Regionale Lebens­mittel Herkunft oft unklar

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„Ich weiß, wo es herkommt“, glauben viele beim Kauf regionaler Produkte. Doch oft bleibt die Herkunft unklar, Erwartungen werden getäuscht. Außerdem fehlen einheitliche Stan­dards.

Zu diesem Thema bietet test.de einen aktuel­leren Test:Regionale Lebensmittel.

Am gemütlichsten ist es doch zuhause. Wer auf der größten Lebens­mittel­messe der Welt, der Grünen Woche, unterwegs ist, sieht eindrucks­voll: Die meisten Besucher zieht es in die Hallen der Bundes­länder. Umgeben von Volks­fest­stimmung verschmausen sie Thüringer Wurst, Wernesgrüner Pils und andere Spezialitäten. Die Deutschen sind stolz auf ihre Regionen und deren kulinarische Vielfalt.

Jeder Zweite isst regional

Wer ein Stück Heimat sucht, findet sie zunehmend auch im Supermarkt. Produkte mit regionalen Logos, Marken und Bildern haben stark zugenommen (siehe Foto). „Frisch aus unserer Region“, so und ähnlich werben sie. Die Verbraucher greifen gern zu, besonders bei Obst, Gemüse und Milch­produkten. Gut 65 Prozent der Deutschen achten beim Einkauf immer oder meist auf regionale Herkunft, ergab eine Umfrage des Forsa-Instituts. Mancher­orts haben sich Bewegungen von „Nahessern“ gebildet, die Loca­vores. Ihr Credo: Ausschließ­lich Produkte verzehren, die im Umkreis von 200 Kilo­metern produziert wurden.

Jenseits industrieller Massenware

Woher kommt die Rück­besinnung aufs Ländliche von nebenan, warum soll es der Bauer um die Ecke richten? Es ist der Wunsch nach natürlichen, authentischen und hand­werk­lichen Lebens­mitteln. Viele vertrauen ihnen mehr als industrieller Massenware – gerade in Krisen­zeiten wie dem letzten Dioxinskandal.

Unter „Region“ versteht jedoch jeder etwas anderes, wie Umfragen zeigen. In Ostdeutsch­land ist das für viele ihr Bundes­land, in Bayern eher kleinere Gebiete wie das Allgäu, im Norden gilt ganz Nord­deutsch­land als Heimat. Ähnliches Wirr­warr herrscht bei regionalen Lebens­mitteln. Recht­lich ist nicht geklärt, wie sie beschaffen sein sollen. Entsprechend verschieden sind die Angebote. Der Erwartung vieler Verbraucher – alle Produktions­stufen laufen vor Ort ab, auch die Rohstoff­gewinnung – werden nur wenige gerecht.

Regionale Initiativen auf eigene Faust

Einen ursprüng­lichen Ansatz verfolgen Regional­initiativen – lokale Zusam­menschlüsse von Bauern, Betrieben oder Solidar­gemeinschaften. Sie bringen ohne Zwischenhändler Lebens­mittel direkt an den Mann. Es gibt derzeit fast 400 Initiativen, in Bayern ist zum Beispiel „Unser Land“ verbreitet. Man findet den Schrift­zug auf über 70 Lebens­mitteln, etwa bei Edeka, Kaiser’s und Rewe. Produziert werden sie in elf Land­kreisen. Wird das Produkt in einem dieser Kreise hergestellt, steht auf der Packung dann etwa „Starn­berger Land“, sind mehrere beteiligt, heißt es „Unser Land“.

Auch in Hessen gelingt es immer mehr Bauern unter der Marke „Land­markt“, ihre Produkte direkt bei Rewe zu verkaufen. Die Trans­parenz ist hoch: Auf jedem Produkt steht der Erzeuger. „Die Bauern sollten möglichst nah dran sitzen am jeweiligen Markt, Produkte nicht kreuz und quer durch Hessen gefahren werden“, erklärt Christine Gött­mann, Geschäfts­führerin der Vereinigung Hessischer Direkt­vermarkter. „Wir machen Ausschreibungen und suchen so nach Direkt­vermarktern. Wer am nächsten sitzt, wird bevor­zugt.“

Doch jede Initiative hat eigene Richt­linien, das macht sie schwer vergleich­bar. „Am glaubwürdigsten sind jene, die garan­tieren, dass ihre Produkte in einer definierten Herkunfts­region erzeugt und verarbeitet werden“, sagt der Bundes­verband der Regionalbewegung. Er setzt sich für die Einführung eines Regionalsiegels ein, das Mindest­stan­dards fest­legt und hilft, ehrliche Regional­produkte leichter zu finden.

Stan­dards und Kontrollen fehlen

Auch die Bundes­länder vermarkten über ihre Landes­ministerien regionale Produkte – mithilfe von 14 Herkunfts- und Qualitäts­zeichen. Acht werden aktiv genutzt, oft sind das „Öko-Qualität garan­tiert – Bayern“ und „Geprüfte Qualität Schleswig-Holstein“. Doch alle sind verschieden definiert. So kritisiert der Verbraucherzentrale Bundes­verband, dass bei einigen die Qualitäts- und Herkunfts­anforderungen zu gering ausfallen und es an unabhängigen Kontrollen fehlt. Er fordert einheitliche Stan­dards. Unver­arbeitete Produkte wie Kartoffeln müssen immer zu 100 Prozent aus der genannten Region kommen, bei verarbeiteten Produkten wie Wurst- und Back­waren schwanken die Ansprüche stark. So können sie das Zeichen „Gesicherte Qualität Baden-Württem­berg“ nur tragen, wenn 90 Prozent der Rohstoffe von dort stammen, bei „Geprüfte Qualität Thüringen“ reichen 50,1  Prozent aus. Wie kann das sein?

Zuerst die Qualität, dann die Herkunft

Im Thüringer Land­wirt­schafts­ministerium begründet man es „mit begrenzten Rohstoffen, zu wenig Tieren und Fleisch“. Zudem sei man durch EU-Recht gezwungen, Qualität über Herkunft zu stellen. Die Gütezeichen werden nur dann öffent­lich mitfinanziert, wenn der „Ursprung der Erzeug­nisse als Werbe­botschaft mit unterge­ordnetem Charakter angegeben“ wird. So steht es in der entsprechenden EU-Rahmenregelung geschrieben.

Edekas Absatz­gebiet ist die „Heimat“

Auch Supermarkt­ketten schwimmen auf der Welle mit. Unter „Unsere Heimat – echt & gut“ bietet Edeka Südwest in 1 500 Supermärkten in vier Bundes­ländern regionale Ware an. „Die Produkte, die wir unter der Marke vertreiben, kommen aus unserem Absatz­gebiet“, sagt Christhard Deutscher von Edeka Südwest. Mit Absatz­gebiet sind Baden-Württem­berg, Hessen, Rhein­land-Pfalz und das Saar­land gemeint. „Heimat“ definiert Edeka also groß­zügig. Erzeugung und Verarbeitung der Rohstoffe gehen klar über Bundes­land­grenzen hinaus.

Deutsch­land­weit Saft vom Bodensee

Lidl geht noch einen Schritt weiter: Unter der Marke „Ein gutes Stück Heimat“ bietet der Discounter deutsch­land­weit regionale Produkte an. Ange­fangen hatte alles in bayerischen Filialen mit Milch aus Bayern, die zu „fairen Preisen“ verkauft wurde. Heute findet man selbst in nördlichen Bundes­ländern Saft vom Bodensee oder Möhren vom Nieder­rhein unter der Marke. „Mit regional und kurzen Wegen hat das nichts mehr zu tun“, ärgert sich Nicole Weik vom Bundes­verband der Regionalbewegung. Der Verband beäugt Anbieter kritisch, die regionale Ware zu Massenware machen.

Kaffee und Reis aus dem Norden?

Unglaubwürdige regionale Produkte bietet die Kette Coop unter der Marke „Unser Norden“ an: Kaffee, Reis (siehe unten) oder Cashew­nüsse als „Lebens­mittel ausgewählter Produzenten des Nordens“. Doch die Rohstoffe können definitiv nicht aus Nord­deutsch­land kommen. Dennoch wird der regionale Aspekt auf den Produkten stark betont. Es reicht Anbieter Coop wohl, wenn ein Herstellungs­schritt wie Rösten oder Verpacken im Norden statt­fand. Recht­lich dagegen vorzugehen ist jedoch schwierig, da es keine allgemeingültigen Anforderungen an regionale Lebens­mittel gibt.

Räuchern im Schwarz­wald reicht

Selbst die Siegel der EU, die regionale Spezialitäten schützen, entsprechen nicht immer den Erwartungen des Verbrauchers. So ist Schwarz­wälder Schinken zwar eine „geschützte geografische Angabe“, es reicht aber, wenn eine Produktions­stufe im Schwarz­wald abläuft, hier das Räuchern. Das Fleisch selbst muss nicht von dort stammen. In Wirk­lich­keit kommt es oft aus Dänemark oder Russ­land. Der Name eines regionalen Produkts steht also gelegentlich nur für die Einhaltung einer Rezeptur oder eines Herstellungs­verfahrens. Strenger ist die „Geschützte Ursprungs­bezeichnung“. Sie steht auch für die Erzeugung des Rohstoffs im benannten Gebiet (siehe Meldung „geschützte Ursprungsbezeichnung“ aus test 7/10).

Sonderfall Milch

Schwierig ist es, regionale Milch anzu­bieten. Da Molkereien nicht gleich­mäßig im Land verteilt sind, bedeutet das mancher­orts lange Fahrt­wege, außerdem drücken Groß­händler die Preise. Viele Regional­initiativen bieten darum keine Milch an oder wollen selbst kleine Molkereien aufbauen.

Hinzu kommt: Öfter schon erwies sich Milch als Mogel­packung und sorgte für Abmahnungen. Unter „Mark Brandenburg“ bot Campina 2007 Milch in Berlin und den neuen Bundes­ländern an, sie kam aber aus Nord­rhein-West­falen und wurde in Köln abge­füllt. Campina verpflichtete sich, unter der Marke nur noch Molkereiprodukte aus Brandenburg zu vertreiben.

Auch die „Faire Milch“ der Milchvermarktungsgesell­schaft MVS warb früher mit heimischer Produktion und kurzen Wegen. Doch sie verkaufte die Milch in Stutt­gart, bezog sie aus dem Allgäu und ließ sie in Hessen verarbeiten. Heute hat sie sich als faire, über­regionale Milch etabliert.

Regional, Bio und fair

Apro­pos faire Preise: Vielen regionalen Anbietern zufolge kostet ihre Ware 10 bis 20 Prozent mehr als vergleich­bare Ware – das soll den Bauern zugute kommen. Viele Produkte haben zugleich Bioqualität: Regional, Bio und fair – so sieht das ideale Paket für jene aus, die sich nach­haltig ernähren wollen. Der Anbau­verband Biokreis aus Passau verkauft unter „regional & fair“ solche Produkte, auch Bioanbieter in Berlin und Brandenburg unter „fair & regional“.

Bio ist nicht auto­matisch regional. „Bio“ oder „Öko“ baut auf den Kriterien der EG-Öko-Verordnung oder zusätzlich auf Kriterien eines Bioanbau­verbands auf. Sie verzichten etwa auf synthetische Pestizide und setzen auf artgerechte Tierhaltung. Im Grunde gehören auch kurze Wege zur Philosophie. Doch heute wird viel Bioware importiert, auch aus der Ferne.

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