnen der Gang zur Schlichtungsstelle oder zum Gericht.
- Schlichtungsstelle.
- In den Versicherungsunterlagen steht, ob Ihr Versicherer am Schlichtungsverfahren teilnimmt. Das ist schneller und einfacher als ein Gerichtsverfahren. Reiserücktrittsversicherungen müssen dafür Teilnehmer beim Versicherungsombudsmann sein, Reisekrankenversicherungen beim Ombudsmann Private Kranken- und Pflegeversicherung. Das Verfahren ist für Verbraucher kostenlos. Ihnen steht danach immer noch der Klageweg offen.
Herzinfarkt auf der Aida
Vier Tage lang genießt das Ehepaar im November 2012 seine Kreuzfahrt. Dann, plötzlich, mitten auf dem Atlantik, tritt die fast schlimmste vorstellbare Situation ein: Wolfram Zerbst erleidet in der Nähe von Punta Arenas (Chile) einen Herzinfarkt. Auf der Intensivstation des Schiffes kommt der damals 64-Jährige in ärztliche Behandlung. Weil die ärztliche Versorgung an Bord nicht ausreicht, wird er an der Einfahrt zur Magellanstraße von einem Lotsenboot an Land gebracht. Seine Frau begleitet ihn. „Wir hatten Windstärke neun und etwa zwei Meter hohe Wellen gegen an“, erinnert sich Zerbst.
Mit dem Ambulanzflugzeug nach Buenos Aires
Im Krankenhaus in Chile erfährt er, dass er eine Katheteruntersuchung benötigt, die dort nicht durchgeführt werden kann. Das Ehepaar wird ein paar Tage später mit einem Ambulanzflugzeug nach Buenos Aires geflogen. Dort erfolgt schließlich die Untersuchung. Erst als die Ärzte vor Ort ihn für reisefähig erklären, reisen beide mit einer medizinischen Begleitung nach Deutschland zurück. Durch Zufall sitzen sie auf der Rückreise in dem von ihnen von Anfang an gebuchten Flug.
Fast 68 000 Euro Krankheitskosten
Der Fall zeigt: Gerade bei Kreuzfahrten ist der Abschluss einer Reisekrankenversicherung wichtig. Sie ist die wichtigste Versicherung für die Reise außerhalb Deutschlands und schützt davor, auf Behandlungskosten sitzen zu bleiben. In Zerbsts Fall wurde alles problemlos erstattet: „Die Reisekrankenversicherung hat bei mir einwandfrei alle Kosten übernommen.“ Ohne diesen Schutz kann es schnell teuer werden. Die Kosten für die Krankenversorgung von Zerbst lagen insgesamt bei etwa 67 700 Euro – für Krankenhausaufenthalte, Arzt- und Transportkosten.
Arztkosten privat abgerechnet
Besonderheit bei Kreuzfahrten: Die Arztbehandlung an Bord der Schiffe wird privat abgerechnet. Die gesetzliche Krankenversicherung reicht da meist nicht aus. Sie übernimmt auch nie die Kosten für einen Rücktransport, die Arzt- und Krankheitskosten trägt sie nur in der Europäischen Union, im Europäischen Wirtschaftsraum und in Ländern, mit denen ein Sozialversicherungsabkommen besteht. An Bord befinden sich Reisende versicherungsrechtlich in dem Land, unter dessen Flagge ihr Schiff fährt.
Versicherung weigert sich, für Reiseabbruch aufzukommen
Nach der Rückkehr will Zerbst noch die Entschädigung für nicht genutzte Leistungen bei der Reiseabbruchversicherung geltend machen. Insgesamt 4 080 Euro hatten sie für 14 Tage auf der Aida bezahlt, aber nur 4 Tage nutzen können. Für ihn erstaunlich ist, dass es hier zu Problemen kommt. Knackpunkt ist die „Abbruchklausel“. Bei ihm erkennt die ERV den Erstattungsanspruch von 1 360 Euro „aus Kulanz“ an. Die Entschädigung für seine Ehefrau lehnt sie ab. Begründung: Sie habe die Reise gar nicht abgebrochen. Laut Glossar der Versicherungsbedingungen hätte sie dafür „den Aufenthalt am Zielort endgültig beenden und nach Hause zurückreisen müssen“.
Richter definieren anders
Nach umfangreichem Schriftwechsel zieht das Ehepaar mit einer Rechtsschutzversicherung vor Gericht, denn am Schlichtungsverfahren beim Ombudsmann nimmt die ERV bis heute nicht teil (siehe „Unser Rat“). Die Richter des Amtsgerichts Hamburg-Wandsbek entscheiden 2014: Die ERV muss die rund 1 360 Euro für die Ehefrau zahlen. In Berufung geht die Gesellschaft nicht.
Hintergrund: Die ERV versichert den Fall der unerwartet schweren Erkrankung der versicherten Person oder einer Risikoperson. Zu denen gehört der Ehepartner. Ein Reiseabbruch liegt streng genommen aber nur bei unmittelbarer und direkter Rückreise vor. Im Fall von Zerbst war das nicht möglich.
Verlassen des Schiffs stellt Reiseabbruch dar
Die Richter urteilten, die Definition des Abbruchs sei nicht wirksam Vertragsbestandteil geworden – es handele sich um eine überraschende Klausel. Auf den Zeitpunkt der Rückreise nach Deutschland könne es nicht ankommen. „Meine Frau hätte eine Entschädigung nach ERV-Kriterien bekommen können, wenn sie mit mir entgegen ärztlichem Rat nach dem Herzinfarkt sofort zurückgeflogen wäre“, so Zerbst. Wohl auch, wenn sie den Rückflug ohne ihn angetreten hätte. Laut Gericht ist ein Reiseabbruch eine „außerplanmäßige Beendigung, die dazu führt, dass die gebuchten Reiseleistungen nicht in Anspruch genommen werden können“. Danach lag für Ute Zerbst-Herenz bereits mit Verlassen des Schiffes ein Reiseabbruch vor.
ERV hat nachgebessert
2018 lautet die Abbruchklausel noch gleich, die ERV hat dennoch etwas geändert: Sie zahlt nun, wenn Reisender oder mitreisende Risikoperson wegen stationärer Behandlung die Reise unterbrechen müssen und nicht direkt nach Hause fahren. Die ERV teilt mit: „Wir haben die Reiseabbruchversicherung dem sich ändernden Reiseverhalten der Kunden angepasst. Dazu gehört auch die Zunahme von Kreuzfahrten.“ Ärgerlich: Die Bedingungen sind nach wie vor kaum verständlich.
Tipp: Auf unserer Themenseite Reiseversicherung finden Sie Tests zu Reisekrankenversicherungen, Reiserücktritts- und -abbruchversicherungen sowie Reisegepäckversicherungen.
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